Knüppel, Verhaftungen und Proteste als Reaktion auf Ahmadinedschads Wahlsieg

Opposition unterstellt der iranischen Führung massiven Wahlbetrug

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Das Befürchtete trat ein: In Teheran knüppelten iranische Sicherheitskräfte auf iranische Bürger ein. Diese protestierten wütend gegen ein Wahlergebnis, das sie sich nicht anders erklären können als durch einen massiven Betrug seitens der Führung. Zuvor hatte der oberste Führer, Ayatollah Khamenei, Amtsinhaber Ahmadinedschad zu seiner Wiederwahl gratuliert.

Umstrittener Wahlsieger Mahmoud Ahmadinedschad (Bild: Wikimedia Commons Das Bild "Mahmoud Ahmadinejad.jpg" und steht unter der Creative Commons Namensnennung 2.0 Lizenz. Der Urheber des Bildes ist Daniella Zalcman)

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Vorschnell, wie Kritiker monieren, das Gesetz würde eine Frist von drei Tagen und die Bestätigung durch den Expertenrat vorschreiben, bevor der oberste Führer das Ergebnis in einem Abschlussakt offiziell bestätigt - nur einer der vielen Hinweise, die seit gestern auf Webseiten kursieren, um den Beweis zu führen, dass die Wahl zum iranischen Präsidenten von Anfang bis zum Ende manipuliert wurde.

Manche, stellvertretend sei das US-Blog „Informed Comment“ genannt, argwöhnen, dass die oberste Führung sich am Freitag nach den ersten Meldungen, die auf einen großen Wahlerfolg des Reformkandidaten Mousavi deuteten, dazu entschieden habe, eine „Generalanweisung“ an die Wahlkommission zu schicken, die Stimmen falsch auszuzählen.

“Ein heftiger Schlag ins Gesicht, ein Tritt in die Eier“

Kein Zweifel daran: Die Prügel, die Polizei und die berüchtigten Basidschi, die wie so oft zuvor mit auf Motorrädern auf Jagd gingen, austeilten, sind echt. Auch wenn die iranischen Staatsmedien diese Wirklichkeit leugnen (und mancher im Westen diese Wirklichkeit der iranischen Republik gerne relativiert sehen möchte). Die demokratische Grundsatzxmaxime des gleichen Rechts für alle erfuhr gestern im Iran eine bemerkenswerte Auslegung, wie der polemisch begabte Augenzeuge Robert Fisk, heute im Independent berichtet: Die Polizei alle Protestierer auf die gleiche Art behandelt: „Kopf und Testikel. Das war Botschaft, die einfach zu verstehen war. Ein heftiger Schlag ins Gesicht, ein Tritt in die Eier und Lang lebe der Demokrator“.

Tatsächlich war aus der Menge mehrerer Tausend Protestierer immer wieder der Ruf zu hören: „Tod dem Diktator“, berichten die Augenzeugen-Reporter der New York Times. Unzählige Fotos bei Flickr und Videoaufnahmen vor allem von der auf Ende Februar gegründeten Webseite Tehranbureau in Umlauf gebracht, dokumentieren Proteste und die brutale Reaktion der Staatsmacht.

Die Öffentlichkeit gehört der Opposition

Und sie zeigen außer den Prügeln auch die zweite Gewissheit der Wahl: Die große Netzöffentlichkeit gehört dem Lager der Protestierer. Die Opposition ist auf der Höhe der gegenwärtigen Tools und Strategien für effektive Öffentlichkeitsarbeit.

Trotz Facebook-Sperre, dem Blockieren von SMS und Websites, die mit der Opposition in Verbindung gebracht werden: die "Alerts aus Teheran" waren nicht aufzuhalten, die Facebook-Wall füllte sich mit Nachrichten, die weder bei der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA noch bei der Nachrichtenagentur Fars News auftauchen. Welche Wirkung diese Öffentlichkeitsarbeit haben wird, gehört zu den spannenden Fragen, ebenso wie jene, die sich Beobachtung zweiter Ordnung ergibt: Wer spricht da eigentlich aus diesen Protestkanälen? Es ist kein Geheimnis, dass es (nicht nur ) in den USA politische Kreise gibt, denen an solchen Protestwellen gelegen ist.

Betrugsvorwürfe von allen Seiten

Was die Betrugsvorwürfe betrifft, sie kommen aus vielen Kanälen: Der aussichtsreichste Gegenkandidat Ahmdadinedschads, Mirhussein Mousavi, deutete am Tag der Wahl schon sehr bald Manipulationen durch den Staatsapparat an. Seine späteren Äußerungen gewannen an Deutlichkeit: Um dem Betrug vorzubeugen, erklärte er sich schon kurz nach Schließung der Wahllokale vor der Presse zum Sieger und die Wahl zur Farce.

Mirhossein Mousavi. (Bild: Wikimedia Commons Das Bild "Mir Hossein Mousavi in Zanjan by Mardetanha.jpg" und steht unter der Creative Commons Attribution ShareAlike 2.5. Der Urheber des Bildes ist Mardetanha)

Später tauchte er unter, er blieb spurlos verschwunden, was zum Gegenstand vieler Spekulationen wurde, die von Gefangenahme und Schlimmeren sprachen. Die BBC berichtet von Äußerungen Mousavis, die auf seiner Webseite zu lesen waren – die Wiederholung von Betrugsvorwürfen und Aufrufe an Anhänger, die Proteste nicht eskalieren zu lassen:

The violations in the election are very serious and you are right to be deeply hurt. [..] But I firmly call on you not to subject any individual or groups to hurt.

Auch sein berühmter politischer Unterstützer, der ehemalige Präsident Khatami, der früher in der Regierung saß, der Mousavi als Premier vorstand, und der in aufsehenerregendender Weise auf seine eigene Kandidatur bei diesen Wahlen verzichtet hatte, verlangt nach Angaben von farnzösischen Zeitungen die Annulierung der Wahlen und eine Neuwahl. Große Zweifel am Wahlergebnis äußerten auch einer der beiden anderen unterlegenen Kandidaten. Mehdi Karroubi wird von der New York Times mit den Worten zitiert, dass die Ergebnisse der Wahl „lächerlich und unglaubwürdig sind“.

Dass möglicherweise Manipulationen seitens der Regierung beim Wahlsieg Ahmadinedschads mitgeholfen hätten, räumt nach Recherchen der amerikanischen Reporter auch ein Anhänger des neuen alten Präsidenten ein, allerdings mit der Einschränkung: Die andere Seite würde übertreiben und „alles viel schlimmer machen, als es ist“.

Diese brav-loyal-naive Sicht wird Kandidat Karroubi sicher nicht unterschreiben Er hatte schon beim letzten Wahlgang 2005 aus seiner Sicht gute Gründe, den Sieg Ahmadinedschads anzuzweifeln (siehe Wahl-Coup in Iran?) - es gab niemals eine offizielle Reaktion seitens der Führung auf diese Vorwürfe. Damals wie heute stand auch jener Mann auf Seiten des Gegenkandidaten, dem im Iran große Macht zu geschrieben wird: Rafsandschani. 2005 wurde sein Vorwurf der Wahlfälschung von der Führung ebenso ignoriert wie Karroubis Anklagen.

Mathematisch geführte Beweise

Dies verweist auf die dritte Gewissheit der Wahl: Die Möglichkeit, dass die Wahlen annulliert werden, ist gleich Null. Auch wenn die Beweise "mathematisch" geführt werden: Die Seite Tehranbureau.com, gegründet von Kelly Golnoush Niknejad, einer US-Amerikanerin mit iranischem Hintergrund, die für Medien, wie die Los Angeles Times, das Time Magazine und ABC gearbeitet hat, etabliert einen Betrugs-Nachweis, der im Netz auf großes Interesse stößt: Die Relation zwischen den Stimmen, die für Ahmadinedschad und für Mousavi gezählt worden sind, seien auf unglaubliche Art linear – grafisch abgebildet zeige die Korrelation eine perfekte Gerade, die unmöglich bei echten Auszählungen entstehen könnte – unumstritten dürfte diese Argumentation auch nicht bleiben:

The vertical axis (y) shows Mr. Mousavi’s votes, and the horizontal (x) the President’s. R^2 shows the correlation coefficient: the closer it is to 1.0, the more perfect is the fit, and it is 0.9995, as close to 1.0 as possible for any type of data.

Teilchen oder Welle?

Doch Mathematik wird kaum helfen bei einer Politik, deren Physik Anschauungssache ist. Was Teilchen ist und was Welle, entscheidet die Perspektive. Das zeigt sich auch bei den Expertenräten im Netz, folgert ein Experte, dass die Wahlergebnisse schon deshalb nicht stimmen können, weil der Kandidat Mousavi in der iranischen Provinz West-Aserbaidschan niemals haushoch gegen Ahmadinedschad verlieren hätte können, weil er von dort stammt und beliebt ist, so führt ein anderer genau dieses Beispiel an, um den unglaublichen Wahlsieg Ahmadinedschads zu erklären – allerdings über einen Anhänger des Präsidenten, der Robert Fisk „ niemals angelogen hat“:

The election figures are correct, Robert. Whatever you saw in Tehran, in the cities and in thousands of towns outside, they voted overwhelmingly for Ahmadinejad. Tabriz voted 80 per cent for Ahmadinejad. It was he who opened university courses there for the Azeri people to learn and win degrees in Azeri. In Mashad, the second city of Iran, there was a huge majority for Ahmadinejad after the imam of the great mosque attacked Rafsanjani of the Expediency Council who had started to ally himself with Mousavi. They knew what that meant: they had to vote for Ahmadinejad.

Der Streit, ob Betrug oder nicht, wird weitergehen, im Netz und in Medien außerhalb Irans, an Ahamdinedschads offiziellen Ergebnis, das ihm eine Mehrheit von 62 Prozent einräumt und das sich die Nachrichtenagenturen beeilen, mit einer Meldung nach der anderen zu bestätigen, wird nicht gerüttelt; Diplomatie, die Regierungen und politische Kommentatoren alten Schlages halten sich längst an diese Einsicht.

Möglicherweise aber rüttelt die Unruhe unter der Bevölkerung in Teheran, die sich augenblicklich zeigt, aber doch mehr an Gewissheiten der islamischen Republik, als es manchem Wächter der Revolution lieb ist. Sicher ist von außerhalb Irans aus gesehen, dass diese Hoffung im Westen immer wieder neu auflebt. Und wahrscheinlich ist, dass jene Personen, die sich auf denweltweit verbreiteten Fotos der Proteste widerfinden, fürchten müssen. Die Serien von Festnahmen politischer Opponenten haben bereits begonnen.