"Kultur der faulen Männer in den Innenstädten"

Obdachloser in New York, Dezember 2008. Foto: JMSuarez; Lizenz: CC BY 2.0

Armuts- und Mindestlohn-Diskussion in den USA: Wie arm ist ein Haushalt mit Auto, TV-Gerät und Computer?

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Die Armut in den USA sei unübersehbar; Amerikareisende berichten seit Jahren von der gleichen Verwunderung darüber, wie viele Arme sie in den Städten des Landes gesehen haben. Paul Ryan, Hoffnungsträger der Republikanischen Partei, leugnet dies nicht; er sorge sich um die Armen, propagiert Ryan. Seit seinem Wahlkampf 2012 als Kandidat für den Vizepräsidentenposten, zeigt er sich bei Besuchen von städtischen Einrichtungen zur Bekämpfung der Armut. Er will die Idee des "mitfühlenden Konservativismus" neu beleben. Der Budgetplan, den der Vorsitzende des Budget-Ausschusses des Repräsentantenhauses vorlegte, spricht jedoch eine andere Sprache. Wie auch seine Ausführungen zur Kultur der Armen in den Innenstädten.

Welche Art von Mitgefühl spricht aus jemandem, der den Armen eine Kultur der Arbeitsverweigerung unterstellt?

Wir sehen uns mit einer Abwärtsspirale konfrontiert, ausgelöst, vor allem in unseren Innenstädten, durch eine Kultur von Männern, die nicht arbeiten, von Generationen von Männern, die nicht einmal an Arbeiten denken und auch nicht daran denken, den Wert und die Kultur der Arbeit kennenlernen zu wollen. Hier gibt es ein echtes Kulturproblem, mit dem wir umgehen müssen.

Die Äußerung, welche Ryan in einer konservativen Radiosendung machte, führte in den USA zu einer voraussehbaren Debatte über den Rassismus Ryans, da das Armutsproblem in den Städten besonders schwarze Communities betrifft. Seither präsentieren Kritiker Ryans frühere Aussagen, die die rassistische Komponente Ryans bestätigen, während Sympathisanten darauf verweisen, dass Ryans Aussagen manchmal "ungeschickt" seien, er aber keiner rassistischen Wahrnehmungsverzerrung unterliege.

Aber von dieser Seite heißt es auch, dass Ryan an einem anderen Realitätsproblem leide: Seine finanzpolitischen Vorstellungen vertragen sich nicht mit seinem von ihm propagierten "Kampf gegen die Armut". Ryans Spekulation über die "Kultur der Arbeit" gehören zu einer größeren Diskussion, die derzeit zwischen Republikanern und Demokraten neu ausgefochten wird. Dabei werden von den Republikanern alte Positionen in neuen Fragestellungen serviert.

Wie arm sind die Armen?

Zum Beispiel: "Ist eine Familie, die ein Auto, ein Flachbild-TV-Gerät und einen Computer hat arm?" Die Frage steht am Anfang eines Artikels in der New York Times. Ausgangspunkt ist die amerikanische Debatte über Mindestlöhne, die von Republikanern abgelehnt werden.

Wie üblich geht es in der Diskussion um die Rolle des Staates, der sich nach Ansicht der Republikaner bekanntlich doch bitte von solchen Regulierungen des Marktes fernhalten soll. Dass staatliche Eingriffe keinen echten Fortschritt bewirken, will man grundstätzlich an der Armutsbekämpfung zeigen. Die Grundposition der Republikaner bzw. ihrer Anhänger unter Think-Tank-Experten lautet grob im Kern gefasst, dass es den Armen heute viel besser geht als früher, dass sie in den USA einen höheren materiellen Wohlstand haben, als ihn Geringverdiener früher hatten.

Zugleich wird aber das Armutsproblem als solches nicht geleugnet; in Frage gestellt wird die bisherige Politik der Armutsbekämpfung, wie sie von den Demokraten favorisiert wird: die finanzielle Unterstützung über staatliche Leistungen. Dies habe keinen Fortschritt bei der Bekämpfung der Armut gebracht, in dem Sinne, dass den Ärmeren Anreize gegeben würden, sich aus eigener Kraft aus ihrer Situation zu befreien.

Hundreds of billions of dollars of government spending a year may have made poverty easier or more comfortable but has done little to significantly limit its reach.

Die vorgeschlagene Kursänderung entspricht wie die Diagnose ("phlegmatische Opfer eines allzu fürsorglichen Staates") Klassikern des republikanischen Programms: Kürzungen der staatlichen Leistungen, Steuerkürzungen für Besserverdienende - die x-teVariation der Trickle-Down-Rhetorik.

Teuere Schulen, teuere Krankenversicherung - Kürzungen der Leistungen, damit es besser wird?

Politisch umgesetzt sehen diese Vorstellungen so aus: Am 10. April legte Paul Ryan dem Repräsentantenhaus den von ihm entworfenen Budgetplan vor. Herzstück sind Einsparungen - mehr als 5 Billionen Dollar in den nächsten zehn Jahren. Mit den schärfsten Einsparungen "bei der Gesundheitsverorgung für Arme und Nicht-Versicherte, Lebensmittelmarken, Ausbildungsprogramme und Kredite für Communitys".

Laut oben erwähntem New York Times-Artikel kann die "bessere materielle Ausstattung der Geringverdiener" damit erklärt werden, dass Preise für bestimmte Güter wie TV-Geräte und Computer in den vergangenen Jahren überproportional stark gesunken sind. Demgegenüber sind aber die Kosten für Gesundheitsversorgung und vor allen Dingen Ausbildung (College, Kinderkrippen) stark gestiegen.

Für Familien, die jeden Monat zum Teil mit mehreren Jobs darum kämpfen, die Fixkosten zu bestreiten, sind Kürzungen von Lebensmittelzuschüssen oder gestrichene Leistungen für die Gesundheitsversorgung fatal, heißt es dort. Und wie soll eine Verbesserung des Status erfolgen, ein Ausweg aus den ärmlichen Verhältnissen möglich sein, wenn der Zugang zur besseren Ausbildung bedeutet, dass man Schulden machen muss?

Laut einer kürzlichen Meldung des US-Landwirtschaftsministeriums leben 49 Millionen Amerikaner in Haushalten, die darum kämpfen, genug zum Essen zu haben.