Kollateralschaden

Ungarns erster Todesfall im Irak

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In der letzten Woche erschossen amerikanische Soldaten einen ungarischen Studenten im Irak. Obgleich der Vorfall bereits am Montag geschehen war, dauerte es fast eine Woche, bis die USA den ihn bestätigten. Auch die ungarischen Behörden hatten lange dazu gebraucht. Zunächst hatten sie sogar geleugnet, dass überhaupt etwas vorgefallen war.

Die Umstände des Todes und die Art, wie über ihn informiert wurde, weist auf eine Vertuschung hin. Es ist ziemlich offensichtlich, dass die Amerikaner im Irak mit Informationen ähnlich wie die israelische Armee in den besetzten Gebieten umgehen: Zuerst wird geleugnet und dann das Opfer beschuldigt. Nach der für Hollywood inszenierten Geschichte der Rettung von Jessica Lynch und anderen derartigen Absurditäten mit "friendly fire" und Kollateralschaden sind amerikanische Militärquellen genauso wenig glaubwürdig wie das Weiße Haus, das behauptet hatte, der Irak habe Uran aus dem Niger kaufen wollen.

Wie bei ähnlichen Vorfällen, bei denen es um "friendly fire" ging, behaupten die Amerikaner, dass der Student sich geweigert hatte anzuhalten, als ihm dies befohlen worden war. Der Vorfall trug sich 20 Kilometer von Ramadi an einem vorübergehend eingerichteten Kontrollpunkt zu. Informanten sagten, dass er mit hoher Geschwindigkeit vorbei gefahren sei und die Soldaten, nachdem er auf die Warnschüsse nicht reagiert habe, schließlich auf den Wagen zielten, der daraufhin in einen amerikanischen Jeep fuhr. Sieben Soldaten wurden dadurch verletzt.

Das Opfer, der 27 Jahre alte Peter Varga-Balazs aus der westungarischen Stadt Gyor, hatte im Irak für TOIFOR Hungria gearbeitet, eine ungarisch-deutsche Firma. Der Student ist mit einem dreimonatigen Vertrag in den Irak gereist, um Hygieneausrüstung zu überprüfen.

Seit der Tötung hat die ungarische Verbindungsstelle im Irak mit der Erfassung der ungarischen Zivilisten begonnen, die hier arbeiten. Bislang gibt es darüber noch keine verlässlichen Zahlen, weil sie sich bei der Verbindungstruppe nicht melden müssen. Selbst das Außenministerium hat keine Ahnung, wie viele Ungarn im Land sind.

Die ungarische Regierung hat die amerikanische Version des Vorfalls unkritisch akzeptiert. "Da (der Student) nicht gehalten hat, nachdem er dazu aufgefordert worden ist", so Andras Nagy von der ungarischen Verbindungsstelle, "was zumindest die uns bekannte Version ist, wurde der Wagen beschossen. Andras Barsony, der Außenminister, sagte dies unverblümter: "Die amerikanischen Soldaten haben angemessen in Übereinstimmung mit ihren Vorschriften gehandelt."

Nach internationalem Recht darf an Kontrollpunkten nur zur Selbstverteidigung geschossen werden

Die Frage ist jetzt, wie viele Opfer es noch geben muss, bis die Menschen offen die Art in Frage stellen und kritisieren, wie die Amerikaner mit der Sicherheitssituation im Irak umgehen. Es ist nicht der erste Vorfall, bei dem Zivilisten in einem Auto erschossen wurden, weil "sie sich geweigert haben anzuhalten", nachdem "Warnschüsse" abgegeben wurden. An einem Ort wie im Irak ist es ziemlich schwierig, sicher zu sein, wer von woher feuert, wenn geschossen wird. Unter Angst ist daher die natürlichste und automatische Reaktion, so schnell wie möglich aus dem Weg zu gehen. Wenn man das macht, nehmen die amerikanischen Soldaten an, dass jemand flüchtet und versuchen ihn zu töten, auch wenn sie nicht beschossen wurden.

Nach internationalem Recht dürfen amerikanischen Soldaten an einem Kontrollpunkt, der in einem Gebiet ist, das nicht als Schlachtfeld gilt, nur zur Selbstverteidigung schießen, d.h. nachdem auf sie geschossen wurde oder wenn sie sich in unmittelbarer Gefahr befinden. Für ein sich beschleunigendes Fahrzeug treffen diese Kriterien nicht zu, da in allen solchen Fällen des "friendly fire" der Fahrer nicht direkt auf sie zusteuerte. Und da diese Vorfälle sich meist an vorübergehenden Kontrollpunkten abgespielt haben, wo man nicht mit bewaffneten Soldaten gerechnet hatte, ist es sehr wahrscheinlich, dass diejenigen, die aufs Gas gegangen sind, in Panik gehandelt haben und nicht genau wussten, was eigentlich vor sich ging.

Natürlich steht in Fällen wie diesem das Wort des amerikanischen Militärs gegen die Zivilisten, die erschossen wurden. Aber weil diese Menschen tot sind, werden wir niemals ihre Version der Geschichte hören. Das aber bedeutet nicht, dass wir nur mit unserem Schultern zucken und dem amerikanischen Militär alles abnehmen sollten, wie dies die ungarische Regierung gemacht hat. Es besteht die Notwendigkeit, eine umfassende Untersuchung durchzuführen und diejenigen zu bestrafen, die verantwortlich für begangene Fehler sind. Es ist kein Wunder, dass die US-Regierung die Einrichtung des Internationalen Strafgerichts so entscheiden bekämpft hat. Zu viele schussfreudige nervöse Amerikaner hätten sich dann womöglich auf der falschen Seite der Rechtssprechung wieder gefunden.