Krisenherd Osteuropa

Nachdem vor allem österreichische Banken den Aufschwung der CEE-Staaten finanziert hatten, gelten sie an den internationalen Finanzmärkten nun als Pleitekandidaten - dies wohl zu Unrecht

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die ehemals zur Sowjetunion gehörigen zentral und südosteuropäischen „Reformstaaten“ sind in den vergangenen Wochen ins Zentrum der globalen Finanzkrise gerückt: Durch den drastischen Rückgang der industriellen Produktion und die gleichzeitig erfolgten Einbrüche der jeweiligen Währungen sei das bisher erfolgreiche, auf ausländischen Krediten beruhende Wachstumsmodell dieser Länder gescheitert, heißt es in den Analyseabteilungen von Banken, die nicht stark in diesen Regionen engagiert sind. Entsprechende Warnungen setzten auch die Ratingagenturen ab, von denen Moody’s am 17. Februar eine ernste Warnung bezüglich der kreditgebenden Banken ausgesprochen hatte.

Demnach sei besonders das Engagement österreichischer Geldinstitute höchst gefährlich, die nach Angaben der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in dieser Region rund 230 Mrd. Euro an Krediten ausständig haben. Das ist mehr als 80 Prozent der jährlichen österreichischen Wirtschaftsleistung, und auf den Kreditmärkten gilt offenbar als fix, dass dieses Bedrohungspotential die Möglichkeiten der österreichischen Regierung bei weitem übersteigt. Im Krisenfall drohe Österreich somit der Staatsbankrott, was sich in den zuletzt massiv angestiegenen Risikoaufschlägen für österreichische Staatsschulden ausdrückt. So hat sich der Risikoaufschlag gegenüber deutschen Bundesanleihen innerhalb nur einer Woche auf 133 Basispunkte (1 BP = 0,01 Prozentpunkt) verdoppelt und liegt nun höher als jener Spaniens, so dass im Euroraum derzeit nur noch Griechenland und Irland höhere Aufschläge zahlen müssen.

Auf den ersten Blick wirkt die Situation also tatsächlich höchst bedrohlich, jedoch erscheint die aktuelle Hysterie, die die Börsenkurse der österreichischen Banken letzte Woche förmlich zerbröselt hat, bei näherem Hinsehen nur bedingt gerechtfertigt.

Tatsächlich haben Wiener Banken in den letzten 20 Jahren ihre traditionelle Rolle als Finanziers der Länder der ehemaligen Donaumonarchie mit recht viel Eifer wieder aufgenommen. Nun lässt die Krise die Erinnerung an 1931 wiederaufleben. Damals hatte erst der Zusammenbruch der Wiener Creditanstalt, die sich mit Krediten in der jetzt wieder bedroht erscheinenden Regionen überhoben hatte, die globale „Große Depression“ ausgelöst. Denn durch den Zusammenbruch der damals größten Bank der Region wurden etliche europäische Banken in die Pleite getrieben, wodurch die bisher auf die USA konzentrierte Weltwirtschaftskrise endgültig auf Europa übergegriffen hatte. Darüber hinaus kam es aber auch in den USA zu einer Welle an Bankpleiten, die gut die Hälfte der US-Banken ruinierte. Auch damals war der Interbanken-Kreditmarkt übrigens wochenlang völlig eingefroren, was bis zum Oktober 2009 nie wieder in diesem Ausmaß der Fall gewesen sein dürfte.

Heute steht mit der Bank Austria ein direkter Nachfolger der Creditanstalt im Zentrum des Sturms. Die im Jahr 2000 von der bayrischen HVB übernommene Bank war innerhalb von zwei Jahrzehnten neuerlich zum wichtigsten Kreditgeber der Region geworden. Als die HVB ihrerseits im Jahr 2005 von der italienischen Uncredit-Gruppe übernommen wurde, war die Bank Austria das mit Abstand wertvollste „Asset“, das die ansonsten schwer maroden Münchner zu bieten hatten.

Statistisch wird das CEE-Kreditengagement der Bank Austria nun allerdings entweder Deutschland oder Italien zugeschlagen, so dass das tatsächliche Engagement österreichischer Kreditinstitute noch um rund ein Drittel höher ausfallen dürfte, als von den BIZ-Statistiken angegeben - insbesondere da auch die Kärntner Hypo-Alpe Adria, die vor allem am Balkan aktiv ist, seit 2007 zur Bayern LB ressortiert.

Allerdings halten mit „Raiffeisen International“ und „Erste Bank“ nach wie vor zwei Wiener Finanzinstitute Rang zwei und drei unter den größten Kreditgebern der Region. Stark in der Region vertreten ist zudem die belgische Großbank KBC, während am Balkan griechische Banken sehr aktiv sind und sich die baltischen Banken fest in der Hand skandinavischer Bankengruppen befinden. Auffällig ist, dass sich die global tätigen britischen und US-amerikanischen Geldhäuser in der Region praktisch nicht aktiv sind. Aber die hatten ihr Kapital offenbar lieber in Subprime-Strukturen gesteckt.

Aufholjagd der Transformationsstaaten mit Krediten

Trotz des gewaltigen CEE-Engagements der Wiener Institute sollte ein Blick auf die Fakten jedoch etwas zur Beruhigung beitragen. Immerhin vergaß man selten, wenn vor Ausbruch der Finanzkrise die erfolgreiche Aufholjagd der europäischen “Transformationsländer” analysiert wurde, die Rolle der westeuropäischen Banken zu würdigen. Diese hatten, ausgehend von den heutigen EU-Ländern Polen, Tschechien und Ungarn, dann immer weiter im Osten und am Balkan, fast unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion begonnen, die dortigen Bankensysteme zu übernehmen und zu modernisieren. Zwar wurden einfachere Produkte als in den Mutterländern angeboten, grundsätzlich boten die Banken aber von Anfang an Dienstleistungen auf westlichem Niveau. Während nun in vielen asiatischen Entwicklungsländern, deren Finanzsysteme nicht in ausländische Hände gewandert waren, mangelnde Handels- und Investitionsfinanzierungen und der Zahlungsverkehr echte Engpassfaktoren darstellten, wurde in den Ex-Comecon-Staaten ab Anfang der 1990er Jahre funktionierende Systeme etabliert, die den rasanten Aufholprozess wohl erst ermöglich hatten.

Am Anfang dieser Entwicklung hatten sich die Banken auf die Finanzierung des Unternehmenssektors und – noch stärker – auf die öffentliche Hand konzentrierten. Erst gegen Ende der 1990er Jahre erweiterten die Banken ihre Angebote und wandten sich den privaten Haushalten zu. Denn der industrielle Aufschwung, der weitgehend mit der Verlagerung lohnintensiver Produktionen in diese „Billiglohnländer“ erklärbar ist, basierte darauf, dass bei vergleichbarer Produktivität oft nur zehn bis dreißig Prozent der Lohnkosten der EU anfielen. Die andere Seite der Medaille war, dass die Beschäftigten sich mit ihren Billiglöhnen nicht den westlichen Lebensstandard leisten konnten, der auch in den Ex-Comecon-Ländern nun als „normal“ angesehen und angestrebt wurde.

Das Aufholpotential schien gewaltig. Denn während 1999 jeder deutsche Haushalt im Schnitt mit 43.300 DM in der Kreide stand, lag die private Verschuldung in vielen CEE-Ländern vor zehn Jahren noch praktisch bei Null. Die Banken begannen nun alle Arten von Retail-Krediten an jene auszureichen, die in den florierenden Produktionsbetrieben beschäftigt waren. Ratenkredite für langlebige Konsumgüter, Hypotheken, KFZ-Leasingverträge und Kontoüberziehungen ermöglichten diesen Ländern trotz dafür nicht ausreichendem Einkommen ein ansehnliches Konsumniveau. Gleichzeitig machte es die CEE-Staaten zum Wachstumspool Europas, während die westeuropäischen Exporteure nur zu gerne bereit waren, den materiellen Aufholbedarf der Region zu decken.

Die Folge war, dass die Pro-Kopf-Verschuldung in den Transformationsländern zwar entsprechend der Verfügbarkeit der jeweiligen Kreditprodukte deutlich anstieg, heute aber noch immer in allen CEE-Ländern weit hinter westlichen Maßstäben zurückliegt. Denn während auf jeden Österreicher aktuell rund 38.000 Euro an Privatkrediten entfallen, sind es in Ungarn derzeit im Schnitt nur rund 2.500 Euro und in Russland gar nur rund 350 Euro.

Als problematisch erweist sich jetzt allerdings, das gut die Hälfte der Kredite nicht in den jeweiligen Landeswährungen vergeben wurde, sondern in niedriger verzinsten Euros oder Schweizer Franken, so dass die Abwertungen der jeweiligen Landeswährungen diese Kredite deutlich verteuert hat.

Bekanntlich liegen auch die Durchschnittseinkommen dieser Kreditnehmer weit unter den westeuropäischen Niveaus, glaubt man jedoch den österreichischen Banken, dann sei die Zahlungsmoral in der Region aktuell noch immer deutlich besser als in Österreich oder Deutschland. Dazu kommt, dass laut Bankenangaben rund 60 Prozent dieser Kredite jeweils durch inländische Depositen gedeckt sind und von den Kreditnehmern zudem generell hohe Sicherheiten verlangt wurden. Anders als bei den berüchtigten US-Subprime-Hypotheken, die überwiegend als so genannte „non-recours-loans“ vergeben wurden, bei denen sich der Kreditnehmer durch die Übereignung der Immobilie von seinen Verpflichtungen völlig befreien kann, ist diese Praxis im CEE-Raum unbekannt, so dass die Schuldner generell mit ihrem gesamten Vermögen für ihre Verbindlichkeiten haften.

Die Banken gehen folglich vermutlich zu recht davon aus, dass selbst im Falle eines Staatsbankrotts etwa der Ukraine zwar auch die privaten Verpflichtungen betroffen sein dürften, aber selbst im Extremfall keinesfalls ein Totalverlust eintreten würde. Sicherlich haben sich für viele Fremdwährungsschuldner die in Landeswährung gemessenen monatlichen Belastrungen stark erhöht, und auch die grassierenden Arbeitsplatzverluste werden es vielen Kreditnehmern unmöglich machen, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Die Konsequenzen eines Privatkonkurses sind aber in allen Ländern höchst negativ, so dass die Kreditnehmer zumindest stark motiviert sein dürften, sich nicht allzu leichtfertig von ihren Schulden zu verabschieden.

Das Problem dürfte viel eher auf makroökonomischer Ebene zu finden sein. Denn obwohl sich der CEE-Raum zur europäischen „Werkbank“ entwickelt hat, sorgten die kreditfinanzierten Käufe von Konsumelektronik, Fahrzeugen und industrieller Ausrüstung für nachhaltig negative Handelsbilanzen. Bisher waren diese Defizite durch ausländische Investitionen und die Überweisungen der im westlichen Ausland beschäftigten Osteuropäer mehr als ausgeglichen worden. Nun ist dieser Geldfluss weitgehend versiegt, so dass einige dieser Länder wohl tatsächlich zumindest zu Staatsschuldenmoratorien gezwungen sein werden. Allerdings befinden sich die jeweiligen Staatsschulden kaum in den Büchern der Banken, sondern in der Form von Anleihen in den Portfolios von Investoren.

Europäisches Paket für psteuropäische Schulden?

Insgesamt, so zitiert der britische Telegraph den Währungsexperten Stephen Jen von der US-Investmentbank Morgan Stanley, sei Osteuropa im Ausland mit 1,7 Billionen US-Dollar verschuldet, was rund einem Drittel des Sozialprodukts der Region ausmache. Davon seien in diesem Jahr immerhin 400 Millionen fällig, was angesichts der aktuellen Lage an den Kreditmärkten kaum zu finanzieren wäre. Da sich die aktuelle Wirtschaftskrise offenbar umso stärker auswirkt, je näher sich die Produktion am Grundstoffbereich befindet, dürfte die industrielle Produktion der in diesem Bereich konzentrierten Länder noch weit stärker zurückgehen, als in Westeuropa. Eine Bedienung dieser Schulden über Exporterträge oder inländische Ersparnisse dürfte also selbst dann, wenn es im CEE-Raum zu extrem drastischen Konsumrückgängen kommen sollte, gänzlich ausgeschlossen sein.

Es bleibt also tatsächlich nur das Ausland als Finanzquelle übrig. Dass die in der Region aktiven ausländischen Banken diese Summe alleine schultern, ist derzeit jedenfalls kaum vorstellbar. Immerhin sind die Banken für ihre Refinanzierung auf die internationalen Finanzmärkte angewiesen, die schon ihren alten CEE-Engagements mit sehr viel Misstrauen begegnen. Da die betroffenen Länder überwiegend nicht selbst über die benötigten Mittel und Kreditwürdigkeit verfügen, erscheint eine „europäische Lösung“ erforderlich. Diese würde für die EU angesichts der extrem negativen Folgen einer Pleite des CEE-Raums vermutlich nur einen Bruchteil der Kosten verursachen, als ließe man den Dingen seinen Lauf.

Bisher stand einer solchen Lösung vor allem die deutsche Regierung in der Person von Peer Steinbrück im Wege, der eine entsprechende Initiative des österreichischen Finanzministers Josef Pröll letzte Woche noch brüsk abgeschmettert hatte. Allerdings war Pröll in den CEE Staaten und bei den EU-Kreditgeberländern relativ unbedarft mit einem so genannten “Banken-Rettungspaket“ hausieren gegangen, was nicht übermäßig klug gewesen sein dürfte. Denn einerseits brachte er dadurch die österreichischen Banken erst so richtig ins Gerede, anderseits trifft das österreichische Bankgeheimnis bei Steinbrück kaum auf so große Sympathie, dass er umfangreiche Steuermittel zur Rettung überwiegend österreichischer Banken mobilisieren würde. Ganz abgesehen davon, dass die Banken jahrelang Milliarden in der Region verdient haben, und sich bislang ja auch noch nicht in ernster Gefahr befinden, wie die vorzeitig veröffentlichen und ausgesprochen guten Quartalszahlen von Raiffeisen International gerade gezeigt haben.

Was hingegen tatsächlich noch sehr problematisch werden könnte, ist neben den bestehenden Schulden vor allem die künftige Finanzierung der Wirtschaft der CEE-Staaten. Denn während es makroökonomisch vermutlich positive Effekte hat, wenn sich die Konsumenten im CEE-Raum nun ein wenig zurückhalten, könnte die fehlende Finanzierung der Unternehmen sich künftig katastrophal auswirken. Denn derzeit wird dieses Problem noch dadurch gelindert, dass durch den Einbruch der Auftragseingänge ohnehin viel weniger Betriebskapital benötigt wird als noch vor einem Jahr. Sollte die globale Konjunktur aber wieder anspringen, könnte es vielen Unternehmen an den nötigen Finanzmitteln fehlen, um die Produktion wieder aufzunehmen, was nachhaltig negative Folgen haben würde.

Zumindest die österreichischen Banken behaupten zwar, ihre CEE-Kunden auch künftig nicht im Stich lassen zu wollen, nur dürften deren Mittel alleine kaum ausreichen, um einen etwaigen kommenden Aufschwung alleine zu finanzieren. Das sieht man auch bei der Europäischen Entwicklungsbank (EBRD) und beim Internationalen Währungsfonds ähnlich, die inzwischen ebenfalls ein Rettungspaket von bis zu 400 Mrd. Euro fordern. Dies aber nicht für die Banken, sondern für die Region, was psychologisch zumindest aus deutscher Sicht einen Unterschied machen dürfte.