Kurz und schnell

Online-Leser wollen Infohäppchen

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Eigentlich wissen wir es ja alle selber, denn es stimmt sicher auf den ersten Blick: Online wollen wir auf dem Bildschirm keine langen und schwierigen Texte lesen, sondern uns nur schnell informieren. Aber ist das die ganze Weisheit?

Nach einer von Jupiter Communications durchgeführten Befragung von 2200 Internetbenutzern über deren Rezeption von Online-Nachrichten scheint zumindest alles ganz eindeutig zu sein: Zwar wenden sich für aktuelle Meldungen immer mehr Internetbenutzer Online-Nachrichten zu, aber dort bleiben sie durchschnittlich nur etwa 10 Minuten, um sich einen Überblick über die Meldungen zu verschaffen. Noch immer benutzen zwar an die vierzig Prozent den Fernseher, um sich über Neues zu informieren, aber Online-Nachrichten haben in dieser Hinsicht mit 12 Prozent bereits Rundfunknachrichten (9 Prozent) und natürlich die langsam vor sich hindümpelnden Zeitungen (2 Prozent) überholt.

61 Prozent lesen nationale und internationale Nachrichten, 39 Prozent Nachrichten aus der Wirtschaft und 34 Prozent aus dem Sport. Dann folgen Meldungen aus der Unterhaltung mit 31 Prozent, regionale Informationen mit 26 Prozent und schließlich News aus der Technik mit 20,6 Prozent.

Wegen der kurzen Aufmerksamkeitsspanne, die in Online-Nachrichten investiert wird, zieht es die Hälfte der eiligen Infonauten zu Suchmaschinen oder zu Portalen wie Yahoo oder MSN und 40 Prozent zu Online-Diensten wie America Online. Hier finden sie Schlagzeilen und kurze aktuelle Nachrichten aus verschiedenen Quellen auf dem aktuellen Stand, aber keine langen Texte und in die Tiefe gehenden Analysen. Weil die Leser online Nachrichten nur in kurzen Zeitblöcken lesen und dafür bestimmte Sites wählen, die diese entsprechend anbieten, empfiehlt Jupiter Communication den Online-Redaktionen, sich noch stärker auf kurze und aktuelle Nachrichten zu konzentrieren und dann weitergehende Angebote oder Links zu diesen zu machen, anstatt "in die Tiefe gehenden Analysen" herzustellen. Kein Wunder ist also, daß die Nachrichtenagenturen als Informationsquelle auf dem Vormarsch sind.

Ginge man nach der Empfehlung vor, dann sollte man die Nachrichten in die schnelle Online-Welt der Infohappen und die gemächliche Printwelt der ausführlicheren Texte mit Hintergrundinformationen auftrennen. Zumindest aber müßten Online-Angebote als Aufmerksamkeitsfänger auf der Homepage mit kurzen Nachrichten, die permanent aktualisiert werden, auftreten und dann um diese herum die schwerer verdaulichen Texte gruppieren. Also kauft man sich bei einer Nachrichtenagentur ein, die eben diesen Inhalt liefern. Das trocknet zwar die Vielfalt der Nachrichten aus - und führt dann vielleicht auch dazu, daß man, wenn man überall dasselbe sieht, sich doch wieder anderen Medien zuwendet, es sei denn, daß die Anpassung an die Erwartungen eben diese weiter verstärken und dann nur noch Infohappen angeboten werden.

Sicher, man liest nicht gerne lange Texte auf dem Bildschirm, sondern druckt sie dann höchstens aus, weil man dies (noch?) so gewohnt ist, man im Augenblick, z.B. bei der Arbeit, nicht genügend Zeit hat, oder die Kosten drücken, die stets auch zur Eile antreiben. Wir wollen jetzt nicht über die Verarmung der (politischen) Kultur lamentieren, die durch vermeintliche Anpassung an die Lese-, Hör- und Sehgewohnheiten entstehen könnte, aber es ist ganz offensichtlich, daß es sich dabei um eine Spirale handelt, in der die Aufmerksamkeit trainiert wird. Richtet man alle Angebote lediglich als Aufmerksamkeitsfallen aus, so führt das zu einem immer stärkeren Konkurrenzdruck auf kurze, schnelle und prägnante Abwechslung, um die Aufmerksamkeit zu halten, die desto flüchtiger und diesbezüglich anspruchsvoller wird.

Doch man muß ja nicht nur zum Pessimisten werden und vom Kulturverfall sprechen, der durch jedes neue Aufmerksamkeitsmedium sich noch weiter zuspitzt, sondern man kann auch die Vorteile der Online-Medien sehen, die von vielen Agenturen und Nachrichtenanbietern besonders hierzulande noch nicht ausgereizt werden. Meist stehen die Meldungen noch so isoliert im Netz, als wären es gedruckte Texte. Kaum werden Links zu weiterführenden Texten im eigenen Angebot oder nach außen gelegt. Da scheint eine Angst dahinter zu stecken, man könnte die Leser verlieren, vielleicht aber auch, daß die Leser zu selbständig werden könnten und die Schliche der Journalisten im Vergleich mit den Originaldokumenten zu durchschauen beginnen. Vielleicht wird es neben den aktuellen und kurzen Nachrichten, die vermutlich aus immer weniger Quellen stammen, einen desto größeren Bedarf an Hintergrundtexten, Analysen und Kommentaren geben, die durchaus auch subjektiv eingefärbt sein können. Da Online-Medien nicht geographisch beschränkt sind, wären möglicherweise auch für solche "intellektuellen" Nischen genügend Interessierte vorhanden, während sich diejenigen, die sich nach dem Rat von Jupiter Communications auf die kurzen Infohäppchen stürzen, im Wettbewerb um die knappe Ressource Aufmerksamkeit verheizen.