Libyen: Frankreich will die Krise lösen

Tripolis, Hauptstadt Libyens. Foto (2006): Jaw101ie / gemeinfrei

Gipfeltreffen in Paris: Was soll mit dem gescheiterten Staat geschehen?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Was ein "gescheiterter Staat" in der Wirklichkeit bedeutet, kann man in Libyen verfolgen. Nach Angaben des Missionsleiters von Ärzte ohne Grenzen in Libyen, Christophe Biteau, kann nicht genau zwischen offiziellen und verdeckten Netzwerken unterschieden werden.

Um Missverständnissen und allzu saloppen Vergleichen mit westlichen Ländern und deren "verborgenen Netzwerken" zuvorzukommen: Weder in Deutschland noch in Großbritannien, Frankreich oder Italien werden zehntausende Migranten in geheimen Gefängnissen gefangen gehalten, geprügelt, gefoltert und erpresst und bei Fluchtversuchen erschossen, wie dies am Wochenende aus dem libyschen Bani Walid gemeldet wurde.

Wie viele Migranten oder Flüchtlinge sich in Libyen aufhalten, ist nicht genau festzustellen, weil niemand einen genauen Überblick hat. 50.000 hat die UN-Flüchtlingsbehörde UNHCR offiziell registriert, aber, so der Mann von Ärzte ohne Grenzen, in Libyen halten sich sehr viele Migranten außerhalb des amtlichen Radars auf, wozu auch die Registrierung von Nichtregierungsorganisationen gehört. Etwa 700.000 Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende könnten im Land sein, schätzen Beobachter laut Christophe Biteau.

Zwar habe sich die Situation in den staatlich geführten Lagern gebessert. Dort seien nur mehr zwischen 4.000 und 5.000 Insassen. Da sie nun nicht mehr überfüllt seien, hat sich die Lage dort etwas entspannt. Aber, so Biteau:

Es ist uns nicht möglich, etwas darüber zu sagen, wie viele in versteckten Gefängnissen festgehalten werden. Die Entführung von Migranten und Flüchtlingen und Folter, um weitere Geldzahlungen zu erpressen, ist eine weitverbreitete Praxis, die sich anscheinend weiter verbreitet. Sie ersetzt Einkommen aus lokalem Handel oder Geschäften, die wegen des Mangels an Bargeld in Libyens Banken schwere Einbußen erleben. Die Menschen, die solche versteckten Gefängnisse überleben, sind finanziell, physisch und mental ruiniert.

Christophe Biteau, Chef der libyschen Mission von Ärzte ohne Grenzen

Das ist nur ein Ausschnitt aus der libyschen Wirklichkeit, allerdings derjenige der für Europas Politiker neuralgisch ist: Libyen als Durchgangsland für Migranten, die damit zusammenhängenden Geschäfte und der eigene Anspruch, für Menschenrechte einzustehen. Biteau stellt auch, was selten genug ist, einen Zusammenhang her mit der miserablen wirtschaftlichen Situation des Großteils der Libyer.

Frankreich, dessen Präsident Macron wieder eine bedeutende Außenpolitik anstrebt, hat für morgen eine Gipfelkonferenz zum Frieden in Libyen angesetzt. Die wichtigsten libyschen "Players" und Vertreter von zwei Dutzend Ländern und internationalen Organisationen sind eingeladen.

Berichtet wird, dass sich der Jupiter-Präsident im Elysée von den rivalisierenden libyschen Politikfiguren ein Statement erwarte, wonach - "wenn möglich" - noch in diesem Jahr Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden.

Zudem sollen Konflikte über eine einheitliche Armee und Rivalitäten über die Zentralbank, die staatliche Ölgesellschaft und andere Institutionen geklärt werden.

Der Gipfel wäre schon erfolgreich, wenn die politischen Gegner ihren Willen signalisieren, Kompromisse zu schließen und den Friedensprozess neu aufzunehmen, kommentiert dazu die International Crisis Group.1

Der libysche Journalist Mohamed Eljarh, dem offensichtlich Entwürfe zur französischen Initiative bei der Konferenz zugespielt wurden, ist skeptisch, was einen handfesten Erfolg der Konferenz betrifft. Es sind augenscheinlich viele Interessen im Spiel:

Die Position von Italien, Katar, der Türkei und mittlerweile auch der USA ist, dass zuerst eine Verfassung ausgearbeitet werden soll und dann erst kommen die Wahlen. Frankreich, die Vereinigten Emirate und Ägypten wollen erst Wahlen und dann vielleicht ein Referendum zur Verfassung - offensichtlich sind sie der Überzeugung, dass eine neu gewählte Regierung dies zu entschieden habe.

Mohamed Eljahr, libyscher Journalist

Es gibt viele, die in Libyen mitreden und manche wichtige libysche Akteure, die bei der Konferenz nicht mitmachen wollen, wie Gruppierungen aus Misrata oder Militärräte aus dem Westen des Landes. Es sieht danach aus, als ob auch nach der Konferenz in Paris noch sehr viel Zeit vergeht, bis Libyen kein failed state mehr ist und mit stabileren Verhältnisen rechnen kann.