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Politics meets High-Tech - Newt Gingrich auf "Hausbesuch" im Silicon Valley

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Silicon Valley und seine High-Tech-Computer-Industrie sind für vieles bekannt: Unternehmergeist, Erfolgsgeschichten, Geld im Überfluß. Mit einer Sache dürfte es einem allerdings schwer fallen, die im Valley zusammengedrängte Arbeiterklasse der digitalen Ökonomie zu verbinden: mit der "hohen" Politik der alten Art. Denn wer in einem der großen Computerunternehmen oder einem um Erfolg ringenden Start-up seine Tage (und Nächte) verbringt, will entweder ganz schnell ganz viel Geld verdienen oder durch irgendeine technologische Erfindung die Welt verändern (siehe auch Die Elite der Vernetzten). Dies ist zwar auch eine Form der Politik, aber eben eine, die sich von der Bürokratie des fernen Washingtons deutlich abgrenzt. Die "große" Politik und vor allem Washington werden im Valley nur als Blockadeinstanzen für den eigenen Spielraum gesehen und nur dann als notwendiges Übel akzeptiert, wenn es gilt, gegen Microsoft, den geliebten Feind aus dem Staate Washington, ins Feld zu ziehen. Ansonsten gilt die Devise: "Hands off".

Doch trotz ihrer radikalen Haltung stößt die Computerelite in den höchsten Ebenen der Landespolitik auf immer größeres Verständnis. "Silicon Valley ist in vieler Hinsicht eine zukunfts- und selbstfokussierte Unternehmergemeinschaft bestehend aus Menschen, die permanent an der Erschaffung der Zukunft arbeiten", hat zumindest Newt Gingrich, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses erkannt. Und er findet das im großen und ganzen auch einleuchtend: "Wenn man Leute hat, die Spaß haben, Arbeitsplätze schaffen, neue Dinge planen, dann sagen die eben meistens: 'Ich verbringe nicht viel Zeit mit der Regierung. Ich schalte lieber in den Vorwärtsgang, arbeite an der Zukunft und erwerbe mir Reichtum, solange mich die Regierungstypen nur in Ruhe lassen'." Die Brüche zwischen Washington und Silicon Valley seien also ganz natürlich, auch wenn beide Seiten von einem besseren Verständnis füreinander und einer Annäherung aneinander in ihrem gemeinsamen Kampf für eine bessere Zukunft profitieren könnten.

Governments don't govern; they are only players in the markets - and decreasingly powerful ones at that. That is the new consensus: the state is withering away.

John Browning in WIRED 1/98

Ganz als Fürsprecher der High-Tech-Industrie präsentierte sich Mr. Speaker Mitte Januar so bei einer kurzen Stippvisite bei Oracle, dem weltweit zweitgrößten Softwareunternehmen. Anscheinend wollte er mit dem Besuch nicht nur seine immer wichtiger werdende Klientel im Silicon Valley beehren, sondern sich auch über Alternativen zur immer noch desktoporientierten Computerwelt aufklären lassen, die ihm bei seiner in derselben Woche unternommenen Visite beim größten Softwarehersteller in Redmond eventuell vorenthalten wurden. Schließlich ist Oracles CEO, Larry Ellison, einer der stärksten Verfechter der Idee eines im Vergleich zum PC deutlich abgespeckten Netzwerk-Computers (NC), der seine Applikationen und Programme größtenteils aus dem Intra- bzw. Internet abruft.

Und tatsächlich erschienen Gingrich die Geräte, die ihm Oracle-President Ray Lane vorführte, wie das lang gesuchte Teil zu einem schwierigen Puzzle. Könnten die Netzwerkgeräte - eine Set-Top-Box und ein NC mit etwas größerer Leistung standen zum Test bereit - bei dem von Oracle angepeilten aggressiven Preis von 199 bzw. 299 Dollar doch tatsächlich einer größeren und finanziell weniger gut gestellten Käuferschicht Zugang zum Netz und zu speziellen Webangeboten liefern, die Oracle obendrein anbieten möchte. Genau das, wovon Gingrich - Initiator des Programms "Earning by Learning" für Kinder aus einkommensschwachen Familien - bereits lange träumt.

Gingrichs Vision: Selbstbedienung per Internet

"Ich habe drei Fokusprojekte im Auge, wenn es um den Einsatz neuester Technologien geht", gestand der 54jährige Visionär im Gespräch mit den Firmenchefs von Oracle. "Das erste ist die 'Befreiung' der Armen und Gefangenen, die Entwicklung einer Umwelt, in der man 24 Stunden lang und sieben Tage in der Woche lernen kann, so daß beide Gesellschaftsgruppen in die Informationswelt miteinbezogen werden." Eng verknüpft damit ist Gingrichs zweites Projekt: die "Stärkung der Kräfte des Individuums". Und drittens arbeite er an der Entschlackung der Regierungsbürokratien, mit der er langfristig die gesamten administriellen Regierungskosten auf 25 Prozent ihres heutigen Volumens drücken wolle.

What we want is a self service learning system, a self service help access system, a self service legal system so that you don't have to hire a laywer for everything.

Newt Gingrich

Sein Rezept zur Erreichung dieses Ziels: das "Outsorcing" des gesamten bürokratischen Papierkrieges an den Bürger über das Internet. Von Rechtsdokumenten bis zum Führerschein - alles kann online angefordert und "abgeholt" werden. "Self-Service" für den Bürger im Verwaltungsbereich genauso wie an der Tankstelle oder bei Mc Donald's. Die "Demassifizierung" der Regierung und der Gesellschaft ist die Devise - eine Idee, die bereits in der von Gingrichs Think Tank, der Progress and Freedom Foundation, herausgegebenen Magna Carta for the Knowledge Age eine herausragende Rolle spielt.

Angesichts derartiger Pläne kam bei Oracles Finanzchef Jeff Henley schnell gute Stimmung auf. Schließlich könnte mit offizieller "Absegnung" durch die Regierung für den NC endlich die ihm lange prophezeite goldene Zukunft anbrechen und der Kampf gegen den ewigen Rivalen Microsoft gewonnen werden, der mit Web-TVs und abgemagerten PCs allerdings seinerseits aufrüstet. Man einigte sich deshalb schnell auf den Plan, ein Pilotprojekt im Raum Washington durchzuführen, in dem die dortigen 80.000 Schüler und Studenten, die über keine ausreichenden finanziellen Mittel verfügen, mit einem Netzgerät ausgerüstet werden sollen. Unkar blieb nur, ob die Regierung oder Oracle die Computer "sponsorn" wird.

Das amerikanische Erfolgsmodell: Dynamik und der richtige Industriemix

So fanden sich plötzlich lauter Gemeinsamkeiten in dem angeblich so verfeindeten Lager zwischen High-Tech-Betrieb und Washington. Oracles Vorstandssitzender erkannte zumindest rasch eine große Gemeinsamkeit im geteilten Glauben an das "riesige Potential der Technologie zur Veränderung der Welt." Bei diesen großen Einflußmöglichkeiten müsse die Regierung natürlich in das Geschehen involviert werden, um sicherzustellen, daß das Potential richtig genutzt werde. Und Gingrich andererseits sprach seine Bewunderung aus für "den Grad an Energie" mit dem "Unternehmer, Forscher und Erfinder" im Silicon Valley täglich ihr Lebenswerk beginnen. Rund 2,3 Millionen Menschen gäbe es nun auf der so erfolgreichen Halbinsel in der Bay-Area, und er wüßte zwar nicht genau, wie viele Jobs in der Region in den vergangenen zehn Jahren entstanden seien. "Aber", so Gingrich, "meine Vermutung ist, daß die Computerindustrie hier mehr Arbeitsplätze geschaffen hat als ganz Deutschland in derselben Zeit."

Oracle sei in diesem Zusammenhang eine der "großen amerikanischen Erfolgsgeschichten", habe es die Firma doch während ihres zwanzigjährigen Bestehens bereits auf 33.000 Mitarbeiter gebracht. "Ein einziges Unternehmen in Amerika" habe so de facto mehr Menschen zu einem Job verholfen "als manche europäischen Länder" während der letzten zehn Jahre. Das Interessante daran sei, daß die Europäer Arbeitsplätze verlören, weil sie diese krampfhaft erhalten wollten. Amerika fahre mit seiner beweglichen Einstellung dagegen viel besser: "Wir verlieren jede Woche einige Hunderttausende von Jobs, aber wir schaffen gleichzeitig fünfzig- bis sechzigtausend Jobs mehr als wir verlieren." Software und Informationstechnologie seien dabei vor allem die Zugpferde - neben der Filmindustrie und der Biotechnologie. Mit der Förderung dieser Technologien will Gingrich "die relative Führungsposition weiter ausbauen, die wir momentan bei der Schaffung von Arbeitsplätzen und Reichtum und insgesamt bei der Erfindung einer neuen Zivilisation innehaben."

Die Konkurrenz schläft nicht

Wer wollte Gingrich und seine Republikaner bei der Verwirklichung seiner Pläne noch aufhalten? Die einzige Alternative zu dem ehemaligen Geschichtslehrer, der als erster Republikaner zweimal in seine einflußreiche politische Position gewählt wurde und sich momentan fürs Jahr 2000 erneut als Kanzlerkandidat ins Spiel bringt, wäre allein eine stärkere Stellung der Demokraten im Repräsentantenhaus. Und wen würde es wundern, wenn nicht auch die Demokraten längst die erfolgreichen Helden aus dem Silicon Valley als wichtige Zielgruppe ausgemacht hätten?

Tatsächlich wird das Unternehmertum im High-Tech-Korridor Kaliforniens immer stärker von der Politikerelite beider Parteien heftig umworben. Und auch die demokratischen Vertreter versuchen sich dabei als die geborenen ideologischen Seelenfreunde der allein auf den Markt setzenden "Cyberliberalen" im Valley zu verkaufen. Dafür haben die Demokraten mit Wade Randlett sogar extra einen "Berater" nach Kalifornien entsandt, der die Techies und CEOs als Vertreter des Democratic Leadership Councils von der Wandlung seiner Partei von einer klassischen Arbeiterbewegung zu einer auf Wachs- und Reichtum setzenden Anhängerschar der "New Economy" überzeugen will - und dabei hin und wieder auch Bill Clinton als erlesenen Gast für ein Dinner im "Freundeskreis" mit führenden Unternehmern präsentieren kann. Dabei geht es - ähnlich wie bei der "High-Tech-Tour" Gingrichs - nicht nur ums Geld, obwohl Fund-Raising zur Hauptaufgabe Randletts gehört.

The reason members of Congress keep coming to Silicon Valley is not just to raise money but to go to the source.

Simon Rosenberg vom New Democrat Network

Im Kampf um die Gunst der Wirtschaftsführer geht es auch um Macht: um die Macht, die sich bereits in den Händen der Computerelite befindet, und damit um die Besetzung der Zukunftsideen und Wahlkampfparolen für das näherrückende nächste Jahrtausend. Bilden doch Leitbilder wie die von Al Gore geprägte Metapher des Information-Superhighways - aber generell auch alle Verknüpfungen von Internet und Computer mit irgendeiner Vision von Zukunft - komfortable, kaum auf Kritik stoßende Topoi, die Aufgeschlossenheit und Offenheit suggerieren und sich wunderbar und unverbindlich vermarkten lassen.

Die Ironie dabei ist nur, daß Republikaner und Demokraten in ihrem Einschwingen auf die Führungselite des Silicon Valley keine Abgrenzungspunkte mehr finden und sich ihre politischen Ideen und Ziele vollkommen gleich anhören. Alle setzen sie auf die High-Tech-Wirtschaft, auf Liberalisierung und auf den freien Markt. Alle wollen sie mit Hilfe des Internet die Regierung gesundschrumpfen und für eine bessere Erziehung der Kinder sorgen. Echte Alternativen zwischen den großen Parteien bleiben da nicht - und damit findet sich wenigstens eine Gemeinsamkeit zwischen dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten und dem alten Kontinent.