Kritik an Macrons Rede: "Mogelpackung"

Archivfoto: Emmanuel Macron, Mai 2017/kremlin.ru/ CC BY 4.0

Nur echte Zugeständnisse an Rentnerinnen und Rentner? Die Reaktionen aus der Protestbewegung und der politischen Opposition

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Überzeugt hat die präsidiale Muppet Show am Ende niemanden. Am gestrigen Montagabend trat Staatsoberhaupt Emmanuel Macron im französischen Fernsehen auf und verkündete seine Beschlüsse, mit denen er den seit Wochen andauernden Protest - unter anderem, aber inzwischen nicht mehr allein, der Leute in "Gelben Westen" - besänftigen möchte (vgl. Macron verspricht höheren Mindestlohn, steuerfreie Überstunden und eine Jahresprämie).

Noch in der Nacht sprachen die Teilnehmer am Protest jedoch überwiegend von "Mogelpackungen" und einer "Maskerade". Auch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen wird auf der Webseite aufgezeigt, dass die durch Präsident Macron vorgebliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) in Wirklichkeit gar keine sei, sondern lediglich die bereits alte Ankündigung von Steuerkrediten für Geringverdiener wiederholt.

Auch in der politisch-parlamentarischen Sphäre überwiegt die Kritik. Auf der politischen Linken kritisiert etwa die KP-nahe Tageszeitung L’Humanité, es komme für Macron nicht in Frage, "die Reichen anzutasten", und stattdessen solle nun die Allgemeinheit an Stelle der Großunternehmen zahlen.

Die französische Sozialdemokratie - die allerdings mittlerweile auf das Niveau der griechischen PASOK abzusinken begann, und durch den Linkssozialdemokraten oder Linksnationalisten Jean-Luc Mélenchon mit seiner Wahlplattform La France insoumise (LFI, "Das unbeugsame Frankreich") überholt wurde - "überlegt" noch, einen parlamentarischen Misstrauensantrag gegen das Regierungslager zu unterstützen. Einen solchen wollen die französische Kommunistische Partei und LFI in die Nationalversammlung einbringen. LFI-Anführer Jean-Luc Mélenchon kündigte bereits seine Unterstützung für einen "Akt Fünf", also einen erneuten Protesttag am kommenden Samstag (15. Dezember), an.

Auch auf der extremen Rechten setzt man weiterhin auf Opposition, versucht das Thema Sozialprotest allerdings wieder einmal - eine alte Masche - mit der Thematik Einwanderung zu verknüpfen, sieht man doch vorwiegend dort die vermeintliche Lösung sozioökonomischer Probleme.

Was aber nun kündigte Emmanuel Macron inhaltlich an? Bereits 24 Stunden vor seiner Ansprache hatte seine amtierende Arbeitsministerin Muriel Pénicaud ihrerseits eine wichtige Weichenstellung signalisiert, indem sie erklärte, dass die aus der Bewegung heraus unter anderem geforderte Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns (SMIC) abgelehnt werde. Denn dies sei arbeitsplatzgefährdend und beschäftigungsfeindlich. Der SMIC beträgt derzeit gut 1.150 Euro netto monatlich. Im Raum Paris kann man damit schwerlich überleben.

Nun überraschte Präsident Macron - jedenfalls im ersten Augenblick - mit der Ankündigung, er solle nun doch erhöht werden und zwar um 100 Euro im Monat, allerdings noch nicht im Jahr 2019. Sieht man genauer hin, dann fügte Macron jedoch sofort hinzu, dies solle die Arbeitgeber "keinen Euro mehr kosten". Der abhängig beschäftigten Arbeit mehr geben, ohne dass das Kapital mehr zahlt - wie soll das nun gehen?

In den Augen von Emmanuel Macron ist es einfach: Entweder wird aus den Sozialkassen genommen, indem die Beiträge nochmals abgebaut werden (in den letzten Monaten baute die Regierung Sozialbeiträge in den Unternehmen ab und verlagerte sie auf eine nicht progressive Steuer auf Einkommen, die CSG oder den "Allgemeinen Sozialbeitrag"). Oder aber die Erhöhung wird, durch eine Art indirekter staatlicher Prämie, aus Steuereinnahmen finanziert. Es scheint auf die zweitere Lösung hinauszulaufen, da, wie oben zitiert, nunmehr bereits für 2019 und 2020 angekündigte Steuerkredite für Geringverdienende als "Erhöhung des Mindestlohns" verkauft werden sollen.

Emmanuel Macron kündigte ebenfalls an, jene Unternehmen, "die können", sollten ihre abhängig Beschäftigten eine Jahresprämie auszahlen, und sie würden dafür dann steuerlich entlastet. Dies appelliert allerdings vollständig an die Freiwilligkeit von Unternehmen - ein Handelsunternehmen jedenfalls kündigte unmittelbar nach der TV-Rede Macrons nun an, es werde dem Aufruf folgen.

Das einzige echte Zugeständnis Emmanuel Macrons auf sozialem Gebiet dürfte darin liegen, dass viele Rentnerinnen und Rentner nun von der de facto wie eine Kopfsteuer wirkenden Sozialabgabe CSG - diese beträgt derzeit gut 9 Prozent der zu besteuernden Einkünfte - ausgenommen werden.

Im Wahlkampf 2016/17 hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Macron angekündigt, "reiche Rentner" würden künftig stärker zur Kasse gebeten, um die Sozialbeiträge in Unternehmen zu senken. In der Praxis setzte seine Regierung die Schwelle dann im Jahr 2017 bei 1.200 Euro Monatseinkommen für Rentenbezieher/innen an. Diese Entscheidung wird, neben jener der damals ebenfalls (nur drei Wochen nach Antritt der bestehenden Regierung) beschlossenen Abschaffung der Vermögenssteuer ISF, sehr oft als besonderer Ausdruck sozialer Ungerechtigkeit unter dem "Freund der Schwerreichen" Emmanuel Macron zitiert. Nun wird die Schwelle von 1.200 auf 2.000 Euro monatlicher Einkünfte für Pensionierte angehoben; darunter wird die CSG künftig nicht fällig.

Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer ISF kommt hingegen nicht in Frage. Dies stellte Macron, im Widerspruch zu eigenen Ministerinnen und Ministern, vergangene Woche im Stil einer "Bastapolitik" am Kabinettstisch klar, und daran wird auch nicht gerüttelt.

Was bleibt also? Vorläufig nur entweder die Hoffnung, die Protestbewegung werde von allein erlahmen - oder das Setzen auf polizeiliche Mittel und Repression.