Land der Doktoren: Deutschland wird Dissertationsweltmeister

Der Wissenschaftsstandort USA ist immer noch ungeschlagene Spitze, doch Europa holt auf

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Im Großen und Ganzen ist das Ergebnis keine Überraschung: Weiterhin sind die USA gemessen an Publikationen, Investitionen und Personal im Wissenschaftssektor internationale Spitze, und zwar mit deutlichem Abstand. Kleiner Trost: Die Europäer haben in den vergangenen Jahren aufgeschlossen. Allen voran Großbritannien, dicht gefolgt von Deutschland.

Dies berichtet David A. King, Leiter des Office of Science and Technology in London und Wissenschaftsberater der britischen Regierung, in Nature.

Die Oberliga

Weltweit produzieren immer mehr Wissenschaftler immer mehr wissenschaftliche Publikationen. Und obwohl die Riege der führenden Forschungsnationen, sprich die G8-Staaten, einen ziemlich stabilen Block bildet, gibt es immer wieder Veränderungen. Die Daten für seine Analyse erhielt King von Thomson ISI (früher: Institute for Scientific Information), von dem regelmäßig 8.000 Magazine in 36 Sprachen ausgewertet werden. Von den weltweit existierenden 193 Ländern wählte King 31 aus: Australien, Belgien, Brasilien, China, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Großbritannien, Indien, Iran, Irland, Israel, Italien, Japan, Kanada, Luxemburg, Niederlande, Polen, Österreich, Portugal, Russland, Singapur, Spanien, Südafrika, Südkorea, Schweden, Schweiz, Taiwan und die USA. Diese Nationen produzieren 98 Prozent der weltweit am häufigsten zitierten Veröffentlichungen. Der untersuchte Zeitraum (1993 bis 2002) setzt die Studie von Robert M. May (The Scientific Wealth of Nations, erstmals veröffentlicht in: Science, 275, 1997) über die Jahre 1981 bis 1994 fort. Leider sind die beiden Studien nicht direkt miteinander vergleichbar, weil sie teilweise mit anderen Kriterien arbeiten.

Europa legt seit 1997 zu

Was die Menge der Veröffentlichungen und Zitierungen betrifft, bilden die USA im internationalen Vergleich mit Abstand das stärkste Gewicht. Doch im Verein ist Europa (exakt: die EU-15 = die EU vor der Osterweiterung) stärker; insbesondere seit 1997 war ein kräftiger Schub zu beobachten. Ändert man jedoch die Perspektive und betrachtet das Verhältnis von Publikationen und Zitierungen in Relation zu Bevölkerungszahl und Bruttosozialprodukt (BIP), dann klettern Skandinavien, Israel, Niederlande und die Schweiz an die Spitze, während die USA und Japan unter den Durchschnitt rutschen. Einen Sprachvorteil der anglophonen Länder in puncto Zitierungshäufigkeit lässt King im Übrigen nicht gelten, obwohl er einräumt, dass es Anzeichen dafür gibt, dass amerikanische Forscher bevorzugt heimische Publikationen zitieren.

Europa schwach in der Biotechnologie

Um die Stärke der unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen miteinander vergleichen zu können, bildet King sieben Kategorien: klinische Medizin, präklinische Medizin und Gesundheit, Biowissenschaften, Umwelt, Mathematik, Naturwissenschaften und Ingenieurwissenschaften. Hier zeigt sich, dass Russland und Japan bei den Natur- und Ingenieurwissenschaften gut abschneiden, Frankreich stark in Mathematik ist und Deutschland bei den Naturwissenschaften vorne liegt. Großbritannien führt in Medizin, Biowissenschaften und Umwelt, fällt jedoch bei Natur- und Ingenieurwissenschaften zurück. Doch auch Europa (EU-15) zusammengenommen kann die USA nicht einholen, was am Übergewicht der USA in den Bereichen Biotechnologie und Medizinwissenschaften liegt.

Der 1. Platz für Deutschland

Kulturelle Unterschiede findet King bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Bei den Dissertationen ist Deutschland beispielsweise Weltmeister, während der Doktortitel in Japan offenbar eine nur untergeordnete Rolle spielt. Bei den Wissenschaftlern in Vollzeitbeschäftigung liegt Japan dann jedoch wieder vorn. Dort rekrutiert die Industrie Forscher gleich nach dem ersten Hochschulabschluss und bildet sie mit On-the-Job-Training weiter. In den USA und Europa ist es üblicher, dass Wissenschaftler erst promovieren und dann ein festes Arbeitsverhältnis eingehen.

Forschungsdefizite in Afrika und der islamischen Welt

Was ist mit dem Rest der Welt? Das einzige afrikanische Land auf Kings Länderliste ist Südafrika auf Platz 29, auf Platz 30 liegt Iran, der einzige Repräsentant der islamischen Welt. Eine signifikantes Gefälle, obwohl es in diesen Regionen durchaus Länder mit einem hohen Bruttosozialprodukt gibt. King schrieb:

Meine Antwort auf diese Statistik ist, dass kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum auf den hochgradig wettbewerbsorientierten Weltmärkten die gezielte Förderung der Generierung von Wissen voraussetzt. Auch geringfügige Verbesserungen im Bereich Gesundheit, Trinkwasser, Hygiene, Nahrung und Transport erfordern Fähigkeiten im Bereich Maschinenbau, Technologie, Medizin, Wirtschaft und Sozialwissenschaften, die außerhalb der Reichweite vieler Länder liegen.

Für ihn lässt sich der Teufelskreis von Armut und Abhängigkeit von westlichem Know-how nur durch Kooperationen zwischen Ländern mit hoher und mit niederer Wissenschaftsdichte durchbrechen.

Was Kings Statistiken auch wenig sichtbar machen, sind die Leistungen von Ländern wie China (19. Platz) und Indien (22. Platz). Zwei aufstrebende Mächte, die ihre wissenschaftliche Basis in den vergangenen Jahren schnell und effizient entwickelt haben, deren Fortschritte jedoch - und das lässt sich aus Kings Statistik doch wieder schließen - von der internationalen Forschergemeinde wenig rezipiert werden.

Paradox Großbritannien

In Kings Studie kristallisiert sich Großbritannien als zweitstärkste Wissenschaftsnation heraus. Das überrascht, da im Vereinten Königreich zwischen 1980 und 1995 die öffentlichen Forschungsgelder deutlich gekürzt wurden. Das Resultat: Britische Forscher haben sich nach Mitteln bei EU und Industrie umgesehen - mit Erfolg. Laut King steht der Wissenschaftsstandort Großbritannien in voller Blüte. Um dies nicht zu gefährden, hat die Regierung Blair die Mittel wieder kräftig aufgestockt: Für die Jahre 1997 bis 2005 wurde das Wissenschaftsbudget des Office of Science and Technology verdoppelt. Bis 2008 wird es jährlich um weitere 5,6 Prozent wachsen und bis 2014 sollen die insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel 2,5 Prozent des BIP betragen.

Und Deutschland? Nach den Diskussionen um Pisa-Pleite und Kürzungen der Hochschuletats etc. tut es gut zu lesen, dass Deutschland in den vergangenen 20 Jahren enorm aufgeholt hat und vor allem bei den Biowissenschaften und im Ingenieurwesen international gut dasteht. Immerhin steht Deutschland bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung im internationalen Vergleich nicht so schlecht da: von 1998 bis 2003 sind die Ausgaben von 2,31 Prozent auf 2,52 Prozent des BIP gewachsen, bis 2010 sollen es 3 Prozent sein. Besser stehen nur Japan (3,2%) und die USA (2,7%) da.

Wissenschaft als Waffe für die Zukunft

Eine starke Wissenschaftsbasis führt nicht zwangsläufig zu mehr Wohlstand. Gleichwohl ist King davon überzeugt, dass eine starke Forschung zusätzliche Vorteile für das jeweilige Land und die Welt als Ganzes hat:

Vom globalen Terrorismus und der Verbreitung von Krankheiten bis hin zu die Gefahren der Klimaerwärmung sind wir zunehmend mit Bedrohungen konfrontiert, angesichts derer die Regierungen überall in der Welt die Wissenschaft brauchen werden.