Keine Badeanzüge am Arbeitsplatz

Immer mehr US-Unternehmen überwachen Emails und Internet-Nutzung ihrer Mitarbeiter

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Wer auf Platz eins war, hatte nicht unbedingt gewonnen. Einmal im Monat bekam die Angestellten der US-Netzwerkfirma Cabletron ein Ranking aller Mitarbeiter nach ihrer online verbrachten Zeit. Das Fiese dabei: Jeder konnte ihre Lieblingsseiten sehen, samt einer gesonderten Auflistung solcher mit bösen Stichworten wie "Sex" oder "Einkaufen". Big Brother gegen eBay-Auktionen und Pornos. Der neue Geschäftführer Piyuch Patel hat im Juni vergangenen Jahres das Überwachungsprogramm aufgegeben. "Er vertraut den Leuten, dass sie ihre Arbeit machen", meinte der Technikchef. Viele US-Firmen tun das nicht. "Anstößige" Inhalte sind längst Kündigungsgrund. Prinzipiell ist das auch in Deutschland möglich.

Eine Studie (PDF-Dokument) der American Management Association (AMA), bei der 1045 Firmen befragt wurden, lässt einen konstanten Anstieg der Mitarbeiter-Überwachung deutlich werden. AMA ist eine nichtkommerzielle Organisation, die Firmen in Managementfragen berät. Gut 100000 Firmen mit einem Viertel aller US-Angestellten sind Mitglieder der Organisation. Den Zahlen zufolge überwachten 1997 nur 14,9 Prozent der Firmen die Emails ihrer Mitarbeiter. 1999 waren es schon 27 Prozent, in diesem Jahr soll der Anteil einer Schätzung zufolge auf 38,2 Prozent steigen. Den generellen Internetverkehr ihrer Angestellten überwachten 1999 45 Prozent der Firmen, auch hier ein Anstieg um zehn Prozentpunkte gegenüber 1997.

Welche Konsequenzen Überwachung haben kann, zeigt der Fall Dow Chemical. Der Chemie-Riese (40000 Angestellte weltweit) feuerte zum Anfang dieses Monats 50 Mitarbeiter und mahnte 200 weitere ab. Ein Mitarbeiter hatte sich beschwert, "anstößige" Bilder von anderen Anstellten zu bekommen. Dow Chemcial hat einen Firewall, der Mitarbeiter von Pornoseiten abhalten soll. Den umgingen einige, indem sie sich Bilder per Email kommen ließen und sie dann an interessierte Kollegen weiterverschickten. Laut Dow Chemical Sprecher Eric Grates kündigte die Unternehmensleitung daraufhin eine Untersuchung des eMail-Verkehrs an. Man fand dann neben dem Foto eines von einem Mülltransporter überfahrenen Motorradfahrers ein paar Badeanzug-Bildchen aus Sports Illustrated, Fotos nackter Frauen und Hardcore-Pornographie.

Gewerkschaftsvertreter wollen noch einmal mit Dow Chemical über die Entlassungen "reden". Kent Holsing von den United Steelworkers: "Natürlich finden wir einige der Bilder, die wir gesehen haben, unverzeihlich, aber vielleicht ist das Vorgehen zu hart. Die Angestellten fühlen sich nicht gut genug informiert über die Unternehmenspolitik in solchen Fragen." Unternehmenssprecher Eric Grates betont hingegen, im März hätten alle Mitarbeiter ein Buch über die Unternehmenspolitik erhalten, worin klar gesagt werde, dass ein Gebrauch der Computer für "private und anstößige Zwecke" verboten sei. Zur Nachrichtenagentur AP meinte er: "Darin wird eindeutig gesagt, was erlaubt ist und was nicht."

Sollte es tatsächlich so sein, kann das Vorgehen des Unternehmens nicht beanstandet werden. Kary Moss, Vertreterin der American Civil Liberties Union (ACLU) bestätigte gegenüber Salon, dass der erste Verfassungszusatz über die Meinungsfreiheit nicht uneingeschränkt am Arbeitsplatz gelte. Firmen hätten das Recht zu entscheiden, was ihre Mitarbeiter übers Firmennetzwerk sehen, lesen und schreiben dürfen - sofern sie diese Regelungen klar in einer allen zugänglichen Form darlegen. Dann seien sie auch nicht verpflichtet, die Mitarbeiter über eine Kontrolle der Email und Internetnutzung zu informieren. Die AMA fordert aber alle Mitgliedsunternehmen auf, die Mitarbeiter über Überwachungsmaßnahmen zu informieren.

Nicht nur bei Dow Chemical führte Email-Überwachung zu Kündigungen. Die New York Times entließ im vergangenen Jahr 23 Mitarbeiter, die "Anstößiges" über Firmen-Email versandt hatten. Die Überwachung wurde aber erst durchgeführt, als eine Mitarbeiter-Mail wegen Falschadressierung an den Firmenserver zurückging. Mit offiziellem NYT-Briefkopf hatte er versucht, "Vorteile für einen Bekannten zu erlangen". Xerox entließ 40 Mitarbeiter, die sich auf Pornographie- und Einkaufsseiten vergnügten, statt zu arbeiten. Das Wertpapierhandelshaus Edward Jones & Co. feuerte 18 Angestellte, die Pornos über Firmen-Email verschickt hatten.

Neben der verlorenen Arbeitszeit gibt es zwei Hauptgründe für die strikte Überwachung in den USA. Zum einen wollen sie sich vor möglicher Haftung schützen. Beschwert sich eine weibliche Angestellte über Pornos im Email-Fach und tut die Firma nicht viel dagegen, kann sie bald eine Klage wegen sexueller Belästigung am Hals haben. Unter anderem wegen Frauenwitzen per Firmen-Email musste 1995 der Öl-Konzern Chevron 2,2 Millionen Dollar zahlen.

Zum anderen können Mails zu Beweismitteln oder Quellen für Firmeninterna werden. Eric Greenberg, der AMA-Verantwortliche für Management Studien erklärt, warum es interessant ist, sie zu überwachen und archivieren: "Der Microsoft-Prozess hat gezeigt, wie Emails in einem Gerichtsverfahren von beiden Seiten benutzt werden können. Es hat sich also gezeigt, dass sie recht wertvoll sein können."

Wie viele Unternehmen in Deutschland Email-Verkehr und Internet-Nutzung ihrer Mitarbeiter überwachen, ist weder bekannt noch geschätzt. Grundsätzlich gilt aber, dass der Arbeitgeber weder Mails noch Internetnutzung überwachen darf. Grundlage sind hier die Bildschirmarbeitsplatzverordnung, die eine Verhaltens- und Leistungskontrolle ohne Wissen des Mitarbeiters untersagt, sowie das Betriebsverfassungsgesetz, das Verwendung von Technik wie Firewalls, Proxies und Mailservern zur Kontrolle der Mitarbeiter ohne Zustimmung des Betriebsrates verbietet. Details - zum Beispiel wie oft überwacht wird - müssen in einer Betriebsvereinbarung geregelt werden.

Das IT-Beratungsunternehmen CMG empfiehlt in jedem Fall klare Regelungen darüber, wofür der Internetzugang am Arbeitsplatz verwendet werden dürfe. Klar bedeute eindeutig mehr als vage Unschreibungen wie "unerwünscht", "anstößig" oder "den betrieblichen Fortlauf fördernd". "Online-Surfen am Arbeitsplatz ist für Arbeitsnehmer und Arbeitsgeber gleichermaßen gefährlich, solange eindeutige Regelungen dazu fehlen", glaubt CMG-Geschäftsführer Reinhold Friedrich. Sonst sei unklar, wer hafte, wenn zum Beispiel ein Mitarbeiter beim privaten Email-Verkehr einen Virus ins Firmennetz hole, über den Firmenzugang etwas bestelle, ohne nachher zu zahlen, oder gar illegale Inhalte auf dem Firmenserver gelangten. Erlaubt aber eine Firma eindeutig privates Surfen und Mailen, fällt die Nutzung unter das Fernmeldegeheimnis. Und das heißt, dass der Mitarbeiter dieselben Rechte hat wie gegenüber seinem Provider daheim.

In den USA werden inzwischen auch andere Methoden getestet, die Arbeitsfähigkeit zu garantieren. Eric Greenberg von der American Management Association wusste Salon eine lustige Geschichte von einem AMA-Mitglied - einem großen US-Versicherungskonzern - zu erzählen. Das Management dort verlor immer mehr Zeit durchs Solitärspielen. Und so wurde die Regelung eingeführt, immer dann einen anderen Mitarbeiter anzurufen, wenn man das Bedürfnis verspüre, den Windows-Klassiker zu starten. Und der erklärt dann, warum Solitär eine schlechte Idee ist.