Lektionen in geistiger Finsternis

Der Kurzfilm "Sternenfänger" bei Bertelsmanns Planet m auf der Expo

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Der Planet m, eine Selbstdarstellungsplattform des Bertelsmann-Konzerns, gehört zu den großen Attraktionen der Expo. Nach durchschnittlich einer Stunde Wartezeit darf das gemeine Publikum die Früchte der Image-Werbung über sich ergehen lassen. 10000 Menschen besuchen die Veranstaltung täglich, am Ende der Weltausstellung werden den Film ca. 1,5 Millionen Menschen gesehen haben. Nach einer multimedialen pre-show, einer rasanten, aber nichtssagenden tour de force durch die Mediengeschichte, werden die Besucher in ein Kino geführt, in der nach kurzer Atempause die Hauptpräsentation gezeigt wird, der Kurzfilm "Sternenfänger" - eine perfekt gemachte Geschichte um einen kleinen Jungen aus Arabien, der sich mit Hilfe des Internets und einer Kinderschar aus aller Welt auf die Suche nach der Wahrheit macht. Leider ist dieses millionenteure Werk ein Beleg dafür, wie kompatibel inzwischen die ideologische Gedankenwelt der Esoterik mit der Geschäftswelt ist.

Junge tibetanische Mönche antworten Abdou per Internet: Szene aus "Sternenfänger"

Teufelsrochen streifen durch versunkene moderne Städte mit ihren Hochhäusern. Alles ist von Wasser überflutet, offenbar hat eine ökologische Katastrophe stattgefunden. Bevor man sich fragen kann, ob man in einer Neufassung des Endzeitstreifens "Waterworld" gelandet ist, bahnt sich in rasendem Tempo die Katastrophe an. Eine Welle der Vernichtung rast in einer brillanten Computeranimation über den Planeten und bringt ihn zur Explosion. Eine Kette von Atombombenexplosionen? Es bleibt im Dunkeln. Wir hören die Stimme von Robert Oppenheimer, dem Leiter des amerikanischen Atombombenprojekts, der über das Tragik dieser Erfindung philosophiert.

Doch damit ist der Anspruch einer gewissen Ernsthaftigkeit auch schon erledigt. Was folgt, ist ein weltfernes esoterisches Märchen, das fortlaufend die Intelligenz seiner Zuschauer beleidigt. Auf die Weite des Weltalls, in der eben noch die Erde existierte, folgt das Gesicht des Berberjungen Abdou. Dieser wird von einem Dorfweisen in einer arabischen Provinz dazu angeregt, sich auf die Suche nach einer Antwort auf die Frage zu begeben, was denn der Ursprung der Welt sei. Mit Mühe gelangt Abdou nach Kairo. Er stolpert in eine Bibliothek, wo er einen "Zauberkasten" entdeckt: einen Computer mit Internetanschluss. Mit Hilfe eines jungen Mädchens namens Jamilla nimmt er mir nichts, dir nichts über das Netz Kontakt auf zu Tina in Berlin (mit ihrem alter ego "Angel" im 3D-Cyberspace), zu Joshua in den USA, dessen Vater gerade als Astronaut um die Erde kreist, zu kleinen Mönchen in Nepal, die praktischerweise ihr Notebook im Altar haben, und zu Anna, der Tochter eines Archäologen, die im afrikanischen Busch hockt.

Abdou und Jamilla: Szene aus "Sternenfänger"

Und was wird als Antwort auf diese Frage präsentiert? Die Superstring-Theorie? Die Theorie vom inflationären Universum? Nein, statt der Simulation kosmologischer Konzepte wird uns - zugegeben computergrafisch dekorativ - der Riese Pan Gu präsentiert, der Sohn der Lebenskräfte des Universums, der 36000 Jahre lang wuchs; aus seinem Körper entstanden dann die Atome, aber eigentlich ist sowieso alles Illusion. Ein Mönch erklärt uns das Weltmodell. Ein afrikanischer Buschmann erzählt die alte Mär, dass man Teil der Natur sein und sie nicht ausbeuten dürfe wie der ignorante weiße Mann. Der Astronaut faselt ergriffen davon, dass der Anblick des Planeten den Glauben an die "göttliche Schöpfung" und die Liebe Gottes wiederfinden lasse.

Natürlich kommt Abdou zu dem Schluss, dass es viele Wahrheiten gibt - komisch nur, dass sie alle so verdächtig gleich klingen. Der Höhepunkt der Erkenntnis:

"Diese Welt ist voller Schrecken und voller Wunder. Aber sie ist weise geordnet. Nichts darin ist zufällig. Und nichts darin geschieht ohne Sinn."

Alle sind am Ende glücklich und zufrieden. Der Dorfweise hat alles schon vorher gewusst. Abdou legt sich in der pittoresk gefilmten Situation zum Schlafen in den Straßendreck, und wenn er nicht an Unterernährung und Krankheit gestorben ist, surft er noch heute...

Autor und Regisseur Nikolai Karo hat den "Sternenfänger" für die Bertelsmanneigene Produktionsfirma teamWorx gedreht, der in seiner visuellen Handschrift die Werbeherkunft des Regisseurs verrät. "Unsere Vision war es," meint Produzent Nico Hofmann, "fernab aller Produktwerbung eine übergeordnete Philosophie zu finden, die der Internationalität von Bertelsmann entspricht." Philosophie ist für diese religiöse Soße ein großes Wort. Wird in der pre-show noch die Bedeutung der Medien für die bürgerliche Aufklärung erwähnt und Fortschritte in Kultur und Wissenschaft wenigstens plakativ dokumentiert, gerät das Hauptprogramm zur esoterischen Possenshow, deren erkenntnismäßiger Nährwert gleich null ist.

Die Machart des Films ist Weltklasse, sein Inhalt jedoch geistig recht schlicht - ist damit aus der Sicht von Bertelsmann der Anspruch auf Internationalität erfüllt? "Am Ende des Films hat Abdou gelernt, dass nur im gegenseitigen Verständnis für die Kulturbegriffe der anderen Völker eine wirkliche Basis für das Zusammenleben auf diesem Planeten steckt", steht auf der Website der Produktionsfirma zu lesen. Der Film erfüllt diese Aussage nicht. Von Tina aus Berlin kommt übrigens keine Welterklärung. Sie testet lieber ein VR-Computerspiel, ihre Mutter ist nämlich Programmiererin. Das müsste den kleinen Abdou in seiner Auffassungsgabe ja nun völlig überfordern.

Die "Süddeutsche Zeitung" fand den Film "anrührend", das Projekt sei "vielleicht ein wenig pathetisch geraten, aber es hinterlässt schöne und anregende Bilder im Kopf." Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" erkannte eine "zweite Bedeutungsebene" in dem "perfekt orchestrierten naiven Märchen" - nicht das Medium sei schon die Botschaft, sondern die Botschaft des Wesentlichen (Friede, Schöpfung, Erlösung) sei schon immer da gewesen und verleihe der neuen interkulturellen Verständigung erst Sinn. Oh heilige Einfalt.

Manche meinen offenbar, dass der Esoterik schon von selbst ein subversives Potential innewohnt nach dem Motto, dass die rein technische Handhabung von Medien nicht ausreiche und es auch um die Vermittlung von Sinn gehen müsse. Schauen wir uns die sinnige Vermittlung des Internets im Geiste dieses Projekts an: "Erst war die Maschine Teil einer noch fremden Welt. Dann sprachen Menschen aus ihr. Die Welt der Rechner und die Welt der Menschen wurde eins." Das klingt wie eine unfreiwillige Selbstparodie.