Kücheninseln, Stadtinseln und neu entdeckte Nachbarn

Der Raum "Essen und Trinken" im Dresdner Hygienemuseum. In Rot die vollautomatische Küche "Elekra Technovision" (1965-1971) von Hasso Gehrmann. Bild: Deutsches Hygiene-Museum/David Brandt

In Smart City treffen zwei Bewegungsräume aufeinander - Teil 2

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Ging es im ersten Teil um die Rationalisierung des "Maschinenraums Küche" auf der einen und der funktionellen Stadt auf der anderen Seite, kann nun die Frage eingegrenzt werden, welche Chancen die Digitalisierung und Virtualisierung urbaner und häuslicher Funktionen bieten, um die arbeitsteilige Stadt der langen Verkehrswege aufzuheben. Allzu menschliche Eigenschaften stehen dem entgegen.

Teil 1: Das Auto, die Küche und die Intelligenz der Städte

Die Augen dürfen mitessen

Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre war der Scheitelpunkt des Fabrikmythos des abgedrängten Laborraums Küche erreicht, und es setzte ein Trend zu flexibleren Grundrisstypen und freien Aufstellmöglichkleiten ein. Die Küche wurde zum Herzstück offener Grundrisse und damit der Wohnlichkeit. Otl Aichers "Kücheninseln" schließlich gaben ihr einen Mittelpunkt, um den herum sich Funktions- und Bewegungskreise bilden. Parallel dazu, wenn auch nicht im Sinne Aichers, hatte sich eine andere Zentralität entwickelt. Sie ging von der Steuerung durch Technik aus, die in den 70er Jahren gleich mit Raumfahrt-Allegorien auftrumpfte. Neben futuristischen multimobilen Entwürfen wie von Hasso Gehrmann präsentierte Luigi Colani seine 'Kugelküche': "Die Frau nimmt mit dem Einstieg in die Kapsel die Funktion der nahrungsspendenden Mutter ein, die über eine Durchreiche aus dem uterusartigen Inneren das Überleben des zentralen Bereichs sicherstellt."1 Colani gilt als "Meister der eleganten Kurve", was Automobildesigner schon vor dem Ersten Weltkrieg für sich in Anspruch nahmen. Seine eigenen Auto-Prototypen sind filmreif gestylt, haben jedoch aerodynamisch sehr günstige Werte.

Wie Technik, Kücheninsel und offener Grundriss schließlich zusammenkamen, schildert eine Anekdote: Ein Hausherr lädt Gäste in seine neue, nach dem State of the art aufgerüstete Küche ein. Er führt ihnen blinkend und blitzend alle Funktionen vor, und als die Gäste denken, es geht ans Servieren, ruft er den Pizza-Service an... Die Küche ist wieder "mitten unter den Gästen" angelangt, und das Kochen ist vor die Kulissen des gesellschaftlichen Lebens verlegt. Die Raffinesse liegt jedoch darin, dass das Gekochte vom Demonstrationsakt des Kochens vertilgt wird. Der Schauwert des Kochens ist ein Verdrängungsvorgang. Die technische Rationalität hat sich zum Selbstzweck gesteigert. Dem entspricht eine menschliche Bedürfnisschicht: das Selbstverwirklichungsmilieu. Es richtet ein kulinarisches Theater an. Aus Le Corbusiers "puristischer Maschinenästhetik" ist eine ins Rauschhafte gesteigerte Sensations(koch)maschine geworden. Der Funktionalismus ist gentrifiziert.

Luigi Colani: Kugelküche, 1970. Bild: Poggenpohl

Jene utopischen Küchenskulpturen wurden Mitte der 80er Jahre auf Alltagstauglichkeit abgeklopft. Konzipiert wurde eine Küche aus Basismodulen mit integrierten Versorgungsleitungen. Die Geräte waren frei kombinierbar; die Module wurden aneinander gesteckt und mit einer zentralen Versorgungs- und Kontrolleinheit verbunden. Der nächste Schritt, der die Küche zur Zentrale der technologisch gestützten Schaltbarkeit des gesamten Wohn-Environments aufwertete, kam mit dem digitalen Zeitalter. Die Geräteordnung des Haushalts funktioniert in sich nach den Prinzipien eines Smart Grid. Die Kaffeemaschine stellt sich an, wenn der Wecker klingelt. Hinzu kommt die Steuerbarkeit von außen. Die Datenautobahn hat den Mikrokosmos Küche erreicht. Die Schaltkreise sind von der Ebene der Geräte auf die transzendenter Systeme verlegt. An den Endpunkten liegen die Verbraucher (auch als Einspeiser). Die Enden sind zugleich Schnittpunkte. Die Geräte werden abgefragt.

In ersten Stockholmer Muster-Apartments von 2002 liefen die High-Tech-Fäden beim Kühlschrank mit eingebautem Touchscreen zusammen. Aus dem warmen Herz des Hauses ist das kalte geworden. Der Ort der Stadt und die Nutzung der Technik durchdringen sich in liquiden Netzwerkstrukturen (Raum der Flüsse). In Südkorea werden Dutzende von "ubiquitären Städten" nach dem Muster von Smart Grids errichtet. Der Bau der Städte wird der Architektur des Netzwerks angepasst. Die bekannteste U-City, New Songdo, hat bereits einen Teilbetrieb aufgenommen. Überall sind Sensoren installiert. Alle urbanen Funktionen sind vernetzt, automatisiert und abrufbar. Das Netz ist einerseits hierarchisch von Zentralen bis zu Knoten und Endpunkten gegliedert, andererseits in einer horizontalen Flächenstruktur.

Stefan Wewerka: Küchenbaum, 1984. Bild: Archiv STW

Löst der Smart Grid der U-Citys die Idealstadtentwürfe Le Corbusiers mit ihren Rastern und Symmetrien ein? Es wäre eine Realisierung durch Virtualisierung. Le Corbusier selbst wollte den zentralen Wolkenkratzern das "Gehirn der Stadt" implantieren. Wörtlich: Die (medialen) Apparate "heben den Raum auf und die Zeit". Mittels Smart Glass und anderer Instrumentarien der Augmented Reality überformt heute der virtuelle den physischen Raum der Stadt. Geschichtsbilder können unmittelbar aufgerufen werden. Architektur wird auf einen Bildbehälter reduziert, der nach außen gestülpt wird. Die Stadt wird zur Fassade, wie die Fassade zum Touchscreen wird.

"Mal-Zeit" von Coop Himmelb(l)au, 1987. Bild: Ewe Küchen

Mobile Vorwärtsverteidigung oder Rückzug in den öffentlichen Raum?

Hebt die Virtualisierung der sozialen Beziehungen im Raum der Flüsse die funktionsgeteilte Stadt der langen Wege auf? Die meisten Dienstleistungen können von zu Hause organisiert werden, die konsumtiven wie die produktiven. Bei der Tele-Arbeit zählt, was abgeliefert wird, nicht, wo es produziert wird. Die eingesparten Wege führen zu einem paradoxen Umschlag, verdeutlicht mit dem Bild des am fernen Strand sitzenden Kreativen, der mit seinen mobilen Geräten seinen Geschäften nachgeht. Die Zeitersparnis wird parallel zur Arbeit in neuen physischen Wegstrecken angelegt. Der Flugverkehr nimmt relativ zu. Die Funktionsteilung ist global geworden.

Erster Anlauf zur Intelligenten Küche: Basismodule mit integrierten Versorgungsleitungen (Mitte 80er). Bild: ARCH+ (Reproduktion)

Paradox entwickelt sich auch der Autoverkehr. Carsharing erobert sich gerade eine Marktnische. Es scheint ein pragmatischer Ansatz zu sein, den Autoverkehr mit seinen eigenen Mitteln zu reduzieren. Die Ruhezeiten der Wagen werden verkürzt, die Fahrten auf das Notwendige beschränkt. Die Klientel rekrutiert sich aus formal überdurchschnittlich gebildeten Schichten, die empfänglich sind für die Entkopplung von Nutzung und Eigentum eines Pkw. Wenn die Mobilität vom Begriff des Privateigentums emanzipiert ist, kann auch der öffentliche Raum im wahrsten Sinn als 'Shared Space', als Agora zurückgewonnen werden. Der Trend wird verstärkt durch junge Erwachsene, die ihren Führerschein später machen, sei es, dass ihnen Facebook wichtiger ist, sei es, dass sie einen Lifestyle of Health and Sustainibility vorziehen. In den Städten ist die Verfügung über ein Auto nur noch komplementär.

New Songdo bei Seoul. Bild: TK/PR Public Relations

Weltweit wird sich jedoch die Fahrzeugzahl in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Was in europäischen Städten an Verkehr weniger rollt, wird durch den demonstrativen Konsum wettgemacht, der Räder bekommen hat. Sport Utility Vehicle - allein die Namenspartikel dieser aufgeblähten Fahrzeuge sind Omen. Ihre Überdimensionierung bedingt schlechtere aerodynamische und Verbrauchseigenschaften. Sich das zu leisten, ist eine zeitgemäße Form des Luxus. Der Geltungskonsum, bereits 1899 von Thorstein Veblen beschrieben, lässt sich auf die SUVs ummünzen: Mit dem Geld, das ich nicht habe, kaufe ich mir ein Auto, das ich nicht brauche, um Leute zu beeindrucken, die ich nicht leiden kann.

Humvees im Irak, 2008. Ausgeschrieben: High Mobility Multipurpose Wheeled Vehicle. Bild: Eric Harris/U.S. Air Force

Die ursprüngliche Form des Luxus war nach Veblen der Müßiggang der Reichen. Mit der Entpersönlichung des Kapitalismus und protestantischer Arbeitsethik musste dem Luxusgut der Nimbus des Nützlichen angehängt werden. Wieder auf Autos bezogen, heißt das "Sport" - die Vorstellung, abseits von der Straße über das Gelände brettern zu können. Die Automobilindustrie setzt dann wider besseres Wissen bei diesen Fahrzeugen eine ökologische Wertigkeit obendrauf. Das Greenwashing verleiht die "Lizenz zum Kaufen".

Hadi Teherani führt Kochen und Wohnen in einem "Funktionsbogen" zu einem ganzheitlichen Raumkonzept zusammen. Bild: Poggenpohl

Fürs Unbewusste wird eine Lizenz zum Töten mitgeliefert. In der Ahnenreihe jener Fahrzeuge findet sich das "Humvee" aus Golfkriegszeiten. Die technische Funktionalität des Fahrzeugs ist symbolisch zum Selbstzweck der Zerstörung gesteigert. Es ist ein fahrender Schrein des als Kult wiederentdeckten Menschenopfers. Das lässt auch bei den soften Varianten des SUV darauf schließen, dass es sich um die Kompensation mangelnden Selbstwertgefühls neuer, sich bedroht fühlender Mittelschichten handelt. Wen in der Küche keine Gäste aufsuchen, der kann es "den anderen" in seinem "gated automobile" auf der Straße zeigen - in der mobilen Kapsel intrauteriner Geborgenheit.

HA Schult: Flügelauto, auf dem Zeughaus in Köln. Bild: Thomas Robbin. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Die neue Urbanität könnte den Obsoleszenzfaktor jener Suburban Assault Tractors beschleunigen. Um die Küche gruppierte Einraumwohnungen, nicht mehr nur Lofts, führen Wohnen, Arbeiten und Freizeit zusammen. Wer Abwechslung sucht, geht in den wiederbelebten Gründerzeitvierteln nur wenige Schritte von der Haustür ins Straßencafé, um sich mit Geschäftspartnern zu treffen, während einen Tisch weiter vielleicht die Hausnachbarn sitzen. Wem temporär die virtuellen Netzwerke oder die Stromimpulse im Rechner zusammenbrechen, weiß, wo er nahe Hilfe findet, und abends wird von der Theatertruppe im zweiten Hinterhof der Rhythmus der Stadt vertanzt. Das digitale Global Village hat ein neues regionales Pendant bekommen: die Quartiere der Großstadt mit ihren unterschiedlichen Geschwindigkeiten.

Alles durchmischt? Pustekuchen. Real ist die Entmischung durch soziale und räumliche Segregation. Neue Stadtinseln bilden sich. Das stärkste Motiv der Vernetzung der Räume ist Überwachung, versüßt durch Spielereien. Was den Stadtplanern der 20er Jahre noch nahelag, die Abmilderung des Elends durch schrittweise Annäherung an die soziale Utopie, wird heute durch technische Visionen überblendet. Diesen Utopien fehlt die Utopie.

Eine ausführliche Fassung des Beitrags erscheint im Herbst 2013 unter dem Titel "Mutterleib und kaltes Herz. Helfen intelligente Küchen aus autogerechten Städten?" in: Kai Mitschele/Sabine Scharff (Hg.): Werkbegriff Nachhaltigkeit. Resonanzen eines Leitbildes, Bielefeld.

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