"Lost like a motherfucker"

Joshua Davis war als Kriegsberichterstatter im Irak und hat die revolutionäre neue digitale Kriegsführung aus der Nähe betrachtet

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Alles vernetzt, alles prima? Wired-Journalist Joshua Davis war gespannt darauf, in Augenschein zunehmen, was US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als echte Revolution angekündigt hatte: die digitale Kriegsführung. Den Beginn eines neuen Kriegszeitalters, in dem Präzisionswaffen, die optimale Überwachung des Feindes und wendige Bodentruppen von einem Echtzeit-Kommunikationssystem zu einer nie dagewesenen Schlagkraft zusammengeschmiedet sind. Information anstelle von massivem Einsatz von Bodentruppen. Golf-Krieg II als das große Testfeld für eine netzzentrierte Strategie.

Bilder: United States Marine Corps

Davis ist dem digitalen Kommunikationsnetzwerk der US-Armee von der Kommandozentrale (Central Command) in Katar bis auf die Schlachtfelder im Irak gefolgt. Getrieben auch von der Frage: warum sich General Tommy Franks seiner Sache immer so sicher ist. Er hat das Global Command and Controll System (GCCS) gesehen, das in 65 Sun-Server untergebracht ist, die in einer Art Schiffscontainer zusammengepfercht sind und von zwei Soldaten überwacht werden. GCCS, von den Soldaten auch kurz Geeks genannt, zeichnet die Bewegungen von Panzern, Flugzeugen, Schiffen und Soldaten auf einer digitalen Landkarte auf, so dass sie in Echtzeit auf dem Bildschirm mitverfolgt werden können. Auch feindliche Stellungen, die vom Geheimdienst aufgespürt wurden, sind dargestellt. Im Warfighting Web, dem Armee-internen Netz-Portal, gibt es alles, was das Soldatenherz begehrt: Schlachtpläne, Berichte des Geheimdienstes, Fotos, Videos, Online-Chat und Aufzeichnungen von Funk-Nachrichten.

Die Effizienz dieses Informationsflusses wurde Davis so geschildert: Kampfhandlungen werden per digitalem Video aufgezeichnet und über einen sicheren Satelliten an das GCCS übertragen. Im Warfighting Web kann das Geschehen dann unter Latest Intelligence live mitverfolgt werden, wobei gleichzeitig auch schon Befehle an die involvierten Soldaten gegeben werden können.

Und dann wurde Davis noch in die höheren Weihen der Schwarm-Taktik (Swarm Tactics) eingeführt: Donald Rumsfelds Beitrag zur Geschichte der Kriegsführung: simultan ausgeführte Angriffe aus der Luft sowie durch konventionelle Streitkräfte und Kommandoeinheiten. Da die Soldaten über die digitalen Kommunikationstechnologien miteinander verbunden sind, können sie sich in jeder beliebigen Formation auf feindlichem Gebiet vorwärts bewegen. "Schwärmen" erlaubt zügiges Vorrücken, die Sicherung der Rückendeckung ist nicht notwendig. Die Vorteile: weniger Truppen, weniger Kriegsgerät, damit wird die Kriegsführung billiger. Der Gegner tut sich schwer mit einem Angriff, da er den Feind nicht klar verorten kann. Die Schwarm-Theorie findet ihre Entsprechung auch online, in den vielen Chatrooms des Militär-Webs. Denn tritt bei Kampfhandlungen ein Problem auf, meldet sich der betroffene Soldat bei einem Tactical Operations Center. Von dort wird das Problem an einen Chat weitergeleitet und erreicht so verschiedenste Experten, die mit ihrem Rat virtuell zu Seite stehen können.

Also alles paletti? Modernste Geräte, überall Fachleute, die sie überwachen, E-Mails die jedes Probleme lösen, die perfekte Vernetzung, für die perfekte Kriegsführung? Noch Meilen von der Front entfernt, lernt Davis, dass auch die US-Armee nur mit Wasser kocht. Denn bei Browser-Problemen rufen auch die Soldaten aus Katar brav bei der Microsoft Online-Hilfe an, der Service ist "Premier".

Schließlich bei einer Relais-Station in der Wüste, von wo aus die Informationen aus dem Feld via Satellit an die Zentralen in Kuwait, Katar und Washington übertragen werden, sieht es ganz anders aus: In der brütenden Hitze kommt das moderne Gerät an seine Grenzen. Die feinen Schalter und Knöpfchen drohen vom Wüstenstaub begraben zu werden. Die zuständigen Soldaten wechseln sich rund um die Uhr ab, um die Apparate mit Staubsaugern funktionsfähig zu halten. Doch auch das hilft nichts mehr, wenn es richtig heiß wird und die Klimaanlage zusammenbricht. Dann wird es auf den Bildschirmen zappenduster.

Auch das GCCS entpuppt sich als von trügerischer Sicherheit: Wenn die Netzverbindung gestört ist, bleibt auf dem Bildschirm nur noch die Landkarte des Irak und es heißt "We're lima lima mike foxtrot in Iraq" - im Klartext: "We're lost like a motherfucker". Dann sitzt GI Joe in der Wüste und weiß nicht mehr, wo er selbst sich befindet noch wo seine Kameraden - im Krieg wahrlich keine angenehme Erfahrung! Und wenn sich auch noch ausgerechnet die Leute verfahren, die die Satellitenschüsseln für das Kommunikationsnetz installieren sollen, hilft auch die Rumsfeld'sche Schwarm-Taktik nichts mehr. Dann ist auch der digitale Krieg am Ende.

So lange die Technik funktioniert, läuft alles bestens, doch für den Fall, dass sie versagt, sind die Soldaten laut Davies nur schlecht gerüstet. Auch Fehlplanungen bei der Zuteilung von Ausrüstung durch die Armee haben fatale Auswirkungen. Wer sich, weil das versprochene Funkgeräte nicht zur Verfügung steht, in weiser Voraussicht zumindest ein altmodisches Walkietalkie mitgebracht hat, riskiert, dass jeder Amateurfunker mithören kann. Wer zur Sicherheit seine Routen im eigenen Palm Pad aufzeichnet, schaut in die Röhre, wenn die Batterien ausgehen:

If we run out of batteries, this war is screwed.

Die High-Tech-Kriegsstrategie ist hochgradig störanfällig - technisches und menschliches Versagen haben weitreichende Folgen. Nach Davis Beobachtungen hat der Krieg im Irak wahrscheinlich nur deshalb so gut geklappt, weil die Soldaten gut im Improvisieren waren. Die digitale Kriegsführung verlangt dem Einzelnen viel ab, er ist erheblich mehr auf sich gestellt und im Notfall steht er ziemlich verlassen da. Es gibt keinen Sichtkontakt zu Kameraden, es hilft nur noch der feste Glaube daran, dass schnell Hilfe kommen wird. Was passiert, wenn ein Fahrzeug in die Hände des Feindes gerät? Dieser Fall ist offenbar nicht ernsthaft in Betracht gezogen worden. Die Anweisung lautet: Ausschalten des Motors und damit des GCCS, im Notfall das ganze Fahrzeug zerstören. Da kann man nur hoffen, dass im Fall der Fälle dafür noch genug Zeit bleibt.

Letztendlich wird die Sicherheit einer kleinen Gruppe dem Wohlergehen des Ganzen geopfert. Eine isolierte Einheit zieht Beschuss durch den Feind auf sich, und verrät so dessen Position für die anderen, ohne dass eine ganze Kompanie in Gefahr gerät. Der individuelle Soldat muss darauf vertrauen, dass die Technologie zu ihm vordringen wird,

lautet das Fazit von Joshua Davies

Wenn die Elektronik nicht mehr funktioniert, heißt es back to the basics, zum altmodischen soldatischen Grundwissen, das im Golf-Krieg II segensreicherweise noch allgemein bekannt war. Die Frage, warum sich General Tommy Franks seiner Sache immer so sicher war, erscheint durch Joshua Davies Brille betrachtet, sehr berechtigt. Eine Antwort darauf hat er aber leider nicht gefunden.