Lassen Gewaltspiele die Gefühle abstumpfen?

Hirnforscher aus Bonn wollen dies nun in einem Experiment nachgewiesen haben, überzeugend sind die Ergebnisse aber nicht wirklich

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Die Frage, ob Gewaltspiele Menschen aggressiver machen, gleicht einer ewigen Diskussion. Psychologen und Neurowissenschaftler aus Bonn haben in einer Studie häufige Spieler von First-Person-Shootern mit einer Kontrollgruppe verglichen. Ihrer Interpretation nach fehlt den Spielern eine Abwehrreaktion auf unangenehme Darstellungen. Diese Erklärung stößt jedoch auf zahlreiche Ungereimtheiten.

Die Debatte über einen Zusammenhang zwischen brutalen Computerspielen und aggressivem Verhalten insbesondere Jugendlicher wird bei jedem Amoklauf oder medienwirksamen Gewaltakt wieder neu geführt (Gewalt und Computerspiele). Wissenschaftlern ist bisher noch kein eindeutiger Nachweis dafür gelungen, dass das Spielen sogenannter Killerspiele die Hemmschwelle senkt, gewaltsame Taten in der wirklichen Welt durchzuführen.

In Zusammenarbeit mit Neurowissenschaftlern am Life&Brain-Zentrum hat der Psychologe Christian Montag von der Abteilung Differentielle & Biologische Psychologie der Universität Bonn nun eine Studie veröffentlicht. Darin wird die Gehirnaktivierung junger Männer, die häufig solche Spiele spielen, mit einer Kontrollgruppe verglichen. Im Zentrum steht die Frage, ob sich der Spielkonsum in einer gedämpften Gefühlsverarbeitung im Gehirn ausdrückt.

Dr. Christian Montag mit Hirnscans der Probanden. Auf dem Bild ist das höhere Aktivierungsmuster des linken medialen Frontallappens bei Kontrollpersonen im Vergleich zu Ego-Shooter-Videospielern während der Verarbeitung negativer Emotionen zu sehen. Foto: Uni Bonn

Die Pressemitteilung der Universität nimmt die Antwort bereits vorweg: "Gewaltspiele stumpfen die Emotionen ab", hieß es dort am 12. Oktober. Die Untersuchung wird darin gleich am Anfang mit dem Massenmord Breiviks in Norwegen sowie den Amokläufen in Erfurt, Emsdetten und Winnenden in Zusammenhang gebracht. Die Spielsituation in den Ego-Shooter-Spielen wird mit den Geschehnissen der Verbrechen verglichen. Entsprechend hoch ist die gesellschaftliche Relevanz der neuen Untersuchung einzuordnen, die in der Zeitschrift Biological Psychology erschienen ist.

Gamer in den Hirnscanner

Zur Rekrutierung ihrer Versuchspersonen haben die Forscher eine Werbeanzeige auf der Internetplattform der in Köln ansässigen Turtle Entertainment GmbH geschaltet, auf der nach Angaben der Forscher rund 2,5 Millionen deutsche Onlinespieler registriert sind. Die Zielgruppe für das Experiment bestand schließlich aus 21 Männern im durchschnittlichen Alter von 23 Jahren, die eigenen Angaben zufolge im Mittel seit mehr als acht Jahren und 15 Stunden pro Woche First-Person-Shooter spielen. Als Vergleichsgruppe dienten 19 Gleichaltrige ohne diese Spielerfahrungen. Die Untersuchung wurde mit der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) durchgeführt, mit der sich kleinste Unterschiede im Sauerstoffgehalt des Bluts messen lassen, die wiederum mit neuronaler Aktivität im Gehirn korrelieren.

Die Untersuchung verwendete ein eher als altmodisch geltendes Blockdesign. Das bedeutet, dass den Versuchspersonen abwechselnd Bilder gezeigt wurden, die jeweils zu einer bestimmten Kategorie gehörten. Dafür haben die Forscher auf das sogenannte International Affective Picture System (IAPS) zurückgegriffen, das an der University of Florida in Gainesville entwickelt wurde und zuverlässig bestimmte emotionale Reaktionen hervorrufen soll. Drei entsprechende Kategorien bestanden aus "unangenehmen", "angenehmen" und "neutralen" Bildern. Die angenehmen Grafiken zeigten beispielsweise lachende Menschen, Strände oder erotische Darstellungen von Frauen. Die unangenehmen bildeten etwa Unfälle, entstellte Menschen oder Angriffszenen ab. Die neutrale Kategorie bestand beispielsweise aus Fotos von Alltagsgegenständen wie Stühlen oder Tassen. Für eine zusätzliche vierte Kategorie lieferte Turtle Entertainment Screenshots des Shooter-Spiels Counterstrike.

Den Versuchspersonen wurden insgesamt 24 Blöcke gezeigt, in denen jeweils fünf Bilder aus einer der Kategorien enthalten waren. Dabei wurde jede Grafik für vier Sekunden gezeigt. Am Ende jedes Blocks mussten die Probanden eine Frage dazu beantworten, ob ein bestimmtes Bild in dem letzten Block enthalten war. Damit sollte sichergestellt werden, dass die Personen auch wirklich aufgepasst haben. In 93% der Fälle gaben sie auch die korrekte Antwort. Im Folgenden haben die Forscher dann die Daten der vier Kategorien und zwischen beiden Gruppen, die der fMRT-Scanner aufgezeichnet hat, miteinander verglichen.

Gefühl oder Gefühlsregulation?

Die Pressemitteilung der Universität Bonn titelte mit der Schlagzeile, dass Gewaltspiele Emotionen abstumpfen. Das hat die Studie von Christian Montag und Kollegen aber gerade nicht ergeben, denn für alle 40 Versuchspersonen zusammen wurde im Vergleich der unangenehmen mit den neutralen Bildern ein Haupteffekt in Gehirnregionen gefunden, die mit Gefühlsverarbeitung in Zusammenhang gebracht werden. Dies gilt vor allem für Bereiche im limbischen System wie den Mandelkernen (Amygdalae) links und rechts. Dies ist die übliche Reaktion, die für IAPS-Bilder zu erwarten ist, und unterscheidet sich nicht zwischen den intensiven Spielern und der Kontrollgruppe.

Bei Gegenüberstellung der beiden Gruppen fanden die Forscher dann aber tatsächlich Unterschiede. So hatten die Probanden der Kontrollgruppe im Vergleich von unangenehmen mit neutralen Bildern eine stärkere Aktivierung im linken Frontal- sowie Temporallappen. Diese Gehirnregionen werden mit zahlreichen kognitiven und emotionalen Prozessen in Zusammenhang gebracht. Christian Montag und Kollegen interpretieren dies als einen Unterschied in der emotionalen Kontrolle, also der sogenannten Emotionsregulation. Sie vermuten, dass die unangenehmen Bilder in der Kontrollgruppe eine Art Abwehrmechanismus ausgelöst hätten, um unerwünschte negative Gefühle zu unterdrücken. Die Forscher spekulieren über die alternative Interpretationsmöglichkeit, dass die vergleichsweise verringerte Aktivierung in der Zielgruppe auf einen Mangel an Empathie mit den gezeigten Verletzten der unangenehmen Bilder zurückgeführt werden könnte, haben hierfür jedoch keine weiteren Hinweise.

Ein signifikanter Gruppenunterschied fand sich auch für die Counterstrike-Bedingung. Hier hatten diesmal die häufigen Spieler eine höhere Aktivierung, unter anderem wieder im Frontal- und Temporallappen. Dies entsprach nicht den Erwartungen der Forscher, die stattdessen mit Gehirnregionen gerechnet hatten, die mit Abhängigkeit in Zusammenhang gebracht werden. Dabei verweisen sie auf eine Studie der taiwanischen Psychiater Ko und Kollegen, die zuvor Spieler von World of Warcraft im Hirnscanner untersucht und einen entsprechenden Befund hatten. Stattdessen interpretieren Christian Montag und Kollegen ihr Ergebnis als Hinweis darauf, dass die Probanden der Zielgruppe beim jeweils viersekündigen Betrachten der Counterstrike-Bilder Spielzüge vorbereitet hätten. Erhöhte Aktivierungen motorischer Regionen, die mit dem Vorbereiten und Ausführen von Handlungen in Zusammenhang stehen, was zu dieser Erklärung passen würde, fanden sie jedoch nicht.

Was die Gruppen unterscheidet

Ein grundlegendes Problem der Untersuchung besteht jedoch in der Zusammensetzung der Gruppen. Tatsächlich unterschieden diese sich nämlich nicht nur mit Blick auf das Spielen der Gewaltspielen, sondern auch durch den Konsum von Horror- und Actionfilmen. So gaben die Personen der Zielgruppe an, diese wöchentlich im Schnitt 1,7 beziehungsweise 4,6 Stunden zu konsumieren, die der Kontrollgruppe jedoch nur 0,1 beziehungsweise 0,9 Stunden. Auch bestand ein deutlicher Unterschied zwischen dem wöchentlichen Computerspielverhalten allgemein, nämlich 18,8 gegenüber nur 2 Stunden im Gruppenmittel. Die Unterschiede, die die Forscher finden, lassen sich also nicht speziell mit den Gewaltspielen in Zusammenhang bringen, sondern ebenfalls mit Gewaltfilmen oder dem Computerspielen allgemein.

Nicht unproblematisch ist auch das Signifikanzniveau, auf dem die Forscher die Gruppenunterschiede berichten. Anstelle einer üblichen Methode zur Kontrolle falsch-positiver Befunde beim Vergleich mehrerer zehntausend Datenpunkte, fanden sie ihr Ergebnis auf einem unkorrigierten Niveau (p < 0,001; k > 10). Diese statistische Schwelle wurde bereits zuvor kritisiert, da man mit vergleichbaren Werten sogar bei einem toten Lachs im Hirnscanner "Gehirnaktivierung" finden konnte. Dieser Befund von Craig Bennett und Kollegen von der University of California in Santa Barbara sorgte damals international für viel Aufmerksamkeit.

Schließlich lässt die Studie offen, ob sich die Unterschiede in den Gehirnmessungen zwischen den beiden Gruppen auch in Verhaltensunterschieden äußern. Die Versuchspersonen mussten sich die Bilder im Hirnscanner nur passiv anschauen und nicht im Zusammenhang mit den Gewalt- oder Computerspielszenen reagieren. Tatsächlich berichten die Forscher sogar, dass sich die Gruppen in den erhobenen Persönlichkeitsvariablen wie Neurotizismus, Extraversion oder Ärger gerade nicht voneinander unterscheiden, obwohl diese Faktoren in anderen Studien mit Gefühlsverarbeitung in Zusammenhang gebracht wurden. Die Interpretationen in der Studie und vor allem in der Pressemitteilung der Universität Bonn gehen sehr weit. Einen klärenden Beitrag über den Einfluss von Gewaltspielen auf aggressives Verhalten liefert dies jedoch nicht.