Kuckucksei in den Hochschulen

In der Hamburger Hochschulpolitik zeichnet sich in diesen Tagen eine Schwäche der Hochschulreformen ab

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Die Hamburger Hochschulpolitik ist überregional in die Schlagzeilen geraten. Zur Zeit liegt der Focus der Kritik auf der nun scheidenden Uni-Präsidentin Auweter-Kurtz. Sie sei eine Fehlbesetzung gewesen. Doch durch wen wurde sie überhaupt eingesetzt? Durch einen externen Hochschulrat. Und nur diesem war sie verpflichtet. Die Hochschulreformen haben die demokratische Wahl des Präsidiums durch das Diktat des externen Hochschulrates ersetzt, der nicht einmal mehrheitlich von Universitätsangehörigen besetzt ist. "Gefunden" wurde Auweter-Kurtz schließlich von einem Headhunter. All diese Vorgänge entsprechen nicht den Erfordernissen des akademischen Lebens und sind entlehnt aus der sog. freien Wirtschaft.

Deshalb ist mit einer neuen Präsidentin nichts gewonnen. Der erreichte Effekt ist lediglich kosmetischer Natur, wie wenn man einen unbeliebten Tyrannen durch einen sympathischeren Diktator ersetzen würde: Es mag zwar vieles besser laufen (oder auch nicht), aber Demokratie wurde nicht eingeführt. Und dies wäre die einzig angemessene Lösung. Denn nur die demokratische Lenkung einer Hochschule aus ihrem Inneren heraus kann die Probleme vermeiden, deren Zeugen wir in den letzten Jahren wurden.

Die Hochschulreformen, die auch in Hamburg wesentlich nach den Vorschlägen der Bertelsmann-Stiftung und anderer einflussreicher Berater gestaltet wurden, entsprechen nicht den vielfältigen, aber konkreten Interessen der Forschung und Lehre. Sie entsprechen den einseitigen Interessen der industrienahen Berater. Dass diese von der Politik berücksichtigt werden, mag bei einer schwarzen Regierung verständlich sein. Dass sie aber zum alleinigen Maßstab der Reformen erhoben wurden, ist verheerend. Wie weit die Einflussnahme der Wirtschaft in den Hochschulbetrieb geht, sieht man an der Dominanz von Managern, die in den neuen Hochschulräten sitzen. Es ist ein riesiges Kuckucksei, welches heute die Wissenschaften blockiert.

Universitäten sollen von starker Hand geführt werden - dem Mythos des heldenhaften Wirtschafts-Rambos folgend -, so sieht es das Hamburger Hochschulgesetz vor. Doch diese Lachnummer ist nur die Spitze des Eisbergs aus technokratischem Schaum, der die Universität seit ein paar Jahren verklebt: Ein gigantischer Apparat aus Kontrolle und Leistungsmessung wurde in die alltägliche Arbeit der Unis eingelassen. Er hat zur Folge, dass die Außendarstellung optimiert wird, ganz, als hätte die Universität Aktionäre, die es zu überzeugen gälte. Aktionäre, von denen angenommen wird, dass sie nur an kurzfristiger Verwertbarkeit und glänzenden Bilanzen Interesse hätten - doch stimmen diese Parameter mit den Aufgaben einer Universität als öffentlicher und kultureller Raum überhaupt überein?

Wohl kaum. Doch auch Spekulationen greifen um sich: Die aktuelle Misswirtschaft ist so gravierend, dass manche argwöhnen, die Reformen dienten nur dazu, die öffentlichen Hochschulen endgültig zu ruinieren. Dann wäre zumindest verständlich, warum private Bildungsunternehmen wie Bertelsmann so viel Einfluss bei der Konzeption nahmen: Sind die öffentlichen Einrichtungen schlecht, entsteht ein expandierender Markt für private Unis.

Mag man einer solchen Theorie nun anhängen oder nicht, fest steht, dass nur jene Bereiche von den Reformen profitieren konnten, die schon immer der wirtschaftlichen Verwertung nahe standen: technologische Forschung und ausbildungsorientierte Studiengänge, wie sie vormals von den Fachhochschulen und Technischen Universitäten betrieben wurden. Die Teilung in Fachhochschulen und Unis war bekanntermaßen nicht nur ein Segen, doch die Überführung der Uni-Diskurse auf FH-Niveau ist auch keine Lösung. So steht die Orientierung am Machbaren im Gegensatz zu einer Wissenschaft als autonomer Bereich, wie er schließlich auch in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt wurde. Lehre und Forschung seien, so steht es dort geschrieben, frei. Davon kann im heutigen System nicht mehr die Rede sein: Der Einfluss der externen Manager und deren Präsidenten ist definitiv zu groß.

Darüber hinaus produziert die Reformgesetzgebung eindimensionale Selbstdarsteller und Konformisten. Credit Points und Kennziffern, Evaluationen und Rankings sollen zwar objektive Werte über den "Wert" aller vorkommenden Elemente liefern. Doch sind die gewonnenen magischen Ziffern wissenschaftstheoretisch mehr als fragwürdig. In der Praxis begünstigt das Prozedere den Weg des geringsten Widerstandes und kurzfristiges Kalkül. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen werden mit einem Mechanismus überformt, der dem Regelkreis der Quotenmessung im Fernsehen verblüffend nahe kommt. Das Resultat ist allseits bekannt: Alle Sender senden das Gleiche auf den gleichen Programmplätzen. Vielfalt und Niveau spielen in diesem normierenden Mechanismus keine Rolle.

In Hamburg zeichnet sich in diesen Tagen überdeutlich eine wesentliche Schwäche der Hochschulreformen ab: Die Deplatziertheit der unternehmensähnlichen Strukturen. Jeder Hochschulrat, der die Funktion des Aufsichtsrats einnimmt, adaptiert blind die Steuerungsparameter aus der Wirtschaftspraxis gleich mit: "Sichtbarer" Erfolg, glänzende Corporate Identity, die Magie der Zahlen. Ein Präsidium, das mit umfassender Macht ausgestattet ist, verpflichtet sich dieser fremden Belange und setzt sie nach innen durch. Was auf der Strecke bleibt, sind die konkreten Wissenschaften mit ihren legitimen Eigeninteressen.

Was darüber hinaus vernichtet wird, ist die Universität als Ort der gesellschaftlichen Reflexion und Kritik, die frei wäre in diesem Sinne, nämlich autonom im Sinne des Grundgesetzes. Die Reformhochschule von heute ist eine sinnfreie, gesellschaftlicher Aufgaben entbundene Uni-AG.