Mangel im Völkerrecht

Wie eine Volksabstimmung vielleicht den Ersten Weltkrieg verhindert hätte

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Angela Merkel und zahlreiche andere Politiker argumentieren in der Krimkrise, der von über 90 Prozent der Bevölkerung befürwortete Wechsel von der Ukraine zu Russland widerspreche dem Völkerrecht. Wenn der Wille eines Volkes dem Völkerrecht tatsächlich widerspricht, dann deutet das jedoch auf gewisse Defizite im Völkerrecht hin. Hätte dieses Völkerrecht in der Vergangenheit mehr Rechte auf Volksabstimmungen beinhaltet, dann hätte vielleicht so mancher Krieg verhindert werden können.

Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit den Gebieten, die Frankreich am 26. Februar 1871 im so genannten Vorfrieden von Versailles an das kurz vorher gegründete Deutsche Reich abtreten musste. Beim Zuschneidern dieser Gebiete orientierte man sich nicht an der Sprachgrenze, sondern schlug dem Gebiet aus militärstrategischen und wirtschaftspolitischen Gründen einen französischsprachigen Streifen mit der Stadt Metz und den in ihrer Nähe befindlichen Eisenerzminen zu.

In diesen französischsprachigen Gebieten lebten nach der Auswanderung von etwa drei Prozent der Bevölkerung Elsass-Lothringens nach Frankreich noch etwa 15 Prozent der Bewohner des neuen "Reichlandes", das 1874 mehrere Abgeordnete in den neuen Reichstag wählte. Diese stellten dort den Antrag, eine Volksabstimmung abzuhalten, in der ermittelt werden sollte, ob die bei der Gebietsübertragung nicht gefragten Elsässer und Lothringer überhaupt zum Deutschen Reich gehören wollen. Fast alle anderen Reichstagsabgeordneten - von links bis rechts - lehnten dies jedoch ab.

Hintergrund dieses Parlamentsvotums war, dass die Abgeordneten fürchteten, die Bevölkerung könnte in solch einer Volksabstimmung den Verbleib im Reich ablehnen. In die Gebiete entsandte Militärs und preußische Beamte mussten nämlich überrascht feststellen, dass sie auch von dem Teil der Bevölkerung, der nur schlecht Französisch sprach, nicht mit der erwarteten Begeisterung als Befreier gefeiert wurden. So konstatierte beispielsweise der preußische Ministerialrat Ludwig Adolf Wiese eine nicht nur mit der Unterbrechung bestehender Handelsverbindungen erklärbare tiefgreifende "Entfremdung der Lothringer und ebenso der Elsässer von Deutschland" und eine "[innige] Anhänglichkeit an Frankreich". 1 Diese Stimmung zeigte sich auch bei Wahlen, in denen die Regionalisten noch bis 1887 Mehrheiten von über 90 Prozent erzielten.

Auch in anderen vorwiegend katholischen Gebieten des Deutschen Reiches hätte das Volk 1871 möglicherweise nicht immer für den Beitritt zum Deutschen Reich votiert - darauf deuten unter anderem Wahlergebnisse und Meinungsäußerungen aus Bayern hin. In Elsass-Lothringen hätte eine Volksabstimmung aber mehr bewirken können, als eine zufriedenere Bevölkerung: Hätte sich darin ein Teil der Gemeinden oder das ganze Gebiet für Frankreich entschieden (und wäre diesem Volkswillen politisch entsprochen worden), dann hätten sich die Gegensätze zwischen Deutschland und Frankreich in Grenzen gehalten - vielleicht sogar so sehr, dass dann der Erste Weltkrieg nicht ausgebrochen wäre.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.