Kopftücher, Kruzifixe und der Kampf der Kulturen

Auf fatale Weise sind sich die Argumente mancher Kopftuchgegner und islamischer Befürworter ähnlich

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Der "Kampf der Kulturen" wird nicht nur militärisch und terroristisch sowie mit klassischer "law-and-order"-Politik ausgetragen, sondern ist über den Streit über die Duldung religiöser Symbole auch in die Schulen eingezogen (Der Untergang des christlichen Abendlandes im Zeichen des Kopftuchs). In Deutschland haben gerade wieder Bemerkungen des Bundespräsidenten Rau zur Toleranz erneut zu heftigen Widersprüchen geführt. In Frankreich gibt es eine ähnliche Debatte, allerdings wird hier das Verbot aller religiösen Zeichen gefordert. Der höchste Mufti der Sunniten hat nun Frankreich das Recht zugesprochen, religiöse Symbole, also auch das Tragen von Kopftüchern in der Schule zu verbieten. Aber auch diese Toleranz hat einen Haken.

Bundespräsident Rau hatte in einem ZDF-Interview in Bezug auf das Kopftuch eine "Gleichbehandlung aller Religionen" gefordert. Das Kopftuch bei muslimischen Frauen betrachtete er als "religiöses Symbol" und erklärte: "Ich bin aber der Meinung, wenn das Kopftuch als Glaubensbekenntnis, als missionarische Textile, gilt, dann muss das genauso gelten für die Mönchkutte, für den Kruzifixus."

Das aber sehen die Verfechter des Kopftuchverbotes anders. Sie behaupten, um die vom Verfassungsgericht geforderte Gleichbehandlung der Religionen zu umgehen, wie der bayerische Ministerpräsident Stoiber oder der CDU-Außenpolitiker Friedbert Pflüger, dass das Kopftuch für politische Inhalte steht. Sie seien nicht vereinbar mit der Toleranz, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und einer "aufgeklärten Demokratie": "Das Kopftuch ist in unserer Gesellschaft auch keine Brücke zur Integration, sondern ein Symbol der Ausgrenzung und Spaltung", meinte Stoiber, der Rau wegen seiner Äußerungen kritisierte, dass er "nicht unsere eigene Identität als christlich geprägtes Land in Frage stellen" dürfe.

Auch der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Christoph Böhr stieß ins selbe Horn: "Weder Kruzifix noch Mönchskutte oder jüdische Kippa sind Kampfansagen an die demokratische Gesellschaft. Das Kopftuch hingegen wirbt für eine politische Meinung, die dem demokratischen Verfassungsstaat den Kampf angesagt hat." Für den Münchner Erzbischof Kardinal Friedrich Wetter ist das Kopftuch, ganz in der Begrifflichkeit des "Kampfs der Kulturen", eine "militante Kampfansage an die Werte unseres Grundgesetzes". Danach scheint es eine bruchlose Identität zwischen Christentum, Aufklärung, Toleranz und Demokratie zu geben. Es geht also manchen Konservativen und Christen um die Identifizierung des Islam als eine Religion, die mit Demokratie nicht vereinbar ist.

Der französische Staatspräsident Jacques Chirac plädiert hingegen für ein Gesetz, das das Tragen "auffälliger" religiöser Symbole wie Kopftücher, jüdische Kippas oder große Kruzifixe in Schulen verbietet, aber diskreter getragene Symbole religiöser Art zulässt. Die Trennung von Staat und Kirche soll gewahrt, die Schule ein konfessionsfreier Ort bleiben ("La Nation" in Gefahr). Das Vorhaben Chiracs ist auf Proteste von Muslimen in Frankreich, aber auch in vielen arabischen Ländern gestoßen.

Doch am Dienstag hat Chirac Unterstützung ausgerechnet bei einem hohen muslimsichen Geistlichen gefunden. Sheikh Mohammed Sayed Tantawi, der Große Mufti der al-Aksar Moschee in Kairo und die höchste religiöse Autorität der Sunniten, hat dem französischen Staat zugebilligt, dass er "auffällige" religiöse Symbole in Schulen und Behörden verbieten kann. Er erlaube zwar keinem Nicht-Muslim, sich in die Angelegenheiten von Muslimen einzumischen, aber es stehe ihm auch nicht zu, in die Angelegenheiten von Nicht-Muslimen einzugreifen. Auf einer Pressekonferenz, an der er zusammen mit dem französischen Innenminister Nicolas Sarkozy teilnahm, erklärte er:

Das Kopftuch ist eine Verpflichtung, wenn eine Frau in einem muslimischen Land lebt. Wenn sie in einem muslimischen Land wie Frankreich lebt, dessen Regierungsangehörige Gesetze gegen das Tragen des Kopftuchs erlassen wollen, so ist das deren Recht.

Die nach Toleranz klingenden Äußerungen bestätigen allerdings eher den Anspruch des Muftis, dass Staat und Religion in muslimischen Ländern nicht getrennt sind und die männlichen Geistlichen anordnen können, wie Frauen sich zu kleiden haben. Für eine "muslimische Frau" ist das Kopftuch "eine heiliges Gebot". Dagegen könne kein Muslim seine Stimme erheben. In einem nicht-muslimischen Land könne die muslimische Frau aber dessen Gesetzen gehorchen, das würde vom Islam als Zwang betrachtet werden.