"Magst Du, Armin?"

Haupteingang Kanzleramt. Bild: Tischbeinahe/CC BY 3.0

Warum Armin Laschet Kanzlerkandidat der Union wird und warum das für Unionsanhänger eine gute Nachricht ist. Ein Ausblick

"April ist der grausamste Monat."

T.S.Eliot

Heute Abend wird Armin Laschet endgültig als Kanzlerkandidat der Union feststehen. Zumindest für Anhänger von CDU/CSU ist das eine gute Nachricht.

Eigentlich konnte am Ergebnis schon seit Wochen kein vernünftiger Zweifel bestehen. Denn es sind weder augenblickliche Umfragewerte noch die Prioritäten von Moderatorinnen, Talkmastern und Hauptstadtjournalisten, die solche Fragen entscheiden, sondern Parteigremien und langfristige strategische Erwägungen.

Umso überraschender war es, wie sehr Markus Söder einige Monate lang von den deutschen Kommentatoren und innenpolitischen Berichterstattern in eine Favoritenrolle geschoben wurde. Er war der Winterkönig von Deutschland und Darling der Medien.

Die Medienblase und die Illusion der Umfragen

Es stimmt: in den Umfragen liegt Armin Laschet zurzeit hinter Markus Söder. Aber was heißt das schon? Umfragewerte sind bekanntermaßen wenig aussagekräftig. Dazu genügt es, einmal Martin Schulz zu fragen. Zur Erinnerung: Der Mann war vor ziemlich genau vier Jahren Kanzlerkandidat der SPD. Mit nicht weniger als dem rumänischen Wahlergebnis von 100 Prozent war er von seiner Partei zum Vorsitzenden gewählt worden; in den Wochen danach lagen er und die SPD für ein paar Wochen lang etwa gleichauf mit der Union, bei gut 30 Prozent.

Nichts hat je wirklich darauf hingedeutet, Markus Söder könnte Kanzlerkandidat der Union werden. Vielmehr sprach von Anfang an fast alles dafür, dass Armin Laschet diese Rolle einnehmen würde: taktisch wie strategisch. Es gibt nur wenige, die dies nicht von Anfang an verstanden haben. Dazu gehört die notorisch um sich selbst kreisende Blase der Hauptstadt-Presse. Dazu gehören natürlich auch die, die der CDU sowieso Schlechtes wollen.

Laschets "jetzige Forderung nach einem verschärften Lockdown ist deshalb ein Offenbarungseid". kommentierte gerade erst der Chef des DLF-Hauptstadtstudios. "Diese Ambivalenz seiner Botschaften illustriert, in welch schwierige Lage sich der CDU-Chef auch innerparteilich manövriert hat."

Um derartige Bewertungen richtig einschätzen zu können, muss man allerdings konstatieren, dass eine große Mehrheit der Journalisten auch konservativer Zeitungen politisch links von der Union hin ausgerichtet ist. Besonders viele sind Anhänger der Grünen. Sie haben abgesehen vom journalistischen Interesse an Streit und Kontroversen auch ein grundsätzliches Interesse an allem, was der Union schadet, und den Gründen nützt. Den Grünen könnte nichts lieber sein als ein Kandidat Söder.

Absurd zu glauben, dass Söder selbst tatsächlich ernsthaft daran glaubt, er würde Kandidat werden können. Söder beschädigt Laschet nur durch sein Kokettieren mit der Kandidatur, um für den Tag nach der Wahl symbolisches Kapital im Janker zu haben: "Ich hätte ja zur Verfügung gestanden."

Der Maulheld aus Nürnberg

Was spricht alles - wohlgemerkt aus Sicht der Parteigremien der Union und ihre Anhänger - für Laschet?

Erstens: Markus Söder ist ein Maulheld. Zwar trägt der Franke in München gern verbal Konsequenz und Entschlossenheit, "klare Linie" und Führungskraft zur Schau, alles Eigenschaften, die dem autoritätsgläubigen deutschen Durchschnittsbürger imponieren. Doch bleibt es hier bei rhetorischen Gesten. Tatsächlich ist das Handeln Söders völlig von Opportunismus geprägt und der Überlegung, was den eigenen Ehrgeiz am ehesten befriedigt.

Bester Beleg für diese Beobachtung ist Söders Corona-Politik. Der bayerische Ministerpräsident inszeniert sich hier als Merkel-gläubiger General des "Team Vorsicht", und bemüht immer wieder das Beispiel Bayern:

"Bei uns als einziges Bundesland haben wir eine Taskforce gemacht ... Wir haben übrigens als erste auch die FFP-2-Masken-Pflicht eingeführt ... wir hatten als erstes Bundesland auch Masken-Pflicht sogar in der Grundschule eingeführt ... Es ist ein Stück weit auch die Bestätigung der bayerischen Linie. Zusammengefasst: Man soll es ja nicht überhöhen und sagen wir sind die besten, aber: ja vielleicht doch."

Zugleich hat ausgerechnet sein Bundesland die höchsten Inzidenzraten und die insgesamt schlechtesten Infektionswerte aller westdeutschen Bundesländer inklusive der drei Stadtstaaten.

Es passt auch nicht zusammen, dass Söder bereits seit Wochen eine "einheitliche Linie" fordert, weil angeblich das Virus nur bekämpft werden kann, wenn ungeachtet völlig verschiedener Daten und Infektionsraten in den einzelnen Orten für ganz Deutschland die gleichen Maßnahmen beschlossen werden. Der Widerspruch: das Virus macht auch für nationalstaatlichen Grenzen keinen Halt. Hätte Söder recht, müsste er ähnliche Einheitlichkeit auch für ganz Europa fordern. Neuerdings bestellt Söder schon russischen Impfstoff - nur für Bayern.

Zweitens: Ein Kandidat Söder würde die Union doppelt schwächen. Zum einen würde Söder sehr viel von dem Terrain ohne Not preisgeben, das Angela Merkel in den vergangenen Jahren in der Mitte der Wählerschaft gewonnen hat. Es gibt viele gute Gründe, die Linksverschiebung der Union skeptisch zu betrachten.

Allein schon, weil mit der AFD eine politische Kraft rechts von der Union entstanden ist, die demokratietheoretisch nie hätte entstehen dürfen. Die strategische Aufgabe für jeden Kandidaten der Union muss nun aber lauten, die nötige Rechtsverschiebung so sachte und unmerklich vorzunehmen, dass möglichst wenig Merkel-Wähler aus der Mitte verprellt und die Arme von SPD und Grünen getrieben werden. Dafür ist der krachlederne Söder der falsche Mann.

Drittens: Markus Söder ist im Gegensatz zu Armin Laschet kein Teamplayer. dies zeigte er zum letzten Mal erst gestern, indem er ankündigte: "Ich bin bereit zu dieser Kandidatur."

Zugleich erwies sich Söder auch in der Form dieser Ankündigung wieder einmal als der insgeheime Zauderer der er ist, und als die politische Spielernatur, die er auch ist. Denn bei genauerem Hinschauen entpuppte sich Söders Ankündigung wieder einmal als völlig halbherzig: "Wenn die CDU dies in breiter Mehrheit unterstützt, dann ist das ok; wenn die CDU eine andere Entscheidung fällt, dann würde ich natürlich das akzeptieren."

Tatsächlich war dies ein verkappter Rückzug, ein verstecktes "Magst Du, Armin?" - eher der Egotrip eines Narzissten als der entschlossene Griff zur Macht.

Hätte Söder dies wirklich gewollt, hätte er seine Kandidatur schon längst erklärt und besser begründet - vor allem gegenüber den Bürgern Bayerns, denen er bislang immer erklärt hatte: Mein Platz ist in Bayern. Diesen Satz hätte er im Übrigen auch gestern formulieren können - Punkt. Auch das hätte er seinen Anhänger als großmütigen Verzicht und das Zurückstellen von persönlichem Ehrgeiz verkaufen können, als Heimatliebe und Wählertreue. Auch so hätte Söder am Tag nach der Wahl im Falle eines schlechten Ergebnisses sagen können, man hätte halt ihn rufen müssen.

Fünftens: ein Kandidat Söder wäre politisch hochgradig angreifbar, im Gegensatz zu dem viel geschmeidigeren, weicheren, empathischeren Laschet. Neben der bereits erwähnten opportunistischen Corona-Politik muss sich Söder die Masken-Affäre der Union auch persönlich angreifen lassen. Denn diese ist vor allem eine Affäre der CSU.

Söder ist auch dafür verantwortlich, dass eine politische Platzpatrone wie Verkehrsminister Scheuer nach wie vor überhaupt noch im Amt ist. Auch das würde Söder im Wahlkampf Fall um die Ohren gehauen werden.

Sechstens: Welchen Söder würde das Volk im Fall einer Wahl zum Kanzler überhaupt bekommen? Den, der zwischen 2009 und 2015 mehrfach den Austritt Griechenlands aus der Eurozone gefordert hat? Den "Asyltourismus"-Söder von 2018, den "Bienenretter" vom Wahlkampf Jahr 2019, den Dauer-Verschärfer von 2020 oder den Grünen-Umarmer von 2021? Inkonsequenz, wo man hin blickt.

Siebtens: Ein bayerischer Kandidat hat in ganz Deutschland sehr geringe Chancen. Denn die Deutschen außerhalb des Freistaats mögen nicht nur den FC Bayern nicht besonders, sie verabscheuen auch sein politisches Pendant, die CSU, und ihr kraftmeierisches Auftreten mit dicker Lederhose, Dickschädel und Besserwisserei.

Wenn man auf die Geschichte der Union blickt, dann ist schnell zu erkennen, dass die beiden bisherigen CSU-Kanzlerkandidaten jeweils in sehr besonderen Fällen gekürt wurden. Zum einen ging es in beiden Fällen, 1980 wie 2002, darum, gegen einen amtierenden SPD-Kanzler anzutreten, der zudem in den Umfragen favorisiert war. Zum zweiten befand sich die Union jeweils in einer inneren Krise.

Letzteres mag man auch für die Gegenwart konstatieren. 1980 ging es jedoch darum, die Spaltung der Union nach Kreuth - "Der Helmut Kohl wird nie Kanzler werden. Der wird mit 90 Jahren die Memoiren schreiben: 'Ich war 40 Jahre Kanzlerkandidat; Lehren und Erfahrungen aus einer bitteren Epoche'." (Franz Josef Strauß, 1976) - zu verhindern; 2002 steckte der Union nicht nur der Machtverlust nach 16 Jahren, sondern vor allem die Spendenaffäre in den Knochen, und Angela Merkel hatte als erste Frau an der Parteispitze und potentielle erste Kanzlerkandidaten überhaupt mit vielen grundsätzlichen Zweifeln zu kämpfen.

In all seinen öffentlichen Statements machte Söder in den letzten Tagen gern auf "Muttis Bester" und forderte immer wieder, Angela Merkel soll mitentscheiden. Warum eigentlich? Abgesehen davon, dass Angela Merkel kein Parteiamt hat, hätte er sich ausrechnen können, dass Merkel dann, wenn es wirklich darauf ankommt, zu ihrem politischen Ziehsohn hält. So geschehen gestern: "Wir brauchen einen Brücken-Lockdown" erklärte Merkel sehr bewusst Laschets zuvor in Internet-Blasen viel kritisierte Wortwahl aufgreifend und interpretierend. Es gibt niemanden in der Union, der dies nicht als Parteinahme für Laschet verstanden hat.

Anna Clauß schreibt in ihrer Söder-Biografie1: "Niemand kann ihn besonders gut leiden. Trotzdem folgen ihm alle." Er folge der politischen Großwetterlage "wie ein Möbelpacker. Der interessiert sich auch nicht für ferne Ziele, sondern ordnet in Kisten ein, was vor ihm liegt, und trägt sie weg, wenn sie im Weg stehen."

Von seiner ganzen politischen Grundausrichtung und (A)Moral her wäre Söder der Wunschkandidat des politischen Gegners. Insbesondere in der Parteizentrale der Grünen hätten im Fall eines Kandidaten Söder die Champagnerkorken geknallt.

Die ruhige Kraft aus Aachen

Ganz anders Armin Laschet. Laschet ist immer unterschätzt worden. Laschet ist eine Kämpfernatur, und er neigt nicht zu Schnellschüssen, was sich auf die Dauer in der Politik immer auszahlt. Er lag hinter Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und gewann die NRW-Landtagswahl. Im zähen Ringen um den CDU-Vorsitz setzte er sich trotz negativer Presse und Umfragewerte gegen Friedrich Merz durch. Laschets Kandidatur ist kein Egotrip, sondern eine taktisch kluge Entscheidung.

Auch Parteirechte und CDU-Politiker, die eindeutig nicht zum Laschet-Lager zu zählen sind, wie Friedrich Merz oder Carsten Linnemann, hatten sich in den letzten Tagen für einen Kanzlerkandidaten Laschet ausgesprochen.

Zwar plädierten mehrere Unions-Abgeordnete für Söder. Aber nicht etwa, weil sie Söder mögen, sondern weil sie Angst haben, mit einem Kandidaten Laschet im Mandat wahrscheinlicher zu verlieren als mit dem Kandidaten Söder. Dies zeigt vor allem die Begrenztheit des politischen Urteilsvermögens sogar bei Berufspolitikern.

Die CDU würde auch einen etwaigen Kanzler Söder als eine dauerhafte Demütigung empfinden. Und wie soll eine Regierung funktionieren, in der der Chef der kleinsten Partei die Regierung anführt?

Die Union ist inhaltlich total entkernt. Ihr letzter Daseinszweck ist das Regieren an sich. Wenn Merkels Erbe einer modernisierten CDU gerettet werden soll, braucht man einen Kandidaten, der die wahrscheinlichsten Koalitionsoptionen Schwarz-Grün oder Jamaika am glaubhaftesten verkörpert. Um sich für einen möglichen Wahlsieg aufzustellen, führt in der Union kein vernünftiger Weg an Armin Laschet vorbei.