Klöckner: Ohne Distanz zur "Philosophie von Nestlé"

Foto (2018): Olaf Kosinsky/CC BY-SA 3.0 DE

Sich derart zum Verbündeten der PR-Arbeit des Konzerns zu machen, wie es die Landwirtschaftsministerin vorführt, ist nicht harmlos, wie das Beispiel Frankreich zeigt

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Essen und Trinken sei wichtig, sagt die Ministerin, "aber die Frage ist, ist es mit unserer Umwelt gut vereinbar und ist es vor allen Dingen gut für unsere Gesundheit und deshalb freue ich mich, dass wir uns heute über die Philosophie von Nestlé unterhalten haben". Am Ende des 1-Minute-Instant- Videoclips ("Tüte Unternehmensphilosophie auf, heißes Wasser drauf und fertig") wird serviert: Es geht, Nestlé Germany, unterstützt die Regierungsstrategie zur guten Ernährung.

Man habe in den letzten Jahren circa 10 Prozent Zucker, Salz und Fette reduziert, sagt der Konzernchef von Nestlé Deutschland. "In der Zukunft kommen sicher noch 5 Prozent hinzu". Das sei aber noch nicht genug. Er stellt Innovationen in Aussicht. Ende des Clips.

Wenn sich ein Konzernchef wie CEO Marc Boersch mit einer Ministerin im für sein Geschäftsfeld zuständigen Ressort, wie Julia Klöckner vom BMEL, in ungezwungener Atmosphäre trifft, so ist das allein schon eine kostbare Gelegenheit. Umso mehr, wenn das dann auch noch vom Ministerium positiv nach außen übermittelt wird. Es gibt genug Geschichten von Unternehmern, die eine Menge Geld dafür zahlen, dass sie sich mit Politikern treffen können und da ist noch gar keine Werbung dabei.

Der Clip des Ministeriums für Landwirtschaft und Ernährung wurde weit über 500.000 Mal aufgerufen. Es gab empörte Reaktionen über die "Schleichwerbung". Die Medienanstalt Berlin Brandenburg will den Fall nun prüfen.

Für die Regierung stellte Sprecher Steffen Seibert klar, Vertreter der Bundesregierung träfen sich immer wieder mit Vertretern von Unternehmen und äußerten sich gemeinsam, auch in der analogen, nicht digitalen Welt: "Darin ist nicht Werbung zu sehen."

"Vertrauensbildende Maßnahme"

Das kann man im CDU-Biedermeier so hinstellen, entspricht aber nicht der Wirklichkeit. In dieser leben nicht wenige Menschen, die verunsichert sind, wenn es um Bestandteile und Zutaten von Nahrungsmitteln geht. Dass es Ampel-Signale zur Kennzeichnung von Nährwerten gibt (siehe Nutri-Score in Frankreich), spricht allein schon dafür, dass der Überblick nicht wirklich einfach ist.

Dazu kommen die Warnungen vor gesundheitlichen Schäden bei schlechter Ernährung - "dick, krank, depressiv, vorzeitiger Tod usw." -, die dann aber auch mit Gegenargumenten gekontert werden, selbst bei vermeintlich so eindeutigem Teufelszeug wie Zucker (Paranoia Zuckersteuer).

Noch größer wird die Verunsicherung bei der Wirkung von stark industriell verarbeiteten Lebensmitteln (Erhöhen hoch verarbeitete Lebensmittel das Mortalitätsrisiko?). Nestlé stellt solche Lebensmittel her und der Konzern ist mehrmals schon in schlechte Schlagzeilen geraten. Die SZ nennt ihn einen Gigant der Skandale.

Wenn nun der deutsche Konzernchef der Öffentlichkeit mit den vielen Ernährungsfragen als vertrauenswürdiger Partner der Regierungsstrategie für gesunde Ernährung und sichere Lebensmittel Seite an Seite mit einer lächelnden Ministerin präsentiert wird, so ist das ein PR-Geschenk. Es gibt keine kritische Distanz, die von Regierungsseite angebracht wäre. Sie kommt gar nicht erst auf.

Und das ist der entscheidende Punkt, weshalb Klöckners Versuch, mit einem Internet-Video politisches Storytelling zu betreiben, nicht harmlos ist. Denn die Öffentlichkeitsarbeit von Nestlé zielt auf Unternehmensinteressen und die Staatsvertreterin macht gute Miene dazu, als ob es sich um ein win-win handeln würde und es keinen großen Unterschied zwischen den Interessen des Unternehmens und dem Gemeinwohl gebe.

Einfluss und Öffentlichkeitsarbeit von Nestlé France

Wie die Öffentlichkeitsarbeit von Nahrungsmittelherstellern aussieht, wenn ihnen die Regierung viel Raum gibt, kann man am Beispiel Frankreich beobachten. Dort wurde der Chef von Nestlé France, Richard Girardot, zum Kopf der Lobbyvereinigung der Nahrungsmittelindustrie ANIA (Association nationale des industries de l'agro-alimentaire) berufen.

Wie Médiapart in aktuellen Berichten ausführlich darlegt, gelang es der Lobbyvereinigung, sich so gut am Tisch der Entscheider zu platzieren. In der Folge wurden Pläne zu konsequenten Regelungen (z.B. schlechtere Platzierung von Produkten mit schlechtem Nährwert im Supermarkt, höhere Besteuerung) gekippt. Die Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache wurde über die Gründung einer Gesellschaft sogar mit Staatsgeldern unterstützt.

Mit der Regierungsunterstützung im Rücken wurde im Internet ein "seriöses Angebot" für Konsumenten aufgestellt, das kritischen Webseiten zu industriellen Nahrungsmittelprodukten mit großem Aufwand kontert, etwa indem diese Aktivitäten pauschal mit Fake News assoziiert, Kritik als Konzern-Bashing bezeichnet und auf die Arbeit wissenschaftlicher Institute hingewieesn wird, zu denen die Industrie gute Verbindungen hat.

Das französische Landwirtschaftsministerium zeigte sich - im Gegensatz zum Gesundheitsministerium - der Mitarbeit der Vertreter der Nahrungsmittelindustrie gegenüber stets sehr aufgeschlossen, berichtet Médiapart, was letztlich auch dazu führte, dass eine kritische Klassifizierung "hoch verarbeiteter Lebensmittel" erstmal vom Tisch ist.

Klöckner: "Differenzierte und ernsthafte Beschäftigung"

Aber immerhin: In Frankreich gibt es die Lebensmittel-Ampel Nutri-Score. Soweit wollte die Ministerin für Ernährung in Deutschland gar nicht gehen. Julia Klöckner war dagegen - "fast wortgleich" mit den Unternehmen. Auch in anderen Belangen zeigt sich die Ministerin ganz auf der Seite der Industrieinteressen.

Das mag, wie zum Beispiel der Einsatz von Glyphosat und die allgemein industrielle Landwirtschaft, gut für die Konzerne sein, die dadurch Konkurrenten, die ein anderes landwirtschaftliches Modell und eine andere Produktion von Nahrungsmitteln verfolgen, von der Produktionsmenge und preislich ausstechen.

Ob das dem Gemeinschaftsinteresse, das auch mit Umweltschutz zu tun hat, wie die Ministerin selbst im Clip ansprach, entspricht, ist sehr zweifelhaft. Da wären ein paar kritische Fragen zur Philosophie des Konzerns besser gewesen als die Werbesendung.

Diese zeigt anderseits sehr klar, wo die Ministerin steht - in großer, unkritischer Treue zu den großen Unternehmen.

Herrje, es ist ja auch zu schön und einfach, Politiker als die letzten Deppen hinzustellen und Forderungen rauszuhauen, ohne sich wirklich ernsthaft differenziert mit dem Thema beschäftigt zu haben. Leute, Demokratie funktioniert so nicht.

Julia Klöckner