Kollateralschäden im Kampf um Symbole

Was Bornheim, Rüsselsheim und Fred Perry gemeinsam haben

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Ende letzter Woche berichtete die Frankfurter Rundschau über den Fall eines Mannes aus dem Frankfurter Stadtteil Bornheim, der wegen eines T-Shirts mit dem Ortswappen nicht nur lange von der Polizei aufgehalten, sondern auch noch zum Entkleiden gezwungen wurde. Darüber hinaus erhielt er eine Anzeige wegen eines angeblichen Verstoßes gegen den § 86a des Strafgesetzbuchs, der "Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen".

Das Wappen des Stadtteils ist eine so genannte Wolfsangel. Sie ist wahrscheinlich kein Runenzeichen, sondern die Abbildung eines Geräts, das im Mittelalter zum Fang von Wölfen genutzt wurde: Der obere Haken wurde so in einen Baum eingeschlagen, dass der untere (mit einem Köder versehene) in Sprunghöhe eines Wolfes über dem Boden hing. Ziel der Falle, die durch einen Dorn in der Mitte am Baum stabilisiert wurde, war, dass das Raubtier mit seiner Schnauze am unteren Haken hängen blieb. Der Gebrauch des Geräts als heraldisches Zeichen ist keineswegs auf Bornheim beschränkt: Tatsächlich ziert die Wolfsangel viele Kommunal- und Familienwappen, darunter auch die durchaus bekannter Städte wie beispielsweise Rüsselsheim.

Stadtwappen Rüsselsheim

Bedenkt man die Wolfsverehrung von Hitler-Fans, sollte das Symbol eigentlich nur sehr bedingt als Zeichen für entsprechende Gruppen taugen. Trotzdem verwendete sie die 1982 verbotene Junge Front, eine obskure Jugendorganisation der weitgehend unbekannten VSBD/PdA (Volkssozialistische Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit). Eine Tatsache, die allerdings noch weniger Personen bekannt ist, als die Gruppe selbst.

Der Fall des angezeigten Bornheimer Autofahrers schlug Wellen bis in den Frankfurter Stadtrat, wo der als Ortsbeirat für den Hartreimstadtteil Rödelheim zuständige grüne Stadtratsfraktionsvorsitzende Olaf Cunitz Bilder von SS-Abzeichen, Kommunalwappen und Bundeswehrsymbolen zeigte, die angeblich kaum jemand richtig zuordnen konnte. Daraus den Schluss zu ziehen, der Polizist könne nichts für seinen "Irrtum", wäre allerdings etwas voreilig: Immerhin gab es vor fünf Jahren schon einmal so einen Fall.

Damals wurde ein junger Mann wegen des Bornheimer Stadtwappens auf seiner Mütze angezeigt, obwohl unter der Wolfsangel der Schriftzug "Bornheim" zu lesen war, er auf ein mitgeführtes Bornheimer Wochenblatt mit eben diesem Wappen verwies und sich selbst als "eher Links" erklärte. Trotzdem kam es zu zwei Verhandlungen, deren Ergebnis die 6. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main am 5. Juli 2004 per Pressemitteilung öffentlich machte. Danach vermittelt das Stadtteilwappen einem "unbefangenen Beobachter" nicht den Eindruck, "Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung" zu sein, weshalb sein Gebrauch trotz des Verbots der Jungen Front nicht strafbar ist.

Auf der Website der hessischen Kriminalpolizei findet sich allerdings fast fünf Jahre nach diesem Urteil immer noch eine Übersicht zum § 86a, in dem die Wolfsangel als angeblich strafbares "Zeichen der verbotenen Jungen Front" aufgeführt ist. Von eventuellen Einschränkungen ist hier - anders, als etwa beim Keltenkreuz - nicht die Rede. Der hessische Polizist, der den Autofahrer zum Ausziehen zwang und mit einer Anzeige bedachte, handelte also nicht in Unkenntnis, sondern streng nach Vorschrift. Einer Vorschrift, die Polizeibeamte klar zum rechtswidrigen Handeln anleitet.

Dabei sind Stadtwappen mit Wolfsangel keineswegs die einzigen Fälle, in denen § 86a (der 1994 durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz verschärft wurde und seitdem auch "ähnliche" Zeichen umfasst) potentiell für Probleme sorgt. So wurde beispielsweise die Odalrune nicht nur vom Rasse- und Siedlungsamt, der 7. Waffen-SS Freiwilligen Gebirgsdivision Prinz Eugen, dem Bund Nationaler Studenten (BNS) und der Wiking-Jugend verwendet, sondern auch von der Bundeswehr, wo der auf den Schulterklappen angebrachte "Kopfwinkel" den Träger als Hauptfeldwebel ausweist. Die Odalrune, so der BGH in einem Urteil von 1998, ist deshalb nur mit dem Zusatz "BNS" als strafbares Symbol zu werten.1 Gleiches gilt für die vom Sanitätshilfsdienst der SA und anderen NS-Organisationen verwendete Lebensrune, die in den 1960er und 70ern gerne von Gammlern getragen wurde, aber auch als Antennensymbol auf Rundfunkempfängern zu sehen ist.2

Fred Perry, Ben Sherman, Lonsdale und Alpha Industries

Probleme kann es allerdings auch dann geben, wenn Zeichen nicht verboten sind: So warnt etwa der Brandenburger Verfassungsschutz auf seiner Website vor Nummernschildern, die von Neonazis als Symbole "genutzt" werden könnten. Dabei sind die Möglichkeiten so breit gefasst, dass nicht nur Kennzeichen mit "18", sondern auch solche mit "14", "28" und zahlreichen Buchstabenkombinationen aufgelistet werden, was im Endeffekt einen beträchtlichen Anteil der ausgegebenen Nummernschilder verdächtig macht.

Ähnlich angemessen ging im März auch der Berliner Polizeipräsident Dieter Glietsch vor, der Zivilpolizisten das Tragen bestimmter Kleidungsmarken mit der Begründung untersagte, dass diese nach Statistiken des LKA "bevorzugt in der rechten Szene getragen" würden. Auf der Liste fanden sich unter anderem Fred Perry, Ben Sherman, Lonsdale und Alpha Industries. Nachdem die Firma Ben Sherman mit rechtlichen Schritten drohte, nahm der Polizeichef die vier Firmen vom Verbot aus. Ben Sherman war 1963 von einem Mann namens Arthur Bernard Sugarman gegründet worden. Eigentlich hätte allein das bei der Berliner Polizei ein Nachdenken einleiten und sie darauf bringen können, dass der Fall mit den vermeintlich "rechtsradikalen Marken" möglicherweise etwas komplexer ist.

In den 1980er Jahren waren Fred Perry, Ben Sherman, und Lonsdale Bestandteil des Skinhead-Dresscodes, aber nicht nur dessen, sondern auch von Mods und anderen Gruppen. Und selbst bei Skinheads reichte das Spektrum von Trotzkisten über Säufer bis hin zu Hitler-Fans. Zudem hinkte die Berliner Polizei mit der Dienstanweisung der Realität um mindestens 15 Jahre hinterher, was im Wesentlichen drei Gründe hatte: Spätestens seit den 1990ern waren diese Marken auch in Deutschland vor allem popkulturelle Mitte. Als Firmen wie Lonsdale durch öffentliche Distanzierungen und Kampagnen mit dunkelhäutigen Werbeträgern zu erkennen gaben, dass sie mit bestimmten Ideen aus den 1930er Jahren nicht unbedingt viel anfangen können, tauchten zudem Alternativprodukte auf, die den Stil imitierten aber für Hitler-Fans politisch korrekt waren. Und drittens hatte die Skinhead-Mode bei Rechtsradikalen bereits seit Jahren massiv an Bedeutung verloren - zugunsten des in Schwarz gekleideten "autonomen Nationalisten" mit Palästinensertuch .

Missbrauchspotential des § 86a steigt

Die Menge an verbotenen Zeichen ist mittlerweile kaum mehr überschaubar. Weil Hitler-Fans auf legale und auch außerhalb ihrer Kreise genutzte Symbole ausweichen, werden auch solche nach und nach verboten. Ein System, das strukturell ein Fass ohne Boden ist: Es wird immer mehr und immer Allgemeineres inkriminiert, wodurch auch das Missbrauchspotential des § 86a exponentiell steigt. 2007 stellte der BGH im Rahmen eines Urteils zu dieser Vorschrift anhand alter Beratungsprotokolle fest:

Bereits im Gesetzgebungsverfahren hatte man erkannt, dass der Tatbestand zu weit gefasst ist. Dabei hatte man erörtert, dass es Fälle - wie etwa den bloß scherzhaften Gebrauch des Kennzeichens - geben kann, die der Sozialadäquanzklausel des § 86a Abs. 3 i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB nicht unterfallen, aber dennoch nicht strafwürdig sind. Die Notwendigkeit einer Einschränkung war im Sonderausschuss des Deutschen Bundestages für die Strafrechtsreform angesprochen worden, jedoch hatte man damals keine Möglichkeit zur Verfeinerung der tatbestandlichen Umschreibung gesehen und die Auslegung des Tatbestandes im Einzelnen der Rechtsprechung überlassen.

Allerdings tat sich auch die Rechtsprechung außerordentlich schwer, eine einheitliche Linie zu finden. Angesichts der vom BGH immer wieder geschaffenen Ausnahmen zu Ausnahmen, könnte man auch die Vermutung wagen, dass sie in gewisser Weise daran gescheitert ist. Das fängt bereits beim Schutzzweck der Vorschrift an, der vom BGH 1970 so weit ausgelegt wurde, dass die Absicht des Täters nicht Voraussetzung einer Verurteilung sein musste. Zwei Jahre später nahm das Gericht solche Tatbestände davon aus, "die dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht zuwiderlaufen", machte allerdings gleich wieder eine Ausnahme für die "gehäufte" Verwendung solcher Kennzeichen, was Gerichte in Baden-Württemberg noch bis zu einer neuen BGH-Entscheidung 33 Jahre später Personen wegen durchgestrichener Hakenkreuze verurteilten ließ.

Sogar hinsichtlich des in den Protokollen des Gesetzgebers als Beispiel für fehlende Strafwürdigkeit aufgeführten scherzhaften Gebrauchs herrscht große Verwirrung. So bezeichnet etwa die bereits erwähnte Übersicht der hessischen Kriminalpolizei ohne weitere Erläuterungen auch die "offenkundig scherzhafte Verwendung einer nationalsozialistischen Grußformel" als strafbar. Es könnte also leicht zu Beschlagnahmen von Mel-Brooks- oder Ernst-Lubitsch-Filmen kommen, weil hessische Polizisten nicht ausreichend über die Rechtsprechung zum § 86a informiert werden. Tatsächlich entschied nämlich das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 4. April 1990, dass satirische Darstellungen "nicht deshalb vom Schutz des Art. 5 Absatz 3 Satz 1 ausgenommen werden dürfen, weil ihr Gegenstand Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation ist".3

Auch nach der Stadtratssitzung zum Wolfsangel-Vorfall gab es weder Strafen für die Verantwortlichen bei der Polizei noch eine Wiedergutmachungsleistung für den geschädigten Autofahrer, der aufgrund der Maßnahme einen Geschäftstermin versäumte. Genau dieser Mangel an Konsequenzen bietet einen erheblichen Anreiz für Behörden, möglichst umfassend festzunehmen und anzuzeigen, ohne sich Gedanken über die konkrete Anwendbarkeit komplexer Verbotsvorschriften machen zu müssen.