Liebesfilm mit J. Edgar Hoover

Alle Bilder: Warner Bros.

Clint Eastwoods neues Kino-Epos porträtiert den ehemaligen FBI-Chef

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Mit Gran Torino drehte Clint Eastwood den besten Film der Nuller Jahre: Ein vom Kopf auf die Beine gestelltes Passionsspiel, in dem keine symbolische, sondern eine konkrete Erlösung durch einen Opfertod von Gewalttätern befreit. Entsprechend hoch hängen seitdem die Erwartungen an seine Werke, die er mit Der fremde Sohn, Invictus und Hereafter nur bedingt erfüllen konnte.

Das gilt auch für seinen jüngsten Film, der in den USA bereits am 9. November startete und am 19. Januar in die deutschen Kinos kommt. Die Erwartungen waren in diesem Fall aber auch deshalb hoch, weil der Film eine der zweifellos interessantesten Figuren der Geschichte des 20. Jahrhunderts zum Thema hat: den langjährigen FBI-Chef J. Edgar Hoover. Der machte sich nach dem Ersten Weltkrieg einen Namen, indem er für das Justizministerium massenhaft politisch unliebsame Personen verhaften und deportieren ließ. 1924 übernahm er das später mit dem Zusatz "Federal" versehenen Bureau of Investigation, dessen Macht er schnell erheblich ausbaute. Und er blieb Direktor dieser Behörde, bis er 1972 im Alter von 77 Jahren starb.

Zu dieser ungewöhnlich langen Verweildauer auf dem Posten trug auch bei, dass Hoover ein eifriger Sammler war, dessen Neugierde sich keineswegs auf kriminelle Aktivitäten beschränkte, weshalb kein Politiker wissen konnte, was der FBI-Chef bei ernsthaften Bemühungen, ihn in den Ruhestand zu versetzen, wohl aus dem Hut zaubern mochte. Gleichzeitig gab und gibt es zahlreiche Spekulationen darüber, welche dunklen Geheimnisse der FBI-Chef selbst verbarg. Das führte dazu, dass er in der populären Kultur durchaus häufig vorkommt - allerdings fast ausschließlich als Nebenrolle (wenn auch teilweise als durchaus interessant gezeichnete, wie etwa in James Ellroys Underwold-USA-Trilogie). Hoovers Darstellung in Nixon (1995) ließ befürchten, dass Oliver Stone der Regisseur sein könnte, der einmal ein Biopic über den FBI-Chef fertigen darf - doch dieser Kelch scheint vorerst am Kinogänger vorübergegangen zu sein.

Eastwood lässt Hoover seine Lebensgeschichte in Erinnerungen erzählen, die er PR-Angestellten des FBI diktiert und die im Film als lange Rückblenden wiedergegeben werden. Das Problem, wie sehr solche Erinnerungen trügen können, geht der Film später mit einem interessanten Trick im Plot an, der hier noch nicht verraten werden soll. Bei der Gewichtung der Lebensgeschichte Hoovers nahm sich der Drehbuchautor Dustin Lance Black (der 2009 einen Oscar für sein Script zur Film-Biografie über den Homosexuellenrechtler Harvey Milk bekam) durchaus die Freiheit zum Setzen von Schwerpunkten. Am Schluss des 136 Minuten langen Films hat man allerdings den Eindruck, dass zwischen der Lindbergh-Entführung und der Kennedy-Präsidentschaft eine deutliche Lücke klafft.

Politisch zeigt der Film eine schleichende Machtergreifung, die mit einem von der Mutter angezogenen Nerd beginnt, der ganz in der Werkgerechtigkeit über ein Katalogsystem für die Kongressbibliothek aufgeht, das er mit geschaffen hat. Diese Begeisterung für Kontrollsysteme prägt auch seine Anfangszeit im Justizministerium, wo er sich vor allem für Fingerabdrücke begeistert - und für eine Datei, in der die Fingerabdrücke aller Bürger gespeichert werden sollen.

Anhand der Palmer-Raids wird deutlich, wie Terroristen schon 1919 maßgeblich dazu beitrugen, aus Rechtsbrüchen von Behörden reguläre Praktiken zu machen. Und die Deportation der Anarchistin Emma Goldman zeigt, wie man einen Ausbau von Befugnissen so verpackt, dass Politiker ihn schlucken. Dieser Ausbau funktioniert für Hoover gerade auch unter dem New-Deal-Präsidenten Franklin D. Roosevelt, den der FBI-Chef anfangs mit Informationen über dessen Frau zu erpressen versucht. Anhand der Lindbergh-Entführung wird durchdekliniert, wie wichtig einzelne Symbolfälle für die Durchsetzung lange in der Schublade liegender Pläne sind. Dabei macht der Film auch nichtamerikanischen Kinogängern verständlich, warum viele US-Bürger Kompetenzen lieber bei den Bundesstaaten als in Washington sehen, das teilweise wie eine Art Proto-Brüssel wirkt.

Je mehr Macht der FBI-Chef im Film bekommt, desto problematischer wird sein Verhältnis zur Realität, was sich unter anderem an gefälschten Verhaftungsgeschichten zeigt, die er an Comicverleger und Radiohörspielproduzenten lanciert. Damit versucht er auch der öffentlichen Begeisterung für Gangster entgegenzuwirken, die die amerikanische Bevölkerung Anfang der 1930er Jahre hegte - was recht passend anhand einiger Szenen aus James-Cagney-Filmen und der Reaktion des Kinopublikums darauf illustriert wird.

Black und Eastwood behandeln aber nicht nur auf die Machtgeschichte Hoovers, sondern auch sein Privatleben - und zwar sehr ausführlich. Englischsprachige Medien kritisierten an J. Edgar teilweise, dass der Film den FBI-Chef (gemessen an mittlerweile vorliegenden Aussagen von Zeitgenossen) nicht schwul genug darstellt. Allerdings klammern Eastwood und Black diesen Aspekt keineswegs aus, sondern verarbeiten ihn eher dezent in Form einer Liebesgeschichte, die vom Tabu geprägt ist. Dass sie nicht so überzeugend wirkt wie Brokeback Mountain liegt auch daran, dass der J.-Edgar-Hoover-Darsteller Leonardo di Caprio bei Weitem kein so guter Schauspieler ist, wie Heath Ledger es war. Und der aus dem Facebook-Film bekannte Armand Hammer, der Hoovers große Liebe Clyde Tolson spielt, ist als alter Mann so übertrieben aufgeschminkt, dass die Kino-Illusion beim Zuschauer bricht.

Liebesfilm mit J. Edgar Hoover (17 Bilder)

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