Männlein oder Weiblein?

Was wir sehen, ist relativ

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Menschliche Gesichter senden erstaunlich viele Signale aus, die von anderen interpretiert werden können. Ein Gesicht sagt uns, ob ein Mensch jung oder alt, männlich oder weiblich, glücklich oder traurig ist. Ein amerikanisches Psychologenteam hat nun die Frage gestellt, ob und wie unsere Wahrnehmungsfähigkeit von den Gesichtern geprägt ist, die uns in unserem sozialen Umfeld umgeben.

Bilder: Universität von Nevada

In früheren Forschungen wurde nämlich bereits festgestellt, dass sich die Art und Weise, wie ein Gesicht erkannt wird, stark beeinflussen lässt, wenn man der betreffenden Person vorher ein verändertes Bild eben dieses Gesichtes zeigt. Wissenschaftler der Abteilung für Psychologie der Universität von Nevada unter der Leitung von Michael A. Webster konnten jetzt zeigen, dass sich die Beurteilung fremder Gesichter schnell verändern kann und auch davon abhängt, welche Gesichter kurz zuvor gesehen wurden. In der aktuellen Ausgabe von Nature berichten die amerikanischen Psychologen von ihren Ergebnissen.

Bei ihren Versuchen haben Webster und seine Kollegen mehrere Gruppen von Testpersonen mit so genannten gemorphten Bildern konfrontiert. Unter Morphing versteht man die nahezu unmerkliche Verwandlung eines Gegenstandes (Objektes, Gesichtes, Körpers etc.) in einen anderen. Dies erledigt der Computer durch Berechnungen. Drei verschiedene Gesichterpaare haben die Wissenschaftler gemorpht: Es handelte sich jeweils um ein Bildkontinuum zwischen den Extremen Mann und Frau, europäisches und japanisches Gesicht und auf einer Skala von Abscheu bis Überraschung. Damit wollten sie feststellen, wie die Probanden die Zwischenstadien einschätzen. Gibt es z. B. einen gewaltigen Sprung zwischen Männlein und Weiblein, so wie wir etwa bei Farben an einer ganz bestimmten Stellen entscheiden, das ist Rot und das ist Grün, auch wenn die Unterschiede nur gering sind?

Zunächst sollten die Probanden herausfinden, welches Gesicht in der Mitte des Mann-Frau-Kontinuums lag, also eigentlich androgyn war. Das fanden diese ziemlich treffsicher heraus. Wurde ihnen jedoch vorher ein männliches Gesicht gezeigt, verschob sich die "neutrale" Mitte und sie stuften bereits das androgyne Bild als weiblich ein. Wurde zuerst ein Frauengesicht präsentiert, war es genau umgekehrt. Bei den Gesichtern auf der Skala europäisches bzw. japanisches Gesicht war dieser Effekt ebenfalls zu beobachten, ebenso bei der Skala Abscheu-Überraschung.

Darüber hinaus interessierten sich die Forscher auch dafür, ob bei der Interpretation eines Gesichts Kategorien eine Rolle spielen, die auf den Wahrnehmenden selbst zutreffen. Hier zeigte sich bei der Zuordnung von Bildern nach Geschlecht, dass die Versuchspersonen eher ihrem eigenen Geschlecht zuneigten. Auch bei der ethnischen Zugehörigkeit konnte eine solche Tendenz bestätigt werden. Hier wurden zunächst eine europäische und eine japanische Versuchsgruppe einem Test unterworfen. Anschließend wurde derselbe Test an zwei unterschiedlichen japanischen Probandengruppen durchgeführt. Einmal war dies ein Grüppchen von Studenten, die schon länger in den USA weilten, die andere Gruppe hielt sich dort erst zwei Wochen auf. Es stellte sich auch hier heraus, dass sich die Wahrnehmungsgrenze der japanischen Studenten, die bereits einen längeren USA-Aufenthalt hinter sich hatten, an die ihrer europäischen Kollegen angenähert hatte.

Die Psychologen vermuten, dass sich das Gehirn an jene Gesichter anpasst, die regelmäßig immer wieder auftauchen. Deren Merkmale führen nicht zu einer erhöhten Nerventätigkeit. Nur wenn wesentliche Abweichungen vom Durchschnitt registriert werden, finden diese erhöhte Aufmerksamkeit.