Mechanisch getürkt

Amazon sucht Wichtelmänner per Datenbank

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Weil Computer nicht immer das Maß aller Intelligenz sind, wagt sich Amazon mit einer Beta seines Mechanical Turk in den Bereich der HIT-Vermittlung per Datenbank vor. Einfach gesagt: Menschen kommen da zum Einsatz, wo Computer zu doof sind.

Der mechanische Türke hat Tradition. Als Wolfgang von Kempelen 1769 mit einem Automaten in der Form einer Puppe scheinbar Schach spielen konnte, staunten die Zeitgenossen nicht wenig. Allerdings bestand des Pudels Kern aus einem Menschen. Im Kasten unter dem Spielbrett saß ein Mitarbeiter versteckt und führte die Züge aus. So sah das jedenfalls Edgar Allen Poe, der einer Vorführung auf einem Jahrmarkt zuschaute und dies dann beschrieb.

Diese Geschichte muss Jeff Bezos, dem Amazon-Chef und Star der .COM-Szenerie, an einem gemütlichen Wochenende wieder in die Hände gefallen sein, denn der Buchhändler steigt in ein Geschäft ein, das so zumindest gegen den Trend läuft. Und Produkt-Manager Jeff Barr, der seinem Chef diesen Gründungsmythos zuschreibt, hat große Dinge mit dem noch in Beta befindlichen Service vor und gibt sich auf der Website und auf dem Seattle Mind Camp visionär:

…we think of interfaces between human beings and computers, we usually assume that the human being is the one requesting that a task be completed, and the computer is completing the task and providing the results. What if this process were reversed and a computer program could ask a human being to perform a task and return the results? What if it could coordinate many human beings to perform a task?

Also ein 1-Euro-Job für alle, die dem kleinen mechanischen Schreibtischzwerg und dessen Servern ein wenig auf die Sprünge helfen wollen. Das Prinzip ist in drei Schritten aufgebaut und liest sich auch wie eine Jobbörse.

Im ersten Schritt sucht sich ein potentieller Helfer einen passenden HIT (Human Intelligent Task) via Datenbank, den ein Auftraggeber inklusive eines angegebenen Obulus freigeschaltet hat. Tausende davon sind bereits live und können – willkommen in der eBay-Kultur – ohne Verpflichtung durchbrowsed werden. Die Beträge liegen dabei projektbezogen unter der Euro-Grenze und bestehen aus Zwischenschritten für eine digitales Projekt. Das kann die Auswahl eines Fotos und dessen richtige Größe sein. Aber auch eine Datenbank-Recherche. Theoretisch sind hier die Grenzen sehr offen und der Anbieter- und Arbeiter-Kreis versteht sich als global.

Der zweite Schritt besteht simpel aus der Abarbeitung der akzeptierten Aufgabe. Wie lange das dauert und wie gut das klappt, liegt in der Hand des Bearbeiters. Schritt drei hat mit Geld zu tun. Die Mini-Beträge sammeln sich bei Amazon, das die Transaktionsmaschine seines Shops nutzt, um die gesammelten Beträge - hoffentlich dann mehr als 3 Cent – auf eine Bank zu überweisen.

Fertig ist das, was man ein B2B- oder besser: C2C-Portal nennen kann. Und eine Menge an Fragen bleiben offen - damit die Suppe nicht zu unbespuckt dasteht.

Matt in 3 Zügen

Just in diesem Moment sitzt „Tschüssdann“-Minister Wolfgang Clement mit seinen Beratern vielleicht vor dem Screen und flucht innerlich, dass ihm uns seinem Stab das nicht eingefallen ist. 5 Millionen Arbeitslose in Deutschland, von denen sicher ein Großteil Computer besitzt, hätten zusammen mit Amazon locker aus der Statistik genommen werden können. Aber das verbuchen wir in die Scherz-Abteilung, bevor das noch jemand ernst nimmt.

Das Angebot richtet sich vermutlich eher an jene, die ein Bankkonto und den Bedarf an Arbeit für die Portokasse haben. Also Schüler, die, statt Wagen zu putzen oder sie als Voucher-Parking-Service durch die Gegend zu fahren, lieber vor der heimischen Daddel-Kiste sitzen. Und Angebot und Nachfrage können sich schnell dorthin gewichten, wo ein paar Cent mehr als ein Kaugummi sind. HITs wandern in Billiglohn-Länder ab, wenn dort Internet und PC zur Verfügung stehen. Was aber, wenn der Requester nicht zufrieden ist und wegen seiner Meinung nach schlecht geleisteter Arbeit nicht zahlen will (denn er muss das Ergebnis akzeptieren oder es fließt kein einziger Silberling auf ein Konto...)? Amazon hat dazu einen klaren Standpunkt:

If an answer you submitted for a HIT was rejected by the Requester, read the instructions for the HIT again, including the title, description and question data, to try to determine why the Requester believed the answer did not meet the requirements of the HIT.

Try performing additional, similar HITs from the Requester. The rejected answer may have been a fluke, and future answers you submit are likely to be approved. Or, if you are not having much luck with a particular requester, try another Requester’s HITs.

Es ist also das Problem des Auftragnehmers, sollte der Requester aus welchen Gründen auch immer sein OK nicht geben. Oder vergessen. Der Tipp, einfach weiterzuarbeiten, klingt so, als würde Amazon auch neue Bücher schicken, wenn die alten nicht gefallen sollten. Interessantes Geschäftsmodell, das sich nur ein Börsenstar leisten kann. Hier scheint der moderne Schachautomat schnell matt.

Man soll nicht immer alles schwarz malen, wenn es sich um eine Beta-Phase handelt. Setzen wir voraus, dass ein integrer Requester integre HITs anbietet, die von integren Bearbeitern schnell und gut gelöst werden, dann kann hier eine wunderbare Minijob-Börse entstehen, mit der man noch vor dem Frühstück ein paar seiner Brötchen dazu verdienen kann. Ein Submarkt, den so auch kaum jemand vor dem Erfolg von eBay prognostiziert hätte.

Vielleicht denkt man aber auch unwillkürlich an Tricks und kleine Gaunereien, weil der Marketing-Hook mit dem „Mechanischen Türken“ in die falsche Richtung lenkt. Einfacher wäre es gewesen, die Börse etwas neutraler zu benennen. Gut, die Gebrüder Grimm sind auch nicht immer gut in den USA vertreten, schon gar nicht nach dem letzten Terry Gilliam Film. Der Service funktioniert dann vermutlich, wenn www.mturk.com unaufgeregter daherkommt und rechtlich sauberer abgeklärt ist.