Material Girl

Streit um madonna.com

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Das ICANN-Regelwerk für Domainstreitigkeiten ist der erste Versuch einer Grammatik für die Wirklichkeit des Netzes. Die Probleme sieht man bei Fällen wie madonna.com.

Schecks waren ihm ein Gräuel. Eine Papiertüte voll zerknüllter Geldscheine war Andy Warhols Existenzbeweis. So voll und zerknüllt wie möglich musste die Manifestation des Künstlers und seiner Berühmtheit sein. Je mehr für seine Bilder gezahlt wurde, desto realer wurde seine Person.

Neben der Wirklichkeit der Papiertüte existiert heute die der Domains. Immer mehr Raum beansprucht die digitale Wirklichkeit neben der analogen und immer nötiger wird eine Grammatik, die für beide gilt. Schon Warhol hatte ein Problem mit den Vorläufern des elektronischen Zeitalters: "Ich denke immer, dass es mein Name in den Nachrichten ist, dass die Nachrichten mich bezahlen müssten. Denn es sind meine Nachrichten, und sie nehmen sie und verkaufen sie als ihr Produkt."

Madonna geht es ähnlich. Im Internet war unter www.madonna.com bis zum Frühjahr 1999 eine Pornoseite zu finden. Der 40jährige US-Bürger Dan Parisi hatte die Adresse für 20000 Dollar von einem Domainhändler erworben, um ein ähnliches Geschäft wie unter www.whitehouse.com (First Ladies, XXX Movies, Asian Village) zu betreiben. Seine Vision: "Eine bekannte, wenn auch skandalöse Pornoseite mit ironisch religiösem Namen." Dann entfernte er die Inhalte, weil seine gläubige Mutter schockiert gewesen sei, wofür er den Namen der Mutter Gottes verwende. Geläutert habe er sich entschlossen, den Namen an das katholische Madonna Rehabilitation Hospital in Nebraska abzutreten, das schon www.madonna.org besitzt. Bevor es dazu kam, erhielt er einen Brief der Anwälte des Popstars Madonna Louise Ciccone: Bis zum 30. Juli 1999 habe er die Domain an sie abzutreten.

Was ist nun wirklich genug, um als madonna.com existieren zu dürfen? Pornographie, ein Star, ein Krankenhaus? Die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) hat Ende Oktober vergangenen Jahre die Uniform Dispute Resolution Policy (UDRP) als ersten Antwortversuch entworfen. Sie wird bei der Registrierung einer Domain durch eine der gut 70 von der ICANN autorisierten Firmen anerkannt. Der Weg über nationale Gerichte steht dennoch offen. Eine der vier weltweit von der ICANN zur Schlichtung von Domainstreitigkeiten berechtigten Organisationen ist die UN-Unterorganisation World Intellectual Property Organization (WIPO) in Genf. Hier haben Madonnas Anwälte auch ihre Beschwerde eingereicht.

Die meisten Experten gehen davon aus, dass für Madonna entschieden werden wird. Der kalifornische Anwalt Gervais Davis, der in anderen Fällen bei solchen Schlichtungen mitwirkt, sagte zur New York Times: "Zwar ist das Wort ,Madonna' ein weit verbreiteter Vorname und wird in religiösen Kreisen für die Mutter Gottes verwendet, aber dennoch scheint der Anspruch des Popstars Madonna auf madonna.com legitimer zu sein als der Parisis."

So ähnlich werden es wahrscheinlich auch die WIPO-Schlichter sehen. Die bisherigen UDRP-Entscheidungen fielen in etwa 80 Prozent der Fälle zu Gunsten der Klagenden aus. So bei Julia Roberts. Ihr wurde in einem Schlichtungsverfahren die Domain juliaroberts.com zugesprochen, unter der ein Amerikaner bis dahin Roberts-Satiren veröffentlichte. Er hatte einmal versucht, die Domain bei eBay zu versteigern - deswegen gingen die Schlichter davon aus, er habe sie allein mit dieser Absicht registriert. Dieser "bad faith" ist nach den UDRP-Regeln ein Grund, jemandem seine Domain abzusprechen. Er gilt als Indikator für eine sogenannte Cyberbesetzung (Cybersquatting), die allein darauf abzielt, den Namen an den legitimen Eigentümer weiterzuverkaufen.

Madonna wird es schwierig haben, Parisi dies nachzuweisen. Bisher ist nicht bekannt, dass er je versucht hat, die Domain zu verkaufen. Parisi verteidigt sich:

"Es gibt weltweit Tausende von Individuen mit dem Namen Madonna, Tausende von Firmen, die Madonna in ihrem Namen führen, 275 Warenzeichen, die den Namen Madonna enthalten. Wir glauben nicht, dass Frau Ciccone, bloß weil sie sich nach der Jungfrau Maria benannt hat, das Recht besitzt, irgendwen daran zu hindern, eine Webseite Madonna zu nennen."

Für Parisi spricht außerdem, dass Madonna sich in jedem Wörterbuch findet. Solche Begriffe kann jedermann registrieren. Kürzlich wurde business.com von einem Online-Wirtschaftsdienst für 7,5 Millionen Dollar gekauft, Anfang des Jahres zahlte die Bank of America drei Millionen Dollar für loans.com.. Wer mit seinem Namen Geld macht - Julia Roberts ist eine der bestbezahlten Schauspielerinnen - hat ein Recht darauf, ihn exklusiv zu verwenden. Die Argumentation der bisherigen UDRP-Entscheidungen erinnert an Warhol. Der schrieb: "Aber andererseits sagt man immer, die Nachrichten würden einem helfen, und das ist auch wahr. Aber dennoch, wenn niemand seine Nachrichten hergeben würde, sie jeder für sich behielte, wären die Nachrichten keine Nachrichten. Also müsste man sich gegenseitig bezahlen."

Die Wirklichkeit ist ein Kreis. Madonna und Roberts verdienen viel Geld mit ihrer Berühmtheit. Dadurch, dass sie viel verdienen, werden sie berühmter. Die Logik der analogen Wirklichkeit ist die der Markwirtschaft mit den zwei konvertiblen Währungen Geld und Ruhm oder Aufmerksamkeit.

Die Grammatik der ICANN für die Wirklichkeit des Netzes ist eine 1:1-Übertragung aus der analogen Welt. Das ist ihr nicht unbedingt vorzuwerfen. Denn so könnte Parisi einst als legitimer Eigentümer von whitehouse.com gelten. Schon heute verdient er gut mit der Pornoseite, von deren Angebot fast alle US-Medien mit einem Augenzwinkern berichtet haben. Das Problem ist, dass in den UDRP-Entscheidungen eine Deckungsgleichheit beider Realitäten vorausgesetzt wird. Denn im Netz ist der geldgierige Rebell Parisi längst ein Star, ein größerer als Madonna vielleicht. In der Beziehung ist Marktwirtschaft eine zutiefst demokratische Angelegenheit in den Händen der Nutzer - egal ob die Währung Geld nun durch Clicks und Pageviews ersetzt wird. Wie Warhol schon feststellen musste: "In den frühen Tagen des Films bewunderten Fans den ganzen Star, heute bewundern sie nur einen Teil von ihm."