Luther als Klimaschützer und Freiheitskämpfer?

Martin Luther, Erasmus von Rotterdam

Nachlese zum Reformationstag. Über das Wirken des Reformators und das Friedensprogramm von Erasmus von Rotterdam

In seiner Predigt zum Reformationstag 2021 in Wittenberg hat der Ratsvorsitzende der "Evangelischen Kirche in Deutschland" (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, "Freiheit" ein "Mega-Thema unserer Zeit" genannt. In der Beschreibung, was christliche Freiheit bedeute, verweist Bedford-Strohm auf Martin Luther.

Die von Luther in seiner "reformatorischen Wende" erfahrene "innerliche und äußerliche Freiheit" habe zu einem persönlichen Neuanfang Luthers und zu einem "neuen Aufbruch" in der Kirche geführt. Was diese Freiheit ausmache, sei der "Geist der Liebe."

Luthers "Sätze" hätten zwar nicht Kirchenspaltungen verhindert, seien heute aber zentral für die Überwindung von Spaltungen. Das von Gott geschenkte bzw. von Christus erworbene und im Glauben angenommene (Ge-)Recht-Sein und die daraus resultierende Freiheit führe nicht nur zur persönlichen Befreiung, sondern befähige auch zum Dienst am Nächsten und dem Gemeinwesen.

Daraus ergäben sich Konsequenzen für die Gestaltung von Welt, Gesellschaft, Wirtschaft und Politik. Schon Luther habe die "immer größer werdende Ungleichheit zwischen Arm und Reich" gebrandmarkt. Der Reformation treu zu bleiben hieße heute, sich nicht mit "der skandalösen Missachtung der Lebensinteressen von Menschen überall auf der Welt" zufriedenzugeben. Der Prediger konkretisiert das mit dem Impfstoffmangel in armen Ländern, mit den Opfern des Klimawandels und den unverhältnismäßigen Rüstungsausgaben angesichts des Hungers in der Welt.

Kritische Fragen

Auf die gesellschaftliche und politische Relevanz christlichen Glaubens hinzuweisen, halte ich für richtig (gegen diejenigen, die meinen, Kirche habe sich nicht in Politik einzumischen und solle bei ihrem "Eigenen" bleiben, nämlich "Verkündigung", Seelsorge und karitative Nothilfe).

Was ich aber kritisiere, ist die Engführung auf Luther. Die Reformationsbewegung war weiter als die Kreise, die sich um Luther sammelten. Die Reformation und damit verbundene Freiheits- und Sozialimpulse sind nicht nur auf Luther zurückzuführen. Sollte man am Reformationstag nicht auch andere Reformatoren erwähnen, die die "Reformation" geprägt haben? Die EKD umfasst ja nicht nur lutherische Kirchen.

Und noch eins: Wieder einmal wird Luther hier als "Heros", als Helfer in zeitgeschichtlichen Herausforderungen beschworen. Ist das nicht ungeschichtlich? Brauchen wir Luther, um unsere Gegenwarts- und Zukunftsfragen zu lösen? Genügt es nicht auf Vernunft, Wissen, Herz und Gewissen zu achten, um zu wissen, was heute ansteht?

Es mag ehrenwert sein, wenn der Prediger seine Zuhörer mehr emotional als rational, durch sein Amt und seine persönliche Autorität für den Klimaschutz gewinnen will (den ich auch für wichtig halte). Aber wäre es nicht besser, wenn er die Hörer dazu einlüde, sich mit diesem Thema selbst zu beschäftigen und sich ein eigenes, begründetes Urteil zu bilden? Hinter Klimakrise usw. stecken umstrittene Sachfragen. Nicht alle werden die Sicht des Predigers teilen. Darf man sie ohne Weiteres dem Hörer als "Wort Gottes" überstülpen?

Müsste man nicht auch auf Schattenseiten der Persönlichkeit des großen Reformators, auf unheilvolle Wirkungen seiner Theologie aufmerksam machen?

Autoritätsorientierung ist kein protestantisches Prinzip, im Gegenteil!

Luther, ein Heros der Freiheit?

Luthers Freiheitsverständnis ist ambivalent:

Ein Christenmensch ist zwar ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan, er ist aber auch ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

In der Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen", 1520

Im religiösen Bereich ist der Christ frei und da soll ihn niemand bestimmen dürfen. In weltlichen Angelegenheiten ist er dem Gemeinwohl und der Obrigkeit verpflichtet. Weitergeführt wird dieser Ansatz in der Lehre von den zwei "Regimenten", der "weltlichen" Sphäre und der "geistlichen" (Luthers Schrift "Von weltlicher Obrigkeit…" 1523).

Im staatlich-politischen Raum herrscht die "Obrigkeit" mit dem "Schwert", hier gelten Gesetze und Gehorsam, müssen eventuell Zwang und Gewaltanwendung ausgeübt werden; im geistlichen Bereich wirkt die Kirche mit dem Wort Gottes und den Sakramenten; die Annahme des Wortes Gottes, Glauben, kann nicht erzwungen werden. Beide Bereiche dürfen nicht vermischt werden, aber in beiden wirkt Gott zum Wohle des Menschen.

Dieses theologisch-gesellschaftliche Konstrukt hatte zu Luthers Zeiten zunächst einen gewissen befreienden Charakter, es wies Staat und Kirche in ihre Schranken. Luthers Ansatz wurde aber bald pervertiert. Luther und seine Anhänger waren auf den Schutz der Fürsten angewiesen.

Da in den Ländern, die die lutherische Reformation durchführten, die Leitung der Kirche durch Papst und Bischöfe ausfiel, übernahmen die Landesherren diese Funktion. Als "Obrigkeit" hatten sie nach lutherischem Verständnis für Stabilität im Staatswesen zu sorgen. Religiöse Abweichungen und Streitigkeiten stören die Ordnung. Nur die Landesherren hatten die Freiheit, eine der im Reich anerkannten Konfessionen zu wählen; die Untertanen waren verpflichtet, der Konfession des Landesherrn mit ihren Dogmen und Gebräuchen zu folgen ("Augsburger Religionsfriede", 1555).

Wer sich nicht einfügte, musste auswandern; hing er einer der nicht anerkannten Konfessionen an (z.B. der Täuferbewegung), wurde er als "Ketzer" hingerichtet. Das mit dem Staat verflochtenen "Landeskirchentum" entstand.

Luthers "Zwei-Regimenten-Lehre" – sie gehört zum lutherischen Bekenntnis (Augsburger Bekenntnis, Art. 16) – führte zur Staatshörigkeit der lutherischen Kirchen und zum Obrigkeitsstaat samt der Untertanenmentalität seiner Angehörigen. Dies waren Prägungen, die auch nach der langsamen Auflösung der an die Staatszugehörigkeit gebundenen Religionsverpflichtung blieben. Erst die Verfassung der Weimarer Republik garantierte allgemeine Religionsfreiheit in ganz Deutschland.

Luther lehnte einen "freien Willen" ab. In "De servo arbitrio" (1524) vergleicht Luther den Menschen mit einem Reittier, entweder sitze "Satan" auf und bestimme seinen Willen oder Gott sei es, der leite. Freiheit, auch Freiheit zum Guten, wäre dann ein Geschenk, von sich aus könnte der Mensch darüber nicht verfügen.