Kreml unter Druck: Die wachsende Unruhe unter Putins Herrschaft

In Russland wächst das Unbehagen gegen den Krieg. Erneute Proteste in Provinzen. Die Stabilität des Kremls steht zunehmend infrage.

Russland führt seit fast zwei Jahren Krieg und die russische Öffentlichkeit unterstützt diesen Feldzug. Zumindest sieht es von außen so aus. Doch es gibt Anzeichen dafür, dass das Unbehagen in der Bevölkerung wächst.

Russland im Umbruch: Wachsendes Unbehagen unter Putin

Ein Beispiel dafür sind die jüngsten Ereignisse in der zur Russischen Föderation gehörenden Republik Baschkortostan im Ural. Dort kam es erst kürzlich wieder zu Unruhen.

Kreml unter Druck: Proteste in Baschkortostan eskalieren

Im Mittelpunkt stand die Verurteilung des Aktivisten Alsynow zu vier Jahren Strafkolonie, offiziell wegen Anstiftung zu ethnischem Hass. Alsynow war bekannt als Anführer der Proteste gegen die Zerstörung des Berges Kuschtau, der einem Industrieprojekt weichen sollte. Seine Anhänger sehen in der Verurteilung eine Vergeltungsmaßnahme für seinen Widerstand, während die Behörden ihn des Extremismus beschuldigen.

Die Proteste in Baschkortostan wurden von den Behörden als Massenunruhen eingestuft. Der Einsatz von Tränengas und Blendgranaten zeigt den Ernst der Lage. Verschiedene Medien berichten von 20 bis 40 Verletzten und 20 Verhafteten.

Die Ereignisse sind umso bemerkenswerter, als Baschkortostan nicht als Zentrum der russischen Opposition bekannt ist. In der ländlich geprägten Region leben neben den namensgebenden Baschkiren auch zahlreiche ethnische Russen und Tataren.

Reaktion des Kremls auf Protestwellen: Strategie und Taktik

Die Forderung nach dem Rücktritt der Regionalregierung unter den Demonstranten zeigt jedoch ein wachsendes Unbehagen. Kremlsprecher Peskow sah sich zu einer Stellungnahme gezwungen und versuchte, den Eindruck zu zerstreuen, es handele sich um einen größeren Protest.

Die jüngsten Unruhen in Baschkortostan und Dagestan sowie der Söldneraufstand unter Jewgeni Prigoschin werfen Fragen nach der Stabilität Russlands auf. Und ob diese Stabilität durch Proteste oder einen Aufstand erschüttert werden kann.

Die Rolle der Sicherheitskräfte in Russlands Unruhen

Die Reaktion der Sicherheitskräfte in den Großstädten ist oft repressiv, aber in einigen Fällen, wie in Dagestan, fehlte es an entschlossenem Durchgreifen. Dies deutet auf eine mögliche Schwäche im Umgang mit Protesten hin.

In Dagestan gelang es den Demonstranten immerhin, einen Flughafen zu stürmen. Zwei Teilnehmer wurden zu je drei Tagen Haft verurteilt. Und das in einer Zeit, in der in Russland eine im Internet getätigte Äußerung gegen den Krieg zu einer mehrjährigen Haftstrafe führen kann.

Die Rolle von Umfragen und öffentlicher Meinung

Offizielle Umfragen zeigen eine geringe Bereitschaft der russischen Bevölkerung zu Protesten. Viele Menschen, primär in der Provinz, sind politikfern und passiv. Nach regelmäßigen Umfragen des Lewada-Zentrums liegt der Anteil der Bevölkerung, der zu Protesten bereit ist, sei es in wirtschaftlicher oder politischer Hinsicht oder gegen den Krieg in der Ukraine, langfristig unter 20 Prozent.

Allerdings ist die Zuverlässigkeit dieser Umfragen seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine fraglich. Denn unzufriedene oder gerade protestbereite Russen geben einem persönlich unbekannten Meinungsforscher nur selten offene Antworten. Die Angst vor Repressalien lässt viele Russen in Umfragen zurückhaltend antworten, insbesondere wenn es um Themen wie Antikriegsproteste geht.

Nach Angaben der oppositionellen Homepage OVD-Info gab es seit Kriegsbeginn fast 20.000 Verhaftungen wegen Antikriegsaktionen und über 8.500 Strafverfahren wegen sogenannter "Diskreditierung der Armee". Vor diesem Hintergrund wird auch die Teilnahme an Umfragen zunehmend verweigert oder bei unangenehmen Fragen abgebrochen.

Die russischen Sicherheitsbehörden konzentrieren sich hauptsächlich auf die Unterdrückung liberaler Proteste. Präsident Putin betont in seinen Reden, dass niemand gegen seinen Willen in den Krieg geschickt werde, um die Bevölkerung zu beruhigen. Dies zeigt, dass sich die Behörden der potenziellen Unzufriedenheit in der Bevölkerung bewusst sind und versuchen, diese zu kontrollieren.

Unterschätzte Bedrohungen

Hier sehen die russischen Behörden eine ernste Gefahr für die erwünschte Stabilität, die das gegenwärtige Regierungssystem aufrechterhält. Der dänische Osteuropaexperte Jeremy Morris beschreibt den Hintergrund dieser Bedrohung für die russische Führung in einer Analyse sehr treffend:

Wenn der Krieg weitergeht, wird die russische Gesellschaft rebellisch werden. Aber nicht im wörtlichen, sondern im übertragenen Sinne: Die Menschen werden sich aktiver gegen die Rekrutierung in den Fleischwolf wehren. Daran werden keine finanziellen Anreize, keine Dekrete und keine autokratischen Maßnahmen von oben etwas ändern.

Bei aller Konzentration auf den Widerstand gegen den Krieg geraten andere Bedrohungen der Ruhe in Russland aus dem Blickfeld der Ordnungskräfte. Etwa die Unzufriedenheit von Ultrapatrioten wie Prigoschin oder die Gefahr ethnischer Spannungen wie bei den sehr spät und zaghaft bekämpften Flughafenunruhen in Machatschkala im Oktober.

Die russische Analystin Tatjana Stanowaja sieht hier eine einseitige Ausrichtung des Systems auf Kräfte, die den geopolitischen Kurs Russlands nicht mittragen. Hier würden die Repressionen ständig verschärft, aber an Bedrohungen aus anderen Bereichen werde "offenbar nicht gedacht".

Das räche sich nun in Dagestan wie in Baschkortostan, fernab der Moskauer Machtzentrale. Hier sieht Stanowaja eine entscheidende Schwachstelle des politischen Systems in Russland. Die "Vertikale der Unterdrückung ist nur in bestimmten Bereichen wirksam, aber nicht universell".

Zukunft Russlands unter Putin: Unsicherheit und Spekulationen

Wie groß das Potenzial für Unruhen und Aufstände im Riesenreich Russland tatsächlich ist, lässt sich nur schwer abschätzen. Regierungskritische Oppositionelle schätzen es naturgemäß deutlich höher ein als die Stützen des Systems.

So sieht die aus Russland nach Deutschland geflohene Oppositionspolitikerin Anastasia Brjuchanowa gegenüber Telepolis derzeit durchaus eine Unzufriedenheit, die bis in die Eliten hineinreicht. "Früher oder später wird dies zu Veränderungen in Russland führen. Auch brutalere Diktaturen sind zu Ende gegangen. Aber niemand kann vorhersagen, wann das sein wird."

So glaubt beim Thema Stabilität in Russland jede Seite, was den eigenen Hoffnungen entspricht, denn die tatsächliche Protestbereitschaft im Land ist trotz aller Forschung eine große Unbekannte.

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