Kleinkrieg zwischen Internet-Stadtstaaten

Niedersachsens Kulturserver auf Expansionskurs, gerät in Berlin unter Beschuss.

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Seit mehr als einem Jahr läuft das mit Fördergeldern finanzierte Projekt Kulturserver und bringt die im Flächenstaat Niedersachsen verstreuten Kulturprojekte und Künstler in einer Online-Community zusammen. Das Projekt, das im Begriff ist, auch in Berlin und Sachsen-Anhalt ähnliche Server zu betreiben, sah sich bei einer Präsentation bei der Mikro Lounge in Berlin mit unerwartet heftiger und nach Ansicht von Krystian Woznicki unsachlicher Kritik konfrontiert.

Kulturserver der Länder

Das Online-Community-Projekt Kulturserver von Ponton European Media Art Lab läuft seit mehr als einem Jahr erfolgreich in Niedersachsen. Es gibt Kulturschaffenden, die nicht auf neue Medien spezialisiert sind, die Möglichkeit einer Repräsentanz im Internet. Auch Veranstaltungstermine können angekündigt werden. Derzeit sind 900 Nutzer im System und haben dort ihre Heimseiten. Vier neue Homepages kommen im Schnitt täglich hinzu und bis zu 2000 Termine werden monatlich eingetragen. Seit Anfang Mai ist man nun auf Expansionskurs und nimmt andere Bundesländer ins Visier, zunächst vor allem Sachsen-Anhalt und Berlin.

Neben der geographischen Expansion gibt es allerlei Erweiterungen des Systems. Besonders nennenswert ist die Einrichtung eines offenen Online-Radio-Kanals. Wie schon beim auch ohne HTML-Kenntnisse nutzbaren Kulturserver-Homepage-Baukasten können Nutzer nun von zu Hause aus über ein einfaches Interface Audio senden. Bei der Mikro-Lounge Anfang dieses Monats hätte man nun diskutieren können, wie sich ein auf regionaler Vernetzung basierendes Community-System auf andere Regionen übertragen läßt. Doch solche Ansätze, ob nun auf medientheoretischer oder technischer Ebene, waren bei dem beliebten Diskussionsforum mit hauptstädtischem Flair nicht präsent. Stattdessen kam es zum Zusammenstoss der verschiedenen Server-Kulturen und der an sie gestellten Erwartungen.

"Wir haben hier wirklich Krieg"

Geladen waren vier verschiedene Vertreter, die kulturellen Inhalt mit Berlinbezug im Internet präsentieren. Nachdem Art-on, Kulturserver, Heimat.de und die inzwischen "versunkene" Internationale Stadt Berlin (die Internationale Stadt Bremen existiert noch) sich wortreich vorgestellt hatten, schwenkte die Diskussion auf sehr unfruchtbaren Boden. Plötzlich stand Kulturserver unter Beschuss. Magische Patronen, nicht aber Argumente wurden verschossen. Symptomatisch für die emotionaliserte Diskussion war, daß dort eine potentiell repräsentative Vertretung des Zusammenschlusses Open Berlin zusammengekommen war, ohne daß auch nur an einer Stelle durchgeklungen wäre, was Open Berlin sich zum Ziel gesetzt hat: eine strategische Allianz gegen das zentralistisch ausgerichtete Berlin.de (siehe Tilman Baumgärtels Kritik) zu gründen.

Die langsame Revolution

Seitens Heimat.de, die mit ihrer Einrichtung der Culture base "nichts weiter als ein Tool" anbieten wollen, wurde die Forderung laut, man müsse für alternative Schulungsmöglichkeiten im Bereich Internet und Programmiersprachen sorgen - eine politisch berechtigte Forderung, die hie und da auch schon in Mikro-Kreisen angeklungen war. Kulturserver hingegen steckt sich zum Ziel, eine regionale Online-Community zu generieren. Das Ziel, integrativ und inklusiv zu arbeiten, und dabei so etwas wie Öffentlichkeitsarbeit im Bereich von Internet zu leisten, wäre somit wesentlich kurzfristiger gesteckt und ist sicherlich weniger utopisch als die Erwartung, große Teile der Bevölkerung würden HTML, Javascript und Perl lernen wollen.

Das schnelle Medium

Der Vorteil (Internet-Afficionados mögen es als Nachteil sehen) von Kulturserver ist die Einfachheit in der Handhabung und die Bereitstellung eines Homepage-Baukastens. So ist durchaus denkbar, daß User, die Kulturserver bereits aus Niedersachsen kennen, oder, von jeder anderen Stadt kommend, sich kurz vor einer anstehenden Reise nach Berlin eintragen - was mit einer simplen Anmeldung getan ist - und sich durch die Benennung ihrer Interessensfelder mit ähnlich gesinnten Berlinern vernetzen können. Kursierende E-Mail Newsletter, die von Kulturserver-Usern in Berlin erstellt werden, wären zu erwarten. Sicherlich ist das ein ideales Szenario. Eine andere, einfachere Möglichkeit bestünde darin, die nach den verschiedensten kulturellen Feldern - von Kunst bis Oper - eingeteilte Menüleiste abzugrasen, und auf diesem Wege direkt mit anderen Einwohnern Kontakt aufzunehmen.

Kulturserver ist aber auch - wenn man will - ein anonymer Infopool beziehungsweise ein Forum, in dem sogenannte Kulturschaffende ihre Events in einem Kalender ankündigen.

Der Mensch macht die Stadt

Wie es Benjamin Heidersberger, der Direktor von Ponton-Media, auf der Mikro Lounge formulierte, geht es bei der Community nicht darum, eine räumliche sondern eine inhaltliche Struktur zu generieren. In diesem Sinne ist Kulturserver als Ganzes zwar eine Gemeinschaft, es bilden sich aber auch innerhalb des Systems interessensbezogene Gruppen. In diesem Zusammenhang ist die Übersetzung des Systems ins Türkische eine wichtige Erweiterung für die Lokalisierung des Projekts. Abzusehen bleibt, inwiefern Kulturschaffende sich auch systemübergreifend mit Gleichgesinnten innerhalb der vielschichtigen und heterogenen Region vernetzen. Nur weil es im Kulturserver nicht angelegt ist, bedeutet es noch lange nicht, daß das System dies verhindert.