Lord Hutton - die zweite (Woche)

In der ersten Woche der Londoner Hutton-Inquiry kamen vor allem Journalisten und Geheimdienstler zu Wort. Nun müssen führende Mitglieder der Blair-Regierung in den Stuhl.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zumindest eines kann man nach der ersten Woche der in Großbritannien und auch international mit viel Spannung erwarteten mit ziemlicher Bestimmtheit sagen: Entgegen Tony Blairs ausdrücklichem Wunsch scheint Lord Hutton bei der Aufklärung der Londoner Kelly-Affäre gewillt zu sein, nicht nur den Tod des britischen Biowaffenexperten David Kelly (vgl. Das PR-Desaster geht weiter), sondern auch das Zustandekommen des ersten Irakdossiers der britischen Regierung zu beleuchten (vgl. Sexed up?). Dieses Dossier war vor knapp einem Jahr ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Golfkrieg.

Zwischenbilanz nach einer Woche: Null Komma fünf zu null für die BBC

Schwieriger ist es, die Sieger und Verlierer der ersten Interviewwoche auszumachen. Die meisten Kommentatoren der britischen Tagespresse, auch konservativere Blätter wie die Sunday Times, sahen in ihren Rückblicken am Wochenende leichte Vorteile auf Seiten der BBC. Dazu allerdings muss man einschränkend sagen, dass die Regierungsvertreter, vor allem Verteidigungsminister Geoff Hoon, Kommunikationsdirektor Alastair Campbell und natürlich Tony Blair selber, ihre Auftritte in Lord Huttons Befragungszimmer erst noch vor sich haben. Morgen etwa muss Campbell ran, der mit seinen Angriffen gegen den BBC-Journalisten Andrew Gilligan die Affäre, die Anfang Juli bereits einzuschlafen schien, immer weiter am Kochen gehalten hat. Die Interviewtermine für Hoon und Blair, die beide noch im Urlaub sind, stehen noch nicht fest.

Die vergangene Woche stand im Zeichen von Interviews mit Journalisten sowie mit Beamten aus den Geheimdienstzirkeln des Verteidigungsministeriums. Keiner ging ohne Blessuren aus den Befragungen. Andrew Gilligan etwa musste zugeben, dass er etwas salopp gearbeitet hatte. Gilligan hatte das anfangs BBC-Campbell-Affäre und später Kelly-Affäre genannte Drama mit der Behauptung losgetreten, die britische Regierung habe ihr erstes Irakdossier mit der unbewiesenen These "aufgesext", der Irak könne Großbritannien innerhalb von 45 Minuten mit Biowaffen angreifen. Seine Quelle war David Kelly, doch das wurde erst nach dessen Tod von der BBC bestätigt. In seiner langen Befragung stand Gilligan zu der von Kelly vor seinem Tod bestrittenen Behauptung, das 45-Minuten-Zitat sei von Campbell eingefügt worden. Er musste allerdings zugeben, dass der von ihm (ein einziges Mal in einem morgens um sechs ausgestrahlten Beitrag) gemachte Kommentar, die Regierunge habe das Zitat eingefügt, obwohl sie wusste, dass es falsch war, so nicht auf Kelly zurück geht. Andererseits sagt Gilligan, er habe sich die wörtlichen Zitate sogar von Kelly vor der Sendung absegnen lassen.

Ein Tonband zeigt: Kelly hat mehr gesagt, als er zugegeben hatte

Tags darauf verhörte Lord Hutton die BBC-Journalistin Susan Watts, die ein Gespräch mit Kelly wenige Tage vor dem Gilligan-Interview aufgezeichnet hatte. Dieses Tonband wurde am Donnerstag vor der Untersuchungskommission abgespielt, und auch gegenüber Watts legte sich Kelly klar auf Blairs Kommunikationsdirektor Campbell als Quelle für das von ihm missbilligte 45-Minuten-Zitat fest. Daraus lassen sich nun zweierlei Schlüsse ziehen: Zum einen stützt das Tonband einen von Gilligans Hauptpunkten, nämlich seine Behauptung, dass es unter Biowaffenexperten, denen das Geheimdienstmaterial zum Thema irakisches Biowaffenprogramm vorlag, erhebliche Bedenken angesichts der drastischen Formulierungen des September-Dossiers gab. Zum anderen deutet das Tonband darauf hin, dass Kelly seinen Vorgesetzten, und später bei zwei öffentlichen Befragungen den Unterhausparlamentariern, nicht reinen Wein eingeschenkt hatte. Über das 45-Minuten-Zitat habe er nicht gesprochen, hatte er gesagt. Das war wohl nicht die Wahrheit.

Regierung in Bedrängnis

Noch problematischer könnten für die Blair-Regierung die Aussagen eines anderen Befragten werden, von Martin Howard, dem stellvertretenden Verantwortlichen für die Geheimdienste im Verteidigungsministerium. Er berichtete, dass er von Blairs Sicherheitskoordinator David Omand gehört habe, dass Blair höchstpersönlich signalisiert habe, es sei sein (Blairs) Wunsch, man solle Kelly nach dem ersten Kreuzverhör durch einen Unterhausausschuss noch ein zweites Mal öffentlich vor laufenden Fernsehkameras verhören und ihm weitere Daumenschrauben anlegen. Diese Äußerung wurde von der britischen Presse als "Torpedo" gewertet, steht sie doch in krassem Gegensatz zu Blairs Behauptung, er habe sich aus allem, was mit Kelly zusammenhing, ostentativ heraus gehalten. Auch Campbell habe, nach Howards Aussagen, die Strategie, den öffentlichen Druck auf Kelly weiter zu erhöhen, zumindest gebilligt.

Vom Geheimdienst wurden der Hutton-Kommission außerdem mehrere Rohversionen des Septemberdossiers zur Verfügung gestellt, die den Unterhausparlamentariern und der Öffentlichkeit bislang vorenthalten worden waren. Aus diesen Versionen scheint nun klar hervor zu gehen, dass das Dossier in der Tat "aufgesext" wurde: Die Formulierungen werden von mal zu mal schärfer. Das Pikante daran ist, dass Campbell über diese Frühformen des Dossiers nicht nur Bescheid wusste, sondern die entsprechenden Sitzungen sogar geleitet hat, immer vorausgesetzt, die Behauptungen Howards entsprechen der Wahrheit. Campbell seinerseits hatte zuvor mehrfach, unter anderem in einer Befragung durch Unterhausparlamentarier, geäußert, wenn das Dossier wirklich aufgesext wurde, dann habe er, Campbell, zumindest nichts damit zu tun. Diese Version scheint nun kaum mehr haltbar.

Neben Blair und Campbell der dritte im Bunde derer, die nach einer Woche Hutton-Inquiry ein Problem haben, ist Verteidigungsminister Geoff Hoon. Der habe nicht auf einen Beamten im Verteidigungsministerium und Vertrauten Kellys gehört, der Hoon wegen Kellys labiler Persönlichkeit ausdrücklich davon abgeraten habe, Kelly öffentlich verhören zu lassen. Über diese Empfehlung habe Hoon sich hinweg gesetzt.

All diese Anschuldigungen sind bis auf Weiteres mit Vorsicht zu genießen, denn weder Blair noch Campbell noch Hoon hatten bislang Gelegenheit, sich dazu vor der Hutton-Kommission zu äußeren. Die Spannung in Großbritannien vor den nun folgenden Interviews jedenfalls ist überall spürbar. Einige spekulieren schon, wer es wohl ist, der am Ende seinen Hut nimmt. Dafür jedoch ist es noch ein wenig früh. In beispielhafter Offenheit werden übrigens fast alle mit der Untersuchung zusammenhängenden Dokumente, darunter das Transkript von Susan Watts Interview und die verschiedenen Rohformen der Irakdossiers, auf der Webseite der Hutton Inquiry zugänglich gemacht.