Kleines Arschloch bringt Millionen

Der Alternativ-Verlag Eichborn geht an die Börse.

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Mit dem Gang an die Börse bewahrt sich Eichborn zwar als einer der wenigen deutschen Verlage die Unabhängigkeit von Konzernen. Aber auch außerhalb von Bertelsmann, Holtzbrinck und Springer muss mit Büchern Geld verdient werden.

Ende 1999 hat der Eichborn das Schwarzbuch Kapitalismus herausgebracht. Nun geht der konzernunabhängige Verlag an die Börse. Bis zum 5. Mai können noch eine Million Aktien - ein Fünftel der Stückaktien - gezeichnet werden. Ab dem 9. Mai soll das Frankfurter "Unternehmen mit der Fliege" dann im Smax, dem deutschen Börsensegment für wachstumsstarke mittelständische Unternehmen notiert werden. Bis zu 24 Millionen Mark - es werden wohl eher zehn sein - könnte das ganze den Antikapitalismus-Verlegern bescheren.

Fischer-Lektor Vito von Eichborn gründete den Verlag 1980 als Alternative. Als Hans Magnus Enzensberger 1989 mit seiner "Anderen Bibliothek" dazustieß, war das Image perfekt. Bei Eichborn schwingt mit: unkonventionell, Alt-68, WG, Studenten. Seit 1992 gehören dazu aber auch: Merchandising, Kochbücher, Ratgeber, Comics, "Das kleine Arschloch", "Der Campus". Nach einem Gewinneinbruch Anfang der 90er verließ Vito von Eichborn seine Gründung - seitdem macht Eichborn ordentlich Kohle und wirkt mehr und mehr wie eine Halde, auf der die Büffetreste verschiedenster Hotels zusammengekippt werden. "Gemischtwarenladen" nennen Wirtschaftsjournalisten das liebevoll.

Einborn bringt im Jahr 200 Bücher heraus. Im vergangenen Jahr bescherte das einen Umsatz von 38,8 Millionen Mark - eine Steigerung von 20 Prozent zu 1998. Größter Erfolg: 1,4 Millionen mal ging "Aldidente", ein Kochbuch für alle Liebhaber des Billig-Gemischtwarenladens weg. Aber noch sitzt der Verlag ganz milieugemäß in der Frankfurter Kaiserstraße. In der sagen sich Junkies, Prostituierte und Dealer "Gute Nacht". Blickt man aus den Eichborn-Büros die Straße hinunter, sieht man Frankfurts Banken- und Börsenviertel.

Die Aussicht hat Programmgeschäftsführer Wolfgang Ferchel beflügelt. Über Bücher redet er so: "Eichborn labelt erfolgreich Inhalte, besser gesagt, veredelt sie über den Buchmarkt. Dies wollen wir weitermachen. Darüber hinaus aber wollen wir in der Zukunft die gesamten Rechte, die wir an einem erfolgreichen Titel haben, noch effizienter nutzen. Das ist nicht ohne neues Kapital möglich, und es eröffnet uns ganz neue wirtschaftliche Dimensionen." Da will mal wieder jemand zum Medienunternehmen werden.

Unternehmensvorstand Matthias Kierzek hat da ganz ähnliche Vorstellungen wie andere Aspiranten: Filme produzieren und was im Internet machen. Ganz konkret will er demnächst Eichbornstoffe selbst fürs Kino umsetzen, einen individualisierten Ratgeberdienst im Internet aufbauen - und in den nächsten zwei Jahren für je sechs Millionen Mark kleinere Unternehmen kaufen. Das klingt alles sehr nach Verrat an Idealen, Ausverkauf und allerlei sonstigen schlimmen Dingen. Einerseits. Andererseits muss man sich das Verlagsgeschäft anschauen. Und da hat Eichborn-Vorstand Kierzek mit seiner Beschreibung recht: "Es gibt ja nicht mehr viele Unabhängige, die frei sind von einer Einbindung in die großen Drei: Springer, Bertelsmann und Holtzbrinck. Wir aber glauben, dass es sich für unabhängige Verlage mehr denn je lohnt, ihre Selbstbestimmung zu behaupten und ihre Position auszubauen. Und das heißt Wachstum."

Was die Größe einer Verlags ausmacht, zeigt das Beispiel Klaus Wagenbach. Der unabhängige Berliner Verlag hatte den Roman "Ausweitung der Kampfzone" des bis dahin unbekannten Michel Houellebecq vor dem Hype in Frankreich gekauft und in Deutschland erfolgreich verlegt. Die Rechte für Houellebecqs nächstes Buch "Elementarteilchen" konnte sich Wagenbach dann nicht mehr leisten, die gingen an den kapitalstarken Kölner DuMont Verlag. Wachsen muss Eichborn also in der Tat.

Nur haben das deutsche Verlage bisher immer gemacht, indem sie unter einen Konzernrock schlüpften. Bereits in den 60ern verkaufte Gottfried Bermann Fischer den S. Fischer Verlag an Holtzbrinck. Zu dem Stuttgarter Konzern - der unter anderem auch Tagesspiegel, Handelsblatt, Wirtschaftswoche und Zeit verlegt - gehören auch Droemer-Knaur, Rowohlt, Wunderlich, J. B. Metzler, Kindler und zu einem kleinen Teil Kiepenheuer & Witsch. Bertelsmann nennt Goldmann, Blessing, seit 1998 den Siedler Verlag und den Berlin Verlag sein eigen. Zu Springer gehören Econ, Claassen, Propyläen, Quadriga, Ullstein und List.

Bisher sind die Verlage damit gut gefahren. Vor allem Holtzbrinck hatte den - berechtigten - Ruf, seine Verlage nicht in den Konzern einzugliedern sondern dezentral an der langen Leine agieren zu lassen. Die Leine ist kürzer geworden. Anfang März hieß es, die größte Verlagsgruppe im Konzern Droemer-Weltbild, "ordne die Programme neu". Das hieß schlicht: Die Verlage Edition Spangenberg, Fretz & Wasmuth stehen vor dem Aus. Auch die Traditionshäuser Rowohlt und Fischer bekommen die neue Härte zu spüren. Beide sind kommerziell nicht gerade erfolgreich. Rowohlt hat angeblich in den vergangenen zwei Jahren jeweils so an die zehn Millionen Mark verloren - bei einem Umsatz um die 100 Millionen.

Bei Holtzbrinck gibt es zwar keine kurze Leine, aber dafür "Commitmens". Das sind jährliche Selbstverpflichtungen der Häuser, einen bestimmten Umsatz zu erzielen. Da das wohl in die Hose ging, sind bei Fischer und Rowohlt seit Jahresbeginn Unternehmensberater von McKinsey am Werk. Bereits im Herbst 1999 wurde Peter Wilfert als Rowohlt-Geschäftsführer eingesetzt. Er machte klar, die Unterverlage Rowohlt Berlin, Wunderlich, Kindler sollten zu Marken aufgebaut werden und jede davon müsse "wirtschaftlich gesund sein". Das heißt, es gibt keine gegenseitige Subventionierung mehr. Bücher, die kein Geld bringen, werden auch nicht verlegt. Verlagsleiter Nikolaus Hansen spricht von "einer neuen Speespitze des Mainstreams" und vom Umsatz, der in zwei Jahren auf 125 Millionen steigen soll. Bei Rowohlt Berlin haben die neuen Verlagsschwerpunkte ("jünger, schneller, großstädtischer") prompt dazu geführt, dass Lektoren kündigten.

Konzernanbindung bedeutet also zusehends Verlust der Unabhängigkeit. Drüber können auch "dezentrale Modelle" a la Holtzbrinck nicht hinwegtäuschen. Und so erscheint der Börsengang von Eichborn nicht nur als großes Reibachmachen. Ob es allerdings etwas mit Schützen von Idealen zu tun hat, ist auch fraglich. Denn bei Eichborn ist das wirtschaftliche Denken, das Holtzbrinck jetzt den Rowohltern nahe bringen will, längst normaler Gemütszustand. Programm-Geschäftsführer Ferchl: "Bei uns gibt es keine Programmbereiche, die wir wirtschaftlich durchschleppen. Natürlich gibt es immer einzelne Bücher, bei denen uns der Inhalt wichtiger ist als die Ökonomie. Aber es gibt keine Programmbereiche, die unrentabel sind, jeder schreibt positive Deckungsbeträge." Und das wird durch den Börsengang noch verschärft.

Eichborn muss sich als AG nicht so arg um Bücher sorgen, sondern mehr an die Zukunftsperspektive für Aktionäre denken. Also ans Filmgeschäft. Und an die Rendite - einen kleinen Betrag will man schon im ersten Geschäftsjahr als AG ausschütten.

Mit 68-Idealen kann man halt keine Geschäft machen. Das hat Kierzek schon vor zehn Jahren schmerzlich gelernt. Damals übernahm er die Frankfurter Stadtillustrierte "Pflasterstrand". Das Blatt sollte zum Hochglanz-Politmagazin werden. Ein Jahr später machten die Buchhalter dem ein Ende.