"Letzte Generation": Was ist rechtlich eine kriminelle Vereinigung?

"Beweismaterial" wird in der Regel von der Gruppe selbst mit erkennbaren Gesichtern veröffentlicht. Hier: Blockade der PCK-Pipeline an der Pumpstation Lindenhof. Foto: Letzte Generation

Die Klima-Initiative beruft sich auf das Grundgesetz – der Justizapparat ist bisher uneins über die Bewertung der Aktionen. Das Landgericht Potsdam ist seiner Sache sicher.

Nach bundesweiten Razzien bei Aktiven der "Letzten Generation" bestätigt erstmals ein Landgericht offiziell den Anfangsverdacht, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handeln könne. Betroffene der Razzien im Dezember 2022 hatten gegen den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Neuruppin Beschwerde eingelegt. Daraufhin hatte den Anfangsverdacht aber auch die Staatsschutzkammer des Landgerichts Potsdam bestätigt, wie ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin am Montag der Märkischen Oderzeitung sagte.

Hintergrund der Durchsuchungen war, dass Mitglieder der Klimainitiative Pumpstationen der Erdöl-Pipeline von Rostock bis Schwedt besetzt, Hähne zugedreht und davon selbst Bildmaterial veröffentlicht hatten. Das Amtsgericht Neuruppin hatte daraufhin Hausdurchsuchungen in mehreren Bundesländern angeordnet.

Mehr als 550 Selbstanzeigen

Die "Letzte Generation" bewertete den Vorwurf der kriminellen Vereinigung ihrerseits als so absurd, dass sie mit einer Selbstanzeige-Kampagne reagierte. "Wir haben nichts zu verstecken, weil wir das Richtige tun", hieß es in dem Aufruf. Daraufhin haben sich bislang mehr als 550 Personen selbst angezeigt.

Es ist unser bester Schutz, transparent und proaktiv mit diesem Vorwurf umzugehen! Kriminell ist die Regierung, die uns sehenden Auges in den Klimakollaps rasen lässt und nicht die Menschen, die mit Mitteln des friedlichen zivilen Ungehorsams darauf aufmerksam machen.

Aus dem Webformular "Selbstanzeige Staatsanwaltschaft Neuruppin", bereitgestellt von der Gruppe "Letzte Generation"

Nach Angaben der "Letzten Generation" von diesem Mittwoch schreibt nun das Landgericht Potsdam in dem ihr zugegangenen Beschluss, die Gruppierung habe "das erklärte Ziel, durch Mittel des "friedlichen zivilen Ungehorsams" die Bundesregierung zu Maßnahmen gegen die Klimakrise und für eine nachhaltige Politik zu zwingen." Damit soll der "kriminelle" Charakter der Aktionen belegt werden.

Die Sprecherin der "Letzten Generation", Carla Rochel, erklärte dazu am Mittwoch, die Gruppe fordere "die Regierung einzig und allein dazu auf, sich an unsere Verfassung zu halten". Gemeint ist der grundgesetzlich garantierte Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in Artikel 20a GG, den die aktuelle Energie- und Verkehrspolitik nicht gewährleiste.

Die strafrechtliche Definition in Paragraph 129

Daran scheiden sich auch innerhalb des Justizapparats die Geister: Die Staatsanwaltschaft Berlin lehnt beispielsweise den Vorwurf einer kriminellen Vereinigung ab – was nicht heißt, dass in Berlin keine mehrmonatigen Haftstrafen wegen Nötigung verhängt werden können, wenn sich Aktive beispielsweise mehrfach auf der Fahrbahn oder an Bilderrahmen in Museen festkleben.

Nach Definition im Strafgesetzbuch ist eine kriminelle Vereinigung gemäß Paragraph 129 ein auf Dauer angelegter, organisierter Zusammenschluss, dessen "Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren bedroht sind".

Bisher wurden Aktive der "Letzten Generation" zu Geldstrafen oder Freiheitsstrafen von maximal fünf Monaten verurteilt. Allerdings können für den häufig vorgeworfenen Tatbestand "Nötigung" in schweren Fällen bis zu drei Jahre Haft verhängt werden. "Besonders schwere Fälle", in denen der Strafrahmen zwischen sechs Monaten und fünf Jahren liegt, betreffen die Aktivitäten der Klimabewegung allerdings nicht: Als Beispiele hierfür werden in Paragraph 240 Nötigung von Schwangeren zur Abtreibung und Amtsmissbrauch genannt.

Fazit: Formell reicht der Strafrahmen für Tatbestände, für die die Aktive der "Letzten Generation" bisher verurteilt wurden, tatsächlich aus, damit Paragraph 129 in Betracht kommt. Letztendlich strebt die Gruppe aber eine höchstrichterliche Klärung der Frage an, ob hier nicht das grundgesetzliche Widerstandsrecht aus Artikel 20, Absatz 4 greift, wenn der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aus Artikel 20a hintertrieben wird.

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