Lass dich nicht nieder, wo man böse Lieder singt

Nach einer Studie amerikanischer Psychologen sollen auch aggressive Songtexte die Aggressivität der Zuhörer verstärken - sogar langfristig

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Medien wie Fernsehen sollen die Aggressivität fördern (Und Fernsehen macht - vielleicht - doch aggressiv). Nämliches wird auch von Computerspielen gesagt, die auf Gewalt basieren (Brutale Spiele(r)?). Was genau die Gewaltbereitschaft fördert oder gar verursacht, ist schwierig festzustellen und keinesfalls wissenschaftlich zweifelsfrei zu erweisen. Dass Musik tief und unmittelbar in die Emotionen eingreifen kann, ist jedem klar. Jetzt wollen Psychologen herausgefunden haben, dass nicht nur die Bilder oder die Musik selbst aggressiv machen können, sondern auch Worte, zumindest Liedtexte, die Gewalt zum Thema haben.

Die Umwelt beeinflusst uns. Das ist kaum erstaunlich, auch nicht, dass auch das, was wir wahrnehmen, uns formt. Genauer lässt sich freilich nur schwer feststellen, was welche Wirkungen verursacht. Es sind einfach zu viele Komponenten, die für das Verhalten oder die Persönlichkeit eine Rolle spielen.

Dass Medien, in deren Welten wir immer mehr Zeit während der Arbeit und der Freizeit verbringen, uns verändern und formen, ist eigentlich banal. Auch wenn kaum konkret auf bestimmte Folgen von Medien oder Medieninhalten hingewiesen werden kann. Da Medien ebenso wie die Chemie oder andere Wirtschaftszweige, die unsere Umwelt verändern, kommerziell interessant sind, verhängt man keine Moratorien und beschränkt sich höchstens auf Untersuchungen einfacher Ursache-Wirkungs-Verhältnisse, die auch auf der nur körperlichen Ebene nur begrenzt Risiken deutlich machen. Langfristige und kumulativ wirkende Folgen fallen hier in aller Regeln heraus.

Im Bereich der Medien ist man noch nicht einmal zu Technikfolgeabschätzungen bei Einführung vorgestoßen, die Übergänge sind zugleich zu schnell und zu fließend, die Folgen "nur" kognitiv, wenn auch möglicherweise das Gehirn in Teilen ganz materiell anders "verdrahtend". Medien kneten, um McLuhan zu paraphrasieren, unsere Gehirne ebenso durch und um, wie dies erlernte Fähigkeiten wie die Sprache oder Drogen wie Cannabis oder Alkohol tun. Untersucht werden bei Medien vor allem bestimmte vermutete Wirkungsmechanismen, die gesellschaftlich - zumindest teilweise oder für bestimmte Personengruppen - unerwünscht sind. Andererseits interessiert natürlich auch, wie sich Menschen über Medien zu Werbe- oder Propagandazwecken beeinflussen lassen. Eigentlich aber testet jedes Medium und jeder Medieninhalt, was schon immer die Aufgabe der Kunst war, wie es im Gehirn gewissermaßen ankommt.

Seeleneinschreibungen

Jetzt also haben US-Psychologen von der Iowa University und dem Texas Department of Human Services untersucht, wie sich Songtexte auf das Verhalten niederschlagen, wenn sie Gewalt zum Inhalt haben oder performativ zeigen. Hier hat man wie auch sonst argumentiert, dass die Wahrnehmung von Gewalt nicht zur Nachahmung führen müsse, sondern auch kathartisch wirken könne. Recht viel weiter als Aristoteles ist man also grundsätzlich noch nicht gekommen. Auch Platon war bekanntlich schon der Meinung, dass es sehr wohl in einer Gemeinschaft darauf ankommt, was die Menschen zu sehen und zu hören bekommen, weswegen der Philosoph als Staatendenker auch zur Zensur griff, um gefährliche Schauspiele, Texte oder Lieder zu verbannen, während er seiner Ansicht nach Passenderes vorschlug, mit dem sich eine Gemeinschaft von früh auf ein bestimmtes Verhalten durch permanente Vor- und Aufführungen eintrainieren sollte. Das nämlich schreibt sich in die Seelen ein.

Die Wissenschaftler haben für ihre Untersuchung "Exposure to Violent Media: The Effects of Songs with Violent Lyrics on Aggressive Thoughts and Feelings", die sie in der Mai-Ausgabe des Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht haben, über 500 Studenten in fünf unterschiedlichen Experimenten jeweils einen Song mit oder ohne aggressiven Inhalt von Rockmusikern wie den Beastie Boys, Cypress Hill, Violent Femmes oder Tool hören lassen. Anschließend mussten sie bestimmte psychologische Tests absolvieren oder Fragebögen ausfüllen. Die Wissenschaftler versuchten die Wirkung der Musik selbst und eine unterschiedliche Ansprechbarkeit auf Aggressivität der Versuchspersonen auszuschließen. So suchte man beispielsweise Titel zum Vergleich aus, die sich möglichst nicht musikalisch, sondern nur hinsichtlich der Textinhalte unterscheiden, nahm unterschiedliche Musikstile zum Vergleich und führte unterschiedliche Tests durch.

You see a bunch of assholes that lived
in this part of building here.
But we systematically removed them like
you would any kind of termite or roach.

...

Consequences dictate our course of action
and it doesn't matter what's right.
It's only wrong if you get caught.
If consequences dictate my course of action,
I should play GOD and just shoot you myself.
Tired of waiting.
Tired!

Shoot ya, beat ya, fuck ya,
Shoot you in your fucking head.

"Jerk-Off" von Tool. Ausschnitt aus einem Songtext, der als aggressiv eingestuft wurde und gegen den Text von "Four Degrees" ebenfalls von Tool getestet wurde

Nach den unterschiedlichen Experimenten haben diejenigen weiblichen und männlichen Studenten, die Texte mit Gewaltinhalten hörten, selbst mehr aggressive Gedanken gezeigt, schneller die aggressive Bedeutung von Worten erfasst, die nach beiden Seiten hin ausgelegt werden können, und schneller Worte in Richtung aggressiver Bedeutungen vervollständigt. Man habe "deutlich gezeigt, dass solche Songs aggressive Gedanken und Gefühle fördern".

Vorsicht vor wiederholtem Hören von aggressiver Lyrik

Obwohl sich Songtexte erheblich von Bildern und Computerspielen unterscheiden, sehen die Wissenschaftler sich durch die Ergebnisse bestätigt, dass der Konsum von Medien mit Gewaltdarstellungen allgemein kausal kurz- und langfristig mit einem verstärkten Ausdruck von Aggression zusammenhängt. Zwar würde bei Musik oft gar nicht der Text verstanden oder er aufmerksam verfolgt und stünde die Musik im Vordergrund, aber auch Worte könnten aggressive Gedanken, Wahrnehmungen oder Verhaltensweisen vorprägen, selbst wenn sie gar nicht bewusst verarbeitet werden.

Will man den Tests glauben, so haben die Experimente allerdings nur sehr unmittelbare Wirkungen erfassen können. Bei der Interpretation gehen die Wissenschaftler aber viel weiter und vermuten, dass die Prägung durch aggressive Texte auch chronisch werden und - ebenso wie bei der kurzeitigen Wirkung - die Wahrnehmung der Umwelt sowie die Reaktion auf sie färben könne. "Wiederholtes Hören von aggressiver Lyrik kann zur Entwicklung einer aggressiven Persönlichkeit beitragen."

Das könne auch indirekt wirken, weil die Mitmenschen, denen man zeitweise aggressiv aufgeheizt begegnet ihrerseits entsprechend reagieren: "Wiederholte kurzzeitige Mediengewalteffekte (Lyrik, Fernsehen, Filme, Computerspiele) können indirekt eine feindseligere soziale Umwelt schaffen, die die Entwicklung von chronischen feindseligen Neigungen in der internen Struktur der Person - ihren perzeptuellen und sozialen Scripts und Schemata und damit verbundenen Wissensstrukturen -, kurz: in ihrer Persönlichkeit fördern." Das ist nun schon ziemlich spekulativ, empirisch nicht mehr herleitbar, wobei wahrscheinlich die wissenschaftliche Konzentration auf die zu prüfende Hypothese die vermutete einseitige Kausalität von bestimmten Liedtexten zur Formung der Persönlichkeit bedingt.

Gleichwohl will Craig Anderson aus den Ergebnissen der Studie eine weitere Bestätigung für die Langzweitwirkung von medialen Inhalten mit Gewaltdarstellungen ableiten, was auch hieße, dass man bestimmte Liedtexte erzieherisch für friedliebende Weltenbürger unter Verschluss halten sollte (was ja auch eine weitere Aufgabe des neuen deutschen Jugendschutzgesetzes werden könnte). Und wenn die Musik selbst nicht so wichtig sei, dann müsste dies auch auf Texte aller Art zutreffen. "Die Botschaft ist wichtig für alle Konsumenten, aber besonders für Eltern von Kindern und Jugendlichen."

Gerade haben wir allerdings wieder gesehen, dass nicht nur die Friedensliebe, sondern auch kämpferische Tugenden in der Welt verlangt und gefeiert werden. Und in der Welt der Soldaten und Kämpfer aller Art, gleich ob sie Söldner oder Fanatiker sind, würde die Fragestellung wohl auch anders lauten: Welche Inhalte müssen wiederholt gesehen, gehört oder irgendwie dargestellt werden, um aggressives Verhalten zu fördern? Aber möglicherweise haben wir daran ja auch wirklich keinen Mangel.