Kleine Menschen gegen eine große Firma

Internetstreik in Polen

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Von einem großen Erfolg können die Veranstalter des polnischen Internet-Streiks am 1. Dezember wohl nicht sprechen: lediglich etwas mehr als 3600 Internauten haben sich verpflichtet, an diesem Tag die gesamtpolnische Zugangsnummer der polnischen Telekom 0-202122 nicht zu wählen. Auch die Telekomunikacja Polska SA (TP SA) reagiert gelassen. Die Streikenden wollen ab jetzt ihren Kampf um ein billigeres Internet jeden Sonntag wiederholen. Sie berufen sich dabei auf den deutschen Protest (siehe Kleiner Erfolg).

Die Streikenden - obwohl man in diesem Fall wohl eher vom Boykott und nicht vom Streik reden sollte - fordern, daß abends und an gesetzlichen Feiertagen alle Telefonverbindungsn zum Ortstarif (also auch die mit Internet via TP SA) um 50 Prozent billiger werden. Sie wollen auch Pauschalgebühren für den Internetzugang, sowohl bei der TP SA als auch bei privaten Internetanbietern, so daß man billiger als zum Ortstarif surfen kann. Auch das ISDN-Abo sollte billiger werden. Um das alles zu erkämpfen, haben sie zum Boykott der Telekom-Nummer 0-202122 aufgerufen: am 1. Dezember und dann jeden weiteren Sonntag. Außerdem wollen sie die Telekom massenhaft mit Beanstandungen für jede mißlungene (z.B. abgebrochene) Verbindung mit dieser Nummer bombardieren.

"Unsere Protest-Seite im Internet haben mehr als 20 000 Surfer besucht”, behauptet Bartosz Frankowski, zuständig für Pressekontakte im Streikkommitee. Seiner Meinung nach unterstützen den Boykott "inoffiziell” ca. 50 Prozent davon, obwohl es nur 3600 "offiziell” bekundet haben. Wenn man also annimmt, daß es in Polen ca.1 Million Internauten gibt, behauptet sich Frankowski als Vertreter von ca. 500 000 Benutzern. "Das Problem ist nur, daß zu wenig Menschen von unserem Protest wissen. Schuld daran sind Medien, vor allem das Fernsehen." Sein Komittee besteht aus zwei Schülern und einem jungen Erwachsenen, also aus sehr unerfahrenen und manchmal naiv denkenden Menschen, die im Kampf gegen das Riesenunternehmen TP SA wohl keine Chance haben. "Doch wenn man einen Elefanten kitzelt, erschrickt er manchmal und verschluckt sich”, hofft Frankowski.

Der Elefant bleibt aber nach wie vor ruhig. "Im Sommer haben die Internauten eine Protestkundgebung vor unserem Verwaltungsgebäude veranstaltet”, erinnert sich Bogdan Markiewicz von der Telekom-Pressestelle. "Es waren drei Vertreter eines Online-Magazins und 40 Journalisten, die über die Demonstration berichten wollten. Außerdem haben wir damals knapp 15 000 Protest-E-Mails bekommen. Wenn der heutige Streik ein ähnliches Ausmaß haben wird, werden wir ihn nicht einmal bemerken!”.

Überall in Polen kann man zum Ortstarif die Nummer 0-202122 wählen und ohne Zeitlimit surfen. Die Nachfrage ist so groß, daß man die Nummer mehrmals wählen muß, um endlich ins Netz zu kommen. Laut Markiewicz stehen heute den Internauten ca. 6 000 Telekom-Modems zur Verfügung. Bis Ende 1998 soll ihre Anzahl bis auf 9000 wachsen, aber der Stau im polnischen Netz bleibe unverändert. Vor allem in Verbindungen mit Ausland sei keine Besserung zu erwarten. Welchen Zweck hätte es also, so Markiewicz, noch mehr Verkehr in das sowieso verstopfte Netz hereinzulassen?

Pauschalgebühren widersprechen der Telekom-Philosophie, denn dabei müßte man jeden User registrieren. Aufgebaut wurde das Internet mit einem "Zugang für alle”. Mehr noch: der Internet-Zugang als solcher sei bei der polnischen Telekom gratis, man bezahle "lediglich” die Telefonkosten. "Wir sind in der Lage, jedem einzelnen Kunden einen Zugang zu niedrigeren Preisen anzubieten, kein Problem. Damit würden wir aber auch alle Provider vom Markt verdrängen - und das wollen wir nicht, denn man würde sofort sagen, wir betreiben monopolistische Praktiken”, erklärt Markiewicz.

Die Telekom hat auch keine Angst vor Beanstandungen, weil sie nicht für den eigentlichen Zugang, sondern nur für die Telefonverbindung verantwortlich ist. "Und wie kann uns bitte der Internaut beweisen, daß er tatsächlich nicht ins Netz kam oder daß seine Verbindung abgestürzt ist?”, fragt Markiewicz. Hinzu komme, daß an solchen Abstürzen nicht nur die Telekom, sondern auch oft die Software beim Surfer schuldig sei.

Solange also die "durchschnittlichen polnischen Internetbenutzer” (wie sie sich selbst bezeichnen) gegen die TP SA kämpfen, sind ihre Erfolgschancen eher gering. Es kann für sie übrigens noch schlimmer werden: die Telekom wird privatisiert und viel hängt davon ab, welche ausländische Firma mit ihrem Know-how ihre Aktien kaufen wird. Die Kontrolle über Telefongebühren bleibt nämlich nicht mehr lange eine souveräne polnische Entscheidung. Das aber entscheiden Politiker und Manager. An erstere, wie auch an die Medien, wenden sich jetzt oft die Streikenden. Vielleicht finden sie bei den Managern eines Tages die nötige Unterstützung?

Um etwa 14.30 haben allerdings auch Hacker den polnischen Protest unterstützt und die Seite der polnischen Telekom umgemodelt. Aus dem TP-(SA) Logo entstand "Teraz Phreaking" (Phreaking now) und aus "Telekomunikacja Polska SA" - Telekomuna (deutsch etwa "die Telekommunisten") Polska SA. Laczy nas coraz wiecej ist eine Werbeparole der TP SA, jetzt begleitet von der eher unanstaendigen, oben befindlichen Zeichnung. Die Hacker-Gruppe nennt sich "Gumisie". Die gehackte Seite findet man hier.