Klage gegen Schleierfahndung

Die landesweite Schleierfahndung führt in Bayern vor allem zur pauschalen Kriminalisierung von Ausländern - glauben die bayerischen Grünen und klagen vorm Landesverfassungsgericht

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Bisher hat in Bayern ein Schwarzer gute Chancen im Zug einfach so von der Polizei überprüft zu werden. Weil er schwarz ist. Jetzt wollen die Grünen vorm Landesverfassungsgerichtshof gegen den Abschnitt Schleierfahndung im Polizeigesetz klagen, der so etwas fördert und ermöglicht.

Bayern führte 1995 als erstes Bundesland solche "verdachtsunabhängigen Polizeikontrollen" ein. Sie sollten eine angebliche Bedrohung durch die Öffnung der Grenzen kompensieren. Landesweit können Polizisten an Durchgangsstraßen, Bahnhöfen, in Zügen und Grenznähe überprüfen, wen sie aufgrund des Aussehens pauschal für verdächtig halten.

"Das Gesetz hat einen diskriminierenden Effekt, Andersaussehende stehen unter Pauschalverdacht", begründet Grünen-Rechtsexpertin Susanna Tausendfreund die Klage. Anfang kommender Woche wird ihre Grüne Landtagsfraktion eine Organklage einreichen, gleichzeitig erheben drei Abgeordnete Popularklage. Die ist im Freistaat auch ohne persönliche Betroffenheit möglich.

Die Klage beruft sich auf das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, welches das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Volkszählungsurteil von Artikel zwei des Grundgesetzes abgeleitet hat. Die bayerische Verfassung enthält einen sehr ähnlichen Abschnitt. So rechnen die Grünen auch fest mit einer Zulassung der Klage. Eine Entscheidung gibt es frühestens in acht Monaten. Nach einem Rechtsgutachten rechnen sich die Grünen gute Chancen aus. Sollte das Gericht die Schleierfahndung aber als verfassungsgemäß anerkennen, werden sie vorm BVG weiterklagen, da dann die bayerische Verfassung dann gegen Bundesrecht verstieße.

Die Erfolgschancen der Klage werden durch eine Entscheidung des Mecklenburg-Vorpommerischen Verfassungsgerichts erhöht. Das erklärte im Oktober vergangenen Jahres die landesweite Schleierfahndung für verfassungswidrig. Kontrollen seien grundsätzlich nur in einem 30 Kilometer Kordon an der Grenze zulässig, an Fernstraßen im Landesinneren nur bei gesetzlich definierte "Eingriffsschwellen".

Bayerns Innenminister Günther Becksein hat kein Verständnis für die Klage der Grünen: "Die verdachtsunabhängige Kontrolle hat sich als unverzichtbar erwiesen. Wer daran rütteln will, der gefährdet die Innere Sicherheit in unserem Land", erklärte er unlängst. Ähnlich sehen das Baden-Württemberg, Sachsen, Thüringen und Hessen. Dass Schleierfahndung nicht ein Mittel gegen Kriminelle, sondern gegen pauschal kriminalisierte Ausländer ist, ließ Bayerns Innenstaatssekretär Hermann Regensburger bei einer Rede Anfang April unbewusst durchblicken. Er sprach ausschließlich von "rumänischen Bandenzugehörigen, türkischen Tätergruppen, schwedischen Sinti, polnischen Staatsangehörigen, tschechischen Pärchen und eingeschleusten Armeniern".