Klima-RAF oder Suffragetten von heute?

Niemand weiß, was Emmeline Pankhurst heute zur Klimakrise sagen würde. Vieles, was der Bewegung vorgeworfen wird, käme ihr aber bekannt vor. Foto: Urheber unbekannt / Quelle: Imperial War Museum

Die "Letzte Generation" wird mit bewaffneten Gruppen verglichen. Große Medienkonzerne sind gegen sie, Umfragewerte katastrophal. Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht machten sich ähnlich unbeliebt.

Die "Letzte Generation" wurde schon mit bewaffneten Gruppen der 1970er-Jahre wie der RAF und der Bewegung 2. Juni verglichen, bevor sie anfing, den Berufsverkehr zu blockieren.

Anlass für den ersten Vergleich dieser Art war schon der Hungerstreik der "Letzten Generation" im Spätsommer 2021 im Berliner Regierungsviertel. Zunächst waren es sieben junge Menschen im Alter zwischen 18 und 27 Jahren, die dort die Nahrungsaufnahme verweigerten und ein Gespräch mit Spitzenpolitikern über effektiven Klimaschutz verlangten.

Sie suchten den Dialog, vertrauten auf die Kraft der Argumente, unterschätzten damals vielleicht noch den Einfluss von Lobbyisten und riskierten die eigene Gesundheit, ohne andere Menschen zu verletzen. Ein größerer Kontrast zur RAF, deren Mitglieder in den 1970er-Jahren bewaffnet gegen die Staatsmacht gekämpft hatten, bevor sie im Gefängnis zum Mittel des Hungerstreiks griffen, um ihre Haftbedingungen zu verbessern, war eigentlich kaum vorstellbar.

Der Kolumnist der Berliner Morgenpost, Hajo Schumacher, verglich den Hungerstreik der "Letzten Generation" aber sogar mit Entführungsfällen der 1970er-Jahre, in denen Nachgiebigkeit Terrorismus gefördert habe. In einer Demokratie sei so eine "Erpressung des Staates" unangemessen, betonte er.

Entscheidend ist nach dieser Logik nicht, ob andere Menschen verletzt werden – was die "Letzte Generation" nach wie vor ablehnt – sondern dass der Staat nicht unter Druck gesetzt werden darf. Egal, was er tut oder lässt – und ob er die natürlichen Lebensgrundlagen schützt, wie es im Grundgesetz steht. Letzteres verlangt die "Letzte Generation" in Form effektiverer Klimaschutzmaßnahmen. Selbst der Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hält sie daher inhaltlich für "nicht extremistisch".

Aber könnte sie nicht doch irgendwie mit der RAF vergleichbar sein, allein schon deshalb, weil auch Mitglieder der "Letzten Generation" bereit sind, für ihre Ziele ins Gefängnis zu gehen?

Sowohl die Klimabewegung selbst als auch Protestforscher sehen sie eher in der Tradition der Suffragetten, die vor mehr als 100 Jahren in Großbritannien mit erheblichen Störungen des öffentlichen Lebens, zum Teil auch mit Sabotageakten für das Frauenwahlrecht kämpften.

Und da sind wir beim Unterschied zwischen Legalität und Legitimität: Ob und wie dieser Unterschied wahrgenommen wird, hängt immer vom Zeitgeist ab. Das Frauenwahlrecht würden heute in der westlichen Welt nur noch sehr wenige Menschen in Frage stellen. Selbst männliche Wähler rechtskonservativer Parteien tun das heute selten in nüchternem Zustand.

Es gab aber Zeiten, da war nicht nur die übergroße Mehrheit der Männer dagegen, sondern auch ein Großteil der Frauen wollte nichts mit den Suffragetten und deren Forderung nach einem Stimmrecht zu tun haben – sie galten ja als unweiblich.

"Die werden uns hassen"

Das galt natürlich erst recht, als sie sich radikalisierten, nachdem sie für ihre friedlichen Demonstrationen und "Picket Lines" – also das Umherlaufen mit Schildern und Plakaten im Gänsemarsch lange Zeit nichts gebracht hatten. Die Beteiligten wurden oft bestenfalls ausgelacht. Eine richtige Frau sollte das politische Denken an ihren Ernährer delegieren, sich darüber nicht den "hübschen Kopf zerbrechen", sondern sich um Haus und Kinder kümmern und sich freuen, wenn der Göttergatte ihr ab und zu ein neues Kleid kaufte.

So dachte um 1900 in vielen westlichen Ländern die Mehrheit. Politik und Presse waren sich überwiegend einig, dass das Problem nicht bei der rückständigen Mehrheit, sondern bei den Frauenrechtlerinnen, ihrer fixen Idee und ihren radikalen Methoden lag.

Statt verständnisvoll auf den patriarchal geprägten Durchschnittsmann zuzugehen, der ihnen eine Nase gedreht hätte, trieben sie den Preis für die Ungerechtigkeit hoch, indem sie störten, wo sie konnten.

Dann wurde natürlich zunächst umso verbissener behauptet, das Problem liege allein bei ihnen – und nicht etwa bei denen, die ihnen das Wahlrecht verweigerten. Sie sollten doch bitteschön etwas netter sein und hoffen, dass die Gesellschaft irgendwann vor ihrem Ableben so weit sei, es ihnen zu gewähren. Sie ahnten aber wohl, dass sie das kaum noch erlebt hätten, wenn sie sich nach den Befindlichkeiten der männerdominierten, aber nicht rein männlichen Mehrheit gerichtet hätten. Stattdessen meinten sie, das Wahlrecht stehe ihnen zu – und sie nervten durchaus auch militant, bis sie es bekamen.

In dem Dokudrama "Die Hälfte der Welt gehört uns" gibt es eine eindrucksvolle Szene, in der Esther Schweins in der Rolle der britischen Frauenrechtlerin Emmeline Pankhurst ihren Mitstreiterinnen beim Aktionstraining sagt: "Die werden uns hassen." Auch die Frauen würden das zum Teil erst mal tun.

Denn bei sehr vielen Frauen funktionierte das "Gaslighting": Der Versuch, ihnen einzureden, dass ihre Wahrnehmung nicht stimmte, wenn sie etwas als ungerecht empfanden. Nicht so bei den Suffragetten. Irgendwann lösten sie Fehlalarme aus, schütteten Säure in Briefkästen und durchtrennten Telegraphenkabel. "Gewalt gegen Sachen" übten sie in großem Stil aus.

Hätten sie gemäß ihrer weiblichen Sozialisation um jeden Preis von der übergroßen Mehrheit gemocht werden wollen, hätten die meisten Europäerinnen vielleicht heute noch kein Wahlrecht. In der Schweiz hat es schließlich bis 1971 gedauert; in Deutschland nur bis 1918.

Der Faktor Zeitdruck

Mehr als fünf Jahrzehnte Unterschied – aber immerhin konnten sich rechtlose Frauen einst damit trösten, dass es ihnen Töchtern vielleicht einmal besser gehen würde. Das ist der Unterschied zum Anliegen der "Letzten Generation", denn die heißt so, weil die Generationen nach ihr die Klimakatastrophe nicht mehr eindämmen können.

Den Töchtern und Söhnen wird es schlechter gehen, wenn das Ruder nicht bald herumgerissen wird. Sie können dann nur noch versuchen, durch sündhaft teure Anpassungsmaßnahmen und riskantes Geo-Engineering möglichst große Teile der Erde bewohnbar zu halten. Welche Technologien dann vielleicht (!) zur Verfügung stehen und welche Länder sich das leisten können, ist völlig unklar. Das heutige Framing vom teuren Klimaschutz dürfte dann als zynischer Treppenwitz der Geschichte betrachtet werden.

Diesen Zeitdruck haben der Weltklimarat und der UN-Generalsekretär in den letzten Jahren immer wieder unterstrichen – und vor zwei Jahren tat dies auch das Bundesverfassungsgericht.

Angemeldete Demonstrationen mit bundesweit mehr als einer Million Beteiligten hatten bis dahin keine Bundesregierung zu Klimaschutzmaßnahmen bewegt, die einen fairen deutschen Beitrag an der Einhaltung der Pariser Klimaschutzziele gewährleisten könnten.

Umfragewerte zeigen auch das Ausmaß der Verdrängung

Diejenigen, die darauf beharren und zu "nervigeren" Aktionsformen greifen, müssen sich heute anhören, das Problem liege nur oder hauptsächlich bei ihnen und ihren falschen Methoden – und keinesfalls bei der Regierung und der Mehrheit, die es vorzieht, das Problem zu verdrängen. Laut einer Statista-Umfrage verurteilen 81 Prozent der Bevölkerung die Aktionen der "Letzten Generation".

Und nicht nur Leugner des systembedingten Klimawandels weigern sich, das Hauptproblem bei der Verdrängungsgesellschaft zu sehen. Nein, die Klimabewegung soll mehr Verständnis dafür haben, dass die Mehrheit auch weiterhin das Problem verdrängen und nicht in ihrem Alltag gestört werden will.

Skandalberichte über "unbefristeten Klima-Krieg"

Wer das "Business als usual" stört, muss mit Terrorismusvorwürfen rechnen. Angesichts der nervigen, aber immer noch gewaltfreien Straßenblockaden versucht inzwischen auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung eine "Klima-RAF" herbeizuschreiben, vor der im November schon CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warnte. Die Bild sprach unlängst von einem "unbefristeten Klima-Krieg" und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zieht Vergleiche zu blutigen Straßenkämpfen der 1930er-Jahre.

Bisher ging die körperliche Gewalt bei den Blockaden allerdings einseitig von motorisierten Wutbürgern aus – auch Polizisten wenden zum Teil Schmerzgriffe an, die für die Räumung der Straße unnötig wären. Die Polizei weist allerdings darauf hin, dass Zivilisten sich strafbar machen können, wenn sie es ihr gleichtun.

Derweil kämpft die Axel-Springer-Verlagsgruppe publizistisch an vorderster Front um Verständnis für Wutbürger, mit und ohne polizeiliche Befugnisse, die rabiat gegen nervige "Klimakleber" (mit und ohne Klebstoff) vorgehen. Mittlerweile ist auch bekannt, was zu vermuten war: dass Springer-Chef Mathias Döpfner den Klimawandel als solchen gut findet. Er betrifft ja auch nicht primär wohlhabende weiße Männer um die 60; der Rest der Welt muss eben flexibel sein und sehen, wo er bleibt, aber so deutlich sagt man das ärmeren und jüngeren Bild-Lesern lieber nicht.

Einer der größten Medienkonzerne hat also durchaus ein inhaltliches Problem mit der Klimabewegung und den Erkenntnissen wissenschaftlicher Gremien wie dem Weltklimarat – nicht nur mit den Methoden einzelner Gruppen. Letzteres vorzuschieben, macht sich allerdings besser, wenn man nicht offiziell zu den Leugnern des Problems gehören will.

Diesen Part übernehmen dann rechtsesoterische "Alternativmedien", die von der Blattlinie bei Springer vor allem unterscheidet, dass sie keine braven Atlantiker sind. Ansonsten verbreiten sie in vielen Punkten ähnliche Narrative.

Denkfaulheit und Wutreflexe gelten als gesundes Volksempfinden

Dem Dauerfeuer der Springer-Medien ist es auch zu verdanken, wenn in der breiten Masse nicht die Profitgier von Konzernen für steigende Lebenshaltungskosten verantwortlich gemacht wird, sondern das klägliche, halbherzige Bemühen der Regierungsparteien um ein bisschen Klimaschutz. Während hohe Grundmieten quasi als Naturgesetz und als gutes Recht der Immobilienkonzerne dargestellt werden, gilt neuerdings die Wärmepumpe als wahre Geißel der kleinen Leute in Deutschland.

Dass bei den "Klimaklebern" sozialverträgliche Forderungen wie die Fortschreibung des Neun-Euro-Tickets, ein Tempolimit und ein Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung im Mittelpunkt stehen, geht in der Skandalberichterstattung weitgehend unter.

Dieses Dauerfeuer reduziert offensichtlich die Denkleistung von Erwachsenen, die immerhin einen Führerschein machen konnten und dementsprechend nicht geistig behindert sein können. Denn Denkfaulheit und Wutreflexe gelten hier als gesundes Volksempfinden: Wozu nachdenken, wenn sie mit maximalem Verständnis der Boulevardmedien rechnen können, wenn sie einfach mal ein paar "Klimakleber" an den Haaren von der Straße zerren?

Das ist ja nicht weiter riskant, weil diese feigen "Klimaterroristen" sich nicht körperlich wehren – und weil Springer-Chefredakteure und meinungsstarke Juraprofessorinnen dafür sorgen, dass man sich zumindest auf einen Verbotsirrtum berufen kann, wenn Gerichte die Gewalt der Wutbürger dann doch nicht als Notwehr betrachten.

Machen wir uns nichts vor: Solange die Klimabewegung keinen eigenen Medienkonzern hat, kann es gar keine Waffengleichheit im Kampf um Mehrheiten geben. Kein Wunder, wenn dann Verzweifelte den Preis für den Normalwahnsinn durch Aktionen des zivilen Ungehorsams hochtreiben wollen.

In zehn, 20 bis 30 Jahre könnten diese Aktionen auch ganz anders bewertet werden – wenn zum Beispiel wegen häufiger Dürren in Brandenburg auch immer öfter das Wasser abgestellt wird, wie heute schon in manchen Regionen Frankreichs. Dann können manche der Wutbürger, die heute "Klimakleber" von der Straße zerren und stolz darauf sind, nur hoffen, dass sich ihre Nachbarn nicht daran erinnern.

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