Klickarbeiter: Nur Sklaven retten das Internet

Bild: Unsplash

KI wird gerne als Game Changer im Internet propagiert. Ihre Fähigkeiten sind jedoch sichtbar begrenzt. Die Realität des Internets ist deutlich prosaischer und zeigt sich ziemlich unverblümt als Sklaverei.

Wer hierzulande Angst hat, seinen Arbeitsplatz durch die sogenannte künstliche Intelligenz zu verlieren, hat vielleicht mit seinem Bürojob die falsche Wahl getroffen, lebt aber zumindest in einem sozialen Umfeld, das ihn auffangen und sein Überleben sichern kann.

Wer dieses Glück nicht hat, weil die Verhältnisse nicht so traumhaft sind wie bei uns, der muss wirklich sehen, wie er überlebt. Und die Bedingungen sind auch in Mitteleuropa hochbrisant.

Der Online-Handel benötigt Sklaven zum Überleben

Wenn Arbeiter im solothurnischen Neuendorf bei Ceva Logistics, einer Tochter des französischen Logistikkonzerns CMA CGM, für Zalando Gratisretouren kontrollieren, herrschen Arbeitsbedingungen, wie sie in der Schweiz niemand erwarten würde.

Auspacken, Grösse und Farbe kontrollieren, riechen, ob die Kleider noch ungetragen sind, und das bei mindestens 41 Kleidungsstücken pro Stunde. Wer diese Leistung nicht bringt, dem droht die Kündigung. Da die meisten der rund 500 Beschäftigten nur eine Kurzaufenthaltsbewilligung L haben, verlieren sie diese, wenn sie keinen Job haben, und müssen das Land verlassen.

Prekär erscheint die Situation für die Beschäftigten auch deshalb, weil sie nicht beim Zalando-Dienstleister Ceva Logistics angestellt sind, sondern von einer der großen Leiharbeitsfirmen wie Adecco oder Kelly Services vermittelt werden, die beide beteuern, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten.

KI-Sklaven in Ostafrika

Der vergleichsweise gute Ausbau des Internets in Ostafrika schafft die Grundlage für die Ausbeutung sogenannter Clickworker (Klickarbeiter). Das sind die Ausbilder der künstlichen Intelligenz. Sie sitzen in Kenia oder Kolumbien und bringen den Maschinen das Wissen über die Welt bei.

Dabei zeigt sich, dass Künstliche Intelligenz gar nicht so künstlich ist, wie die Anwender hierzulande glauben. Die vermeintlich neue Technologie, die die Arbeitswelt umkrempeln soll, basiert im Wesentlichen auf der Handarbeit unterbezahlter Beschäftigter. Sie müssen zum Beispiel anhand von Drohnenbildern bestimmen, wo die Lieferdrohnen ihre Pakete absetzen können.

Andere schlecht bezahlte Beschäftigte in Kenia wurden beispielsweise für ChatGPT angeheuert, um anstößige oder illegale Aussagen in den Texten, mit denen die KI-Programme trainiert werden, zu markieren und so aus dem zu lernenden Kontext auszuschließen.

Über die psychische Belastung der mit der Textfilterung Beschäftigten, die pro Neun-Stunden-Schicht zwischen 150 und 250 Textpassagen bewerten müssen, wird selten gesprochen.

Über die Folgen der manuellen Filterung durch unterbezahlte afrikanische Arbeitskräfte macht sich hierzulande niemand Gedanken. Ostafrika ist zu weit weg von den Nutzern in den Industrieländern.

Cyber-Sklaven in Asien

In asiatischen Ländern, deren Rechtssystem sich von dem mitteleuropäischer Staaten stark unterscheidet, bietet das Internet kriminellen Banden ein weitgehend freies Betätigungsfeld, die nach einem Bericht der Vereinten Nationen in Südostasien Hunderttausende von Menschen in die Cyberkriminalität getrieben haben. Allein in Myanmar sollen mindestens 120.000 Menschen betroffen sein, in Kambodscha 100.000.

Was in China nicht erlaubt ist, wird von chinesischen Investoren, die man oft auch als Banden bezeichnen könnte, realisiert. So sind in der kambodschanischen Küstenstadt Sianhoukville Hunderte von Casinos entstanden. Geldwäsche, Prostitution und illegale Aktivitäten haben hier ihre Nische gefunden und erleben seit Corona einen enormen Boom.

Eine ganze Armada von Cyber-Sklaven arbeitet hier, um im Internet zu betrügen und so Millionen zu verdienen. Die Banden setzen ihre Arbeitssklaven für Kryptobetrug in Wettbüros und für Erpressung ein, zum Beispiel bei Love Scams.

Dabei machen sich Personen über Dating-Plattformen an Kontaktsuchende heran, umschmeicheln sie und fordern später Geld, entweder für angeblich kranke Verwandte oder um angeblich eine gemeinsame Zukunft aufzubauen.

Während sich die chinesische Regierung verstärkt um eine Regulierung des Internets bemüht, um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken, werden die Regierungen der Nachbarländer eher dazu gedrängt, ihren wirtschaftsliberalen Kurs fortzusetzen und wenig Rücksicht auf die Ausbeutung der Bevölkerung zu nehmen.

Welche Auswirkungen dies auf die gesellschaftliche und letztlich auch wirtschaftliche Entwicklung der Schwellenländer haben wird, ist derzeit kaum absehbar.