Keine Ahnung vom Islam, aber dagegen

Einer Umfrage zufolge lehnen viel Deutsche den Islam ab, ohne etwas über ihn zu wissen. Eine muslimische Aktivistin fühlt sich in ihrer Existenz bedroht

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Dass ihre Befürchtungen so wieder so schnell wahr werden, hätte Kübra Gümüşay wahrscheinlich nicht gedacht. Ob die "Rechtspopulisten, AfDler und Rassisten" denn eigentlich wüssten, was sie damit infrage stellen, wollte Kübra Gümüşay noch am Mittwoch von der Rednerbühne der Netz-Konferenz re:publica wissen. Gemeint hatte die Hamburger Netzaktivistin und muslimische Feministin die Debatten, "ob der Islam und die Muslime zu Deutschland gehören". Unter Tränen und mit gebrochener Stimme gab sie die Antwort gleich selbst: "Meine Existenz stellen sie infrage."

Schon einen Tag später war die Debatte, von der Gümüşay hoffte, es möge sie nicht mehr geben, wieder Realität: "Muslime gehören zu Deutschland, der Islam aber nicht", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag Volker Kauder am Donnerstag in einem Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung und wiederholte damit die Position, welche die AfD am letzten Wochenende in ihr Parteiprogramm aufgenommen hatte.

"Opposition empört über Kauders Äußerungen zum Islam"

Auch andere Klischees der Rechtspopulisten ließ er im Interview nicht aus: Die Behandlung von Frauen "wie in Saudi Arabien" müssen zurückgewiesen, muslimische Schülerinnen zum Schwimmunterricht geschickt, und die Sorgen von Bürgern ernst genommen werden.

Es ist nicht das erste Mal, dass Kauder bei der Anhängerschaft der AfD um Sympathien buhlt. Erst vergangene Woche und nur wenige Tage vor dem Bundesparteitag der AfD hatte Kauder Sicherheitsbehörden aufgefordert, Moscheen stärker zu überwachen und damit viel Kritik ausgelöst.

"Opposition empört über Kauders Äußerungen zum Islam", berichtet die Tagesschau nun auch im aktuellen Fall wieder. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte Kauder auf, im Kampf gegen Islamismus besser etwas gegen Waffenexporte nach Saudi Arabien zu tun. Und Linken-Fraktionsvize Jan Korte warf Kauders "Pöbeleien gegen Muslime" vor.

Doch trotz aller Kritik: Die Debatte, ob der Islam zu Deutschland gehört, ist in seiner xten Fortsetzung wieder da. Angeheizt wird sie durch eine Umfrage, die nahezu zeitgleich mit Kauders Interview in der BILD veröffentlicht wurde.

Nach ihrer Meinung dazu gefragt, ob der Islam zu Deutschland gehöre, stimmten fast Zweidrittel der Deutschen (61 Prozent) der Position von Kauder und AfD zu. Auffällig an den Ergebnissen der repräsentativen Umfrage: Die Ablehnung des Islam fällt einmal mehr dort umso stärker aus, wo es besonders wenig davon gibt: im Osten des Landes.

Dass viele Deutsche nicht viel mehr über den Islam wissen, als dass er nicht zu Deutschland gehöre, scheint auch eine zweite aktuelle Umfrage zu bestätigen. Im Auftrag der Deutschen Presseagentur (dpa) hatte YouGov nicht-muslimische Deutsche danach gefragt, was sie über den Islam wissen.

Wenige der Befragten sind persönlich mit Muslimen in Kontakt gekommen

Das Ergebnis der britischen Meinungsforscher: nicht viel. In der repräsentativen Umfrage, gab jeder zweite Befragte (52 Prozent) zu, er habe nur wenig Ahnung vom Islam; jeder Fünfte gestand sogar ein, er wisse überhaupt nichts von der Religion, der rund vier Millionen Deutsche anhängen.

Noch geringer fällt die Zahl jener aus, die schon einmal persönlich mit Muslimen in Kontakt gekommen sind: 84 Prozent aller nicht-muslimischen Deutschen haben noch nie eine Moschee besucht. Muslime im eigenen Bekanntenkreis haben nur etwas mehr als ein Drittel (38 Prozent) der Befragten.

Zumindest bei einigen Besuchern der re:publica könnte sich dies seit Donnerstag geändert haben. Kein Vortrag von der diesjährigen re:publica erreichte im Netz mehr Zuschauer als Kübra Gümüşays Appell, Hass und Vorurteile im Netz mit "Organisierter Liebe" zu begegnen. Ihre Absage an ständige Islam-Debatten quotierten die Zuschauer am Mittwoch mit Standing Ovations. Die Innovationen der Tech- und Datenschutz-Konferenz re:publica war dem Rest der Gesellschaft schon häufiger um Jahre voraus.