Krieg trotz bester Kontakte zur Regierungspartei

Im jamaikanischen Slum Tivoli Gardens verteidigt das Organisierte Verbrechen sein Gewaltmonopol

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Es gibt Gegenden, in denen das Organisierte Verbrechen mehr oder weniger offen ein Gewaltmonopol hat. Im größten Teil des Kosovo beispielsweise - oder in einigen jamaikanischen Slums, in denen die im Dancehall-Reggae besungenen "Dons" die Verteilung von Ressourcen regeln.

In Tivoli Gardens, einem dieser Slums, herrscht Christopher Coke. Der 1969 geborene "Dudus", der sich selbst als Geschäftsmann und "Community Leader" darstellt, ist der Sohn des Drogenbarons Lester Lloyd Coke und soll Ermittlungen der US-Justizbehörden nach der so genannten Shower Posse vorstehen. Diese Shower Posse versorgt unter anderem den Großraum New York mit der Achtziger-Jahre-Droge Crack, weshalb die USA im September letzten Jahres ein Auslieferungsgesuch gegen "Dudus" stellten.

Dieses Auslieferungsgesuch stieß jedoch auf zweierlei Hindernisse: Zum einen pflegte "Dudus" enge Verbindungen zur in Jamaika regierenden Labour Party, zum anderen entstanden durch die Ressourcenverteilung offenbar Loyalitäten bei den Slumbewohnern. Dem BBC-Korrespondenten Matthew Price nach sieht ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung Coke als "eine Art Robin Hood", der die Armen beschützt.

Der jamaikanische Premierminister Bruce Golding. Foto: Antônio Cruz/Abr. Lizenz: CC-BY 2.5 Brasilien.

So kam es für viele Beobachter wenig überraschend, dass der jamaikanische Premierminister Bruce Golding erst mittels einer von der Labour Party bezahlten teuren amerikanischen Lobbyfirma versuchte, den Haftbefehl aufheben zu lassen. Als das nicht funktionierte und das US-Justizministerium den Druck erhöhte, stimmte die Regierung des praktisch bankrotten Landes am 17. Mai der Auslieferung zu und Cokes Anwalt, ein jamaikanischer Senator, legte sein Mandat nieder, um einen "Interessenskonflikt" zu vermeiden".

Danach griffen Gangster in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston angeblich vier Polizeistationen an, von denen sie eine eroberten und in Brand steckten. Darauf hin marschierte eine vierstellige Zahl von Polizisten und Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen und Hubschraubern in Tivoli Gardens ein und stieß auf heftige Gegenwehr schwer bewaffneter "Dudus"-Anhänger, die Barrikaden aus Stacheldraht, Autos und mit Sand gefüllten Kühlschränken errichtet hatten. Weil Tivoli Gardens nur etwa 2 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt liegt, ordneten die Behörden für ganz Kingston den Ausnahmezustand an und schlossen auch außerhalb des Slums Schulen. Auch in Spanish Town, das 22 Kilometer westlich von Kingston liegt, gab es Schießereien. Die Feuergefechte führten sogar dazu, dass teilweise die Zufahrt zum Flughafen von Kingston blockiert war.

Coke wurde bei der großangelegten Razzia bisher noch nicht gefunden, dafür aber jede Menge andere gesuchte Verbrecher und zahlreiche illegale Waffen. Insgesamt nahmen die Sicherheitskräfte 500 Personen fest. Über den Verbleib des "Don" gibt es in jamaikanischen Medien ebenso wie in Foren die wildesten Spekulationen, die von Verhandlungen mit der amerikanischen Botschaft bis hin zu einer Flucht nach Venezuela reichen. In einer Online-Umfrage des Jamaica Observer machte von gut 10.000 Teilnehmern knapp die Hälfte Politiker allgemein für die Auseinandersetzungen verantwortlich. Ein gutes Drittel sah die Schuld allein bei der jetzigen Regierung und nur etwa 10 Prozent gaben sie Coke.

Die Kämpfe um das Gewaltmonopol in jamaikanischen Slums sind nicht die ersten - allerdings nehmen sie im historischen Vergleich an Härte zu: 1997 kamen bei einer ähnlichen Operation vier Menschen ums Leben, 2001 siebenundzwanzig und bei den aktuellen Auseinandersetzungen bis gestern mindestens 50.