Konflikte an den Universitäten: Gaza-Krieg in Deutschland

Räumung des Protestcamps an der FU Berlin. Bild: Screenshot

Räumung von Protestcamp für Gaza an Berliner Uni. Die Debatte geht am Thema vorbei. Und sie birgt gleich mehrere Gefahren. Ein Telepolis-Leitartikel.

Der Konflikt um den Krieg im Nahen Osten ist endgültig in Deutschland angekommen – vorwiegend an den Universitäten. Nach massiven Auseinandersetzungen an Hochschulen in den USA, aber auch in europäischen Ländern wie Frankreich, entstehen nun auch in Deutschland Protestcamps.

Die Kontroversen sind die gleichen. Ebenso die Widersprüche.

Aktuell sorgt ein offener Brief von Lehrenden an Berliner Universitäten für Aufregung, die sich gegen ein Verbot der Proteste aussprechen. Die Berichterstattung darüber – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – war von Anfang an von Fehlinterpretationen geprägt.

Wie aus den Unterzeichnern Sympathisanten wurden

So hieß es im Rundfunk Berlin-Brandenburg, die Unterzeichner, übrigens inzwischen über 1.000 und nicht, wie zunächst berichtet, 100, drückten mit dem Brief ihre "Unterstützung für ein propalästinensisches Protestcamp" aus, es handele sich also um eine "Unterstützungserklärung von Berliner Hochschullehrern für propalästinensische Proteste".

Das ist weitgehend aus der Luft gegriffen. Tatsächlich stellen die Lehrenden, wie jeder nachlesen kann, klar, dass sie "unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind", hinter ihren Studierenden stehen.

Sie betonen, dass angesichts der angekündigten Bombardierung von Rafah und der sich zuspitzenden humanitären Krise in Gaza das Anliegen der Protestierenden auch für diejenigen nachvollziehbar sein sollte, die nicht alle konkreten Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für ungeeignet halten.

Recht auf Debatte und Protest

Kurzum: Mit dem offenen Brief sprechen sie sich öffentlich für das Recht ihrer Studierenden auf friedlichen Protest aus. Sie kritisieren die polizeiliche Räumung eines Protestcamps auf dem Gelände der Freien Universität Berlin und fordern die Universitätsleitung auf, von weiteren Polizeieinsätzen und strafrechtlicher Verfolgung abzusehen.

Die Lehrenden betonen in ihrer Stellungnahme, dass sie ihre Studierenden auf Augenhöhe begleiten und schützen wollen, ohne sie der Polizeigewalt auszuliefern. Sie verteidigen das Recht der Studierenden auf friedlichen Protest, einschließlich der Besetzung von universitären LIegenschaften. Dies sei ein demokratisches Grundrecht, das gerade an Hochschulen geschützt werden müsse.

Gleichzeitig kritisieren die Lehrenden das Präsidium der FU Berlin für sein Vorgehen. Sie werfen der Universitätsleitung vor, das Protestcamp ohne vorheriges Gesprächsangebot polizeilich räumen zu lassen und damit die Pflicht zur gewaltfreien Lösung verletzt zu haben. Dialog verletzt zu haben.

Die Rechte der Verfassung

Zudem betonen sie, dass das verfassungsrechtlich geschützte Recht, sich friedlich zu versammeln, unabhängig von der geäußerten Meinung gelte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schränke die Versammlungsfreiheit das Hausrecht auch an Orten ein, die öffentlich zugänglich sind und vielfältigen, auch öffentlichen Zwecken dienen, wie der Campus der FU Berlin.

Die Unterzeichner betonen, dass der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Orte kritischer Öffentlichkeit oberste Priorität haben sollten. Beides sei mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar.

Die Auseinandersetzung und Diskussion mit den Studierenden sei eine zentrale Aufgabe für sie selbst und für die Hochschulen. Nur so könnten sie ihrem Auftrag gerecht werden.

Blick in die USA zeigt die Fehler

Die seit Wochen andauernden Proteste und Auseinandersetzungen an US-Hochschulen zeigen, dass repressive Maßnahmen nicht zu einer Beruhigung der Lage führen. Im Gegenteil: Die Situation in den USA ist angespannter denn je. Vor allem an der University of California in Los Angeles (UCLA) ging die Polizei mit überdurchschnittlicher Brutalität gegen Demonstrierende vor. Dort ist die Situation nun schlimmer als vor dem Einsatz.

Über 800 Fakultätsmitglieder und Mitarbeiter der UCLA forderten zudem den Rücktritt des Kanzlers. Grund sind Angriffe von Gegendemonstranten auf propalästinensische Demonstranten und eine gewaltsame Polizeirazzia im Gaza-Solidaritätscamp auf dem Campus.

Rücktrittsforderung und Abstimmung

Sie fordern den sofortigen Rücktritt des amtierenden Universitätspräsidenten Gene Block und ein Misstrauensvotum im akademischen Senat. In dem Brief werden die Behörden außerdem aufgefordert, alle Anklagen gegen die am Camp beteiligten Studierenden, Mitarbeiter und Fakultätsmitglieder fallen zu lassen.

Die zwei Ebenen der Debatte

Die Debatte spielt sich auf zwei Ebenen ab. Zum einen geht es um die Frage, wie weit die Meinungsfreiheit geht und ob sie auch erklärten Gegnern oder gar Feinden des Staates Israel zusteht. Zum anderen geht es um die Frage, inwieweit die akademische Autonomie auch in zugespitzten politischen Situationen gewahrt werden kann und muss.

Darum geht es der Autorin und den Unterzeichnern des offenen Briefes in Berlin. Sie sprechen sich eben nicht explizit für die eine oder andere Seite aus, sondern plädieren dafür, dass die Debatte über Krieg und Gewalt im Nahen Osten an der Universität selbst verhandelt wird - und nicht unter dem Gummiknüppel der Polizei zum Schweigen gebracht wird.

Und in der Tat: Nur so bekämen die lehrenden Akademiker und der intellektuelle Nachwuchs die Chance, sich auch mit kritischen Positionen auseinanderzusetzen und sich etwa zu antisemitischen Stimmen kritisch zu positionieren.

Dass dieser Prozess, dessen Erfolg nicht garantiert ist, der aber einen Wert an sich darstellt, von staatlicher Seite durch die Sicherheitsorgane unterbunden wird, ist ein verheerendes Signal an den akademischen Nachwuchs, der immer auch eine Stütze der demokratischen Grundordnung sein sollte.

Was Politiker konsequent ignorieren

Diese zweite Ebene wird von den politischen Akteuren konsequent ignoriert, was wohl weniger mit intellektueller Überforderung als mit politischem Vorsatz zu tun hat.

So zeigte sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) entsetzt über die Berliner Erklärung von Hochschullehrern. "Diese Erklärung von Lehrenden an Berliner Hochschulen macht fassungslos", so Stark-Watzinger gegenüber der Bild, die bekanntlich journalistische Standards der Unterstützung des israelischen Staates unterordnet.

Bildungsministerin fordert politische Positionierung

Stark-Watzinger jedenfalls kritisierte, dass die Dozenten, statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu positionieren, die Besetzer der Universität zu Opfern stilisierten und Gewalt verharmlosten. Ähnliche Kritik kam auch von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. An anderer Stelle wurde angemerkt, dass die Erklärung das Massaker der Hamas in Israel vom 7. Oktober vergangenen Jahres nicht verurteile.

Warum sollte sie das tun? Und was ist mit Protestnoten von Studentenvertretern der Uni Köln und des Dachverbandes fzs, die in ihrer Kritik an den Protestcamps mit keinem Wort die zivilen Opferzahlen in Gaza erwähnen, die inzwischen sogar vor UN-Gerichten verhandelt werden? Ist auch das kritikwürdig? Wenn nein, warum nicht?

Konsequenzen für die Unterzeichner?

Die politische Intervention ist vor allem wegen ihrer Einseitigkeit kritikwürdig. Da im Falle der Berliner Kontroverse die Kritik sowohl von der Bundes- als auch von der Landesebene kam, wird es interessant sein zu beobachten, ob und inwieweit die Kritik zu politischen Konsequenzen führt.

Konkret, ob die Protestierenden in einer Zeit, in der Forschung und Lehre zunehmend monetären Zwängen und Abhängigkeiten unterworfen sind, für ihr Engagement für eine offene Debattenkultur auf dem Campus persönlich zur Rechenschaft gezogen werden.

Weiterhin ist es ihre Aufgabe, nach wissenschaftlichen Kriterien zu definieren, was Antisemitismus ist und in der Folge dafür zu sorgen, dass Antisemiten an deutschen Hochschulen und damit auch auf universitären Protestcamps keinen Platz haben.