Keine Angst vor dem Internet

Das südkoreanische Filmarchiv streamt Klassiker auf YouTube

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Wenn in den 1960er Jahren das französische, in den 1970er Jahren das italienische und in den 1990er Jahren das Hongkong-Kino Maßstäbe setzte, dann gebührt diese Ehre in den Nuller Jahren am ehesten dem koreanischen Film. Dass er Meisterwerke wie Oldboy und Samaria hervorbrachte, verdankt er auch einer Tradition, die vom südkoreanischen Filmarchiv KOFA mit einem Arbeits- und Innovationseifer bewahrt wird, von der sich vergleichbare Institute hierzulande eine Scheibe abschneiden könnten.

KOFA digitalisiert Filme, veröffentlicht DVD-Sammlungen und Bücher und betreibt eine Datenbank. Nun bietet das Archiv auch auf YouTube koreanische Klassiker mit englischen Untertiteln an, darunter zahlreiche von Shin Sang-ok, Im Kwon-Taek und Kim Ki-yung. Vor allem letzterer wird von den erfolgreichen koreanischen Filmemachern der Gegenwart wie Kim Ki-duk, Park Chan-wook und Bong Joon-ho gerne als Einfluss genannt. Der 1998 verstorbene gelernte Zahnarzt konzentrierte sich in seinen Filmen zwischen Melodram und Horror häufig auf die weibliche Psyche und schmuggelte viele verkappt sexuelle Inhalte an der Zensur vorbei. Das Filmhandwerk lernte er während des Koreakrieges, wo er für den United States Information Service Propagandastreifen drehte. Von dort bekam er auch seine ersten gebrauchten Kameras und Scheinwerfer mit denen er 1955 seine ersten beiden Melodramen drehte. Mit den Gewinn daraus gründete er seine eigene Produktionsfirma.

Hwanyeo von Kim Ki-yung. Eine Variation seines Klassikers von 1960.

1960 gelang Kim mit dem Proto-Noir-Film Hanyo (Das Hausmädchen) sein erstes Meisterwerk. Bald danach begann allerdings eine Zeit verschärfter Zensur, die er teilweise dadurch umging, dass in Filmen wie Chungyo (Insektenfrau) und Iodo filmsprachliche Mittel abseits der bestehenden Gewohnheiten entwickelte. Gerade diese Filme beeinflussten als Kinder jene Filmemacher, die später für die neue Blüte des koreanischen Kinos in den Nuller Jahren sorgten. Allerdings schwand der kommerzielle Erfolg Kims und Mitte der 1990er Jahre war er außerhalb der Fan-Zirkel, die sich im Internet bildeten, fast vergessen.

Auch Im Kwon-Taek hat seine wichtigste Anhängerschaft unter jenen Koreanern, die aktuell an Filmen mitwirken. Er galt in den 1960er Jahren als Hersteller von Heimatfilm-Massenware, der mit einem Ausstoß von bis zu sieben Filmen pro Jahr dafür sorgte, dass die koreanischen Kinos ihre Quote für das Zeigen von im Inland produziertem Material erfüllen konnten. Erst, nachdem er 1981 Mandala, drehte, änderte sich dieses Image. Sein kommerzieller Erfolg wurde dadurch nicht weniger, sondern mehr: Mit seiner Serie Janggunui adeul (Der Sohn des Generals) und Sopyonje (Die blinde Sängerin) brach er Anfang der 1990er Jahre Rekorde an der Kinokasse. 2001 gewann Im mit Chihwaseon (Gemaltes Feuer) als erster koreanischer Regisseur das Filmfestival in Cannes. 2008 wurde das Institut für Film und Kunst an der Dongseo-Universität in Busan nach dem Regisseur benannt, wo er bis heute Vorlesungen hält.

Jiokhwa (Blume in der Hölle) von Shin Sang-ok.

Shin Sang-ok, der 2006 starb, erlangte abseits der Kulturnachrichten viel Aufmerksamkeit, weil der nordkoreanische Diktator Kim Jong-il sein in Filmen wie Yeonsan-gun (Prinz Yeonsan) und Beongeoli Sam-ryong (Der taube Sam-ryong) manifestiertes Talent angeblich so schätzte, dass er den im Norden der koreanischen Halbinsel geborenen aber in Südkorea tätigen Regisseur 1978 nach Hong Kong lockte und dort entführen ließ.

Nordkorea behauptet bis heute, dass keine Entführung stattfand und Shin freiwillig nach Pjöngjang übersiedelte. Diese Version der Geschichte ist insofern nicht ganz ausgeschlossen, als der südkoreanische Militärdiktator Park Chung Hee kurz vorher das Studio des Regisseurs wegen Unbotmäßigkeit geschlossen hatte. Später ließ Kim Jong-il Shin seine ebenfalls entführte Ex-Frau Choi Eun-hee heiraten und Monsterfilme wie Pulgasari drehen. 1986 nutzten Shin und Choi ein Filmfestival in Wien, um sich in die USA abzusetzen. Nach Südkorea kehrte der Regisseur erst 1994 zurück, als ihm politische Veränderungen die Angst vor dem dortigen Geheimdienst genommen hatten. Sein letztes Projekt, ein Musical über Dschingis Khan, konnte er nicht mehr verwirklichen.

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