Medien im Wahlkampf

Nach der Präsidentschaftswahl in Frankreich

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53,06 % zu 46,94 % – die Wahl in Frankreich ist gelaufen. Mit Nicolas Sarkozy ist der Nachfolger für Präsident Jacques Chirac gefunden ("Arbeit, Autorität, Moral"). Ségolène Royal verlor zwar den zweiten Wahlgang, hielt den Abstand jedoch vergleichsweise gering. Ein genauerer Blick auf die Verteilung der Stimmenanteile wird zeigen, wo das bessere „election engineering“, die gezielte Adressierung und Erschließung von Wählerpotenzialen, für die Entscheidung gesorgt hat – und ob die französische „Regierungsmentalität“ in den Augen der Bürger vielleicht noch nicht von einer Frau bestimmt werden darf.

Der Gewinner und neue französische Präsident Nicolas Sakozy. Foto: sarkozy.fr

Person wie Programmatik des Wahlsiegers wird man nun erneuten Prüfungen unterziehen, denn wie schlagartig andere Bewertungsmaßstäbe greifen können, haben Sarkozys scheinbar versöhnlich-staatstragende Töne unmittelbar nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses gezeigt. So war Frankreich plötzlich auch wieder Teil eines Europa, das noch in der vergangenen Wahlkampfwoche nur schemenhaft als diffuse Umgebung der Grande Nation existiert hat.

Das Amt verändert den Amtsinhaber – gerade in Frankreich gilt jedoch auch das genaue Gegenteil. Die exorbitante Machtfülle des Präsidenten der Republik wurde stets auch genutzt, um die Konturen des politischen Systems an veränderte Gegebenheiten anzupassen und gegebenenfalls neu festzulegen. Die durchaus besondere Konstellation des ersten Wahlganges mit einer neu erstarkten Mitte unter François Bayrou und die relativ unverhohlenen Versuche von Ségolène Royal, dieses Wählersegment mit einer „informellen Koalition“ an sich zu binden, deuten darauf hin, dass die Wahl zur Assemblée Nationale im Juni eine erste Reaktion auf den Ausgang der Stichwahl um das Präsidentenamt sein dürfte. Bereits mit seiner Regierungsbildung noch vor den ersten eigentlichen Amtshandlungen wird Sarkozy ersten Einfluss auf den Ausgang der Parlamentswahlen nehmen. Die zwar verschachtelten, jedoch asymmetrisch zu Gunsten des Staatsoberhauptes angelegten Kontrollverhältnisse zwischen den politischen Institutionen werden ein zweites Zentrum der Kritik aus den Reihen der Wahlverlierer sein.

Aus der Perspektive der politischen Kommunikation wird schließlich auch die Rolle der alten und neuen Medien im Wahlkampf zu beurteilen sein. Das Internet ist nicht mehr nur das Medium einer „Kampagne der Zukunft“, sondern längst im Wahlkampf der Gegenwart angekommen. Eine kontrollierte Kampagnenführung durch die Kandidaten wird dabei zusehends erschwert durch „wählergenerierte Inhalte“, die sich mit den offiziellen Wahlkampfelementen vermischen und in dieser Konkurrenz nicht ausschließlich verlieren müssen.

Gute Beispiele dafür lieferte in Frankreich die explosionsartige Entwicklung der Blogosphäre, die sich dort als neuer Kampagnenraum etabliert hat. Die Politikerauftritte in Second Life waren dagegen nicht viel mehr als ein exotisches Experiment, die Nutzung von in den Kampagnenzentralen produzierten Videoclips als internetgestütztes politisches Wahlfernsehen untermauert dagegen den Vorrang audiovisueller Wahlkampfkommunikation. Am stärksten dokumentiert wurde die Dominanz des Fernsehens durch das zentrale Format der Grand Débat wenige Tage vor der Stichwahl (Im großen Duell konnte Royal nicht punkten. Nicht zuletzt dieses „Hochamt der Mediendemokratie“ zeigt in der französischen Variante, die dem Format des Rededuells tatsächlich sehr nahe gekommen ist, dass politische Gesprächssendungen im Fernsehen nicht zwangsläufig in flachen Zankereien unter „kompetenter“ „journalistischer“ „Leitung“ stattfinden müssen.

Die mediale Hochrüstung von Wahl und Wahlkampf hat sicher dazu beigetragen, dass am Sonntag die hohe Wahlbeteiligung von 85% verzeichnet werden konnte. Allerdings war die Ausgangssituation dafür auch besonders günstig: kein satter Amtsinhaber, sondern ein umstrittener Kandidat sowie erstmals eine Kandidatin gingen in die Stichwahl. Hinzu kamen eine Reihe politischer Problemlagen sowie die Formierung einer neuen politischen Mitte.

Die nächste Aufgabe einer funktionierenden Mediendemokratie wäre nun die Etablierung eines dauerhaften Interesses des weniger glamourösen politischen Alltagsgeschäftes sowie die Schaffung von Rückkopplungsschleifen für ein Bürger-Feedback. Gefordert sind hier nicht nur die klassischen journalistischen Akteure der französischen Medienlandschaft, sondern ebenso die neuen Vertreter von Bürger- und Mandatsträgerjournalismus. Es wird sich zeigen, wie sich in dieser noch ungewohnten Konstellation eine durch alte wie neue Medien gebildete Öffentlichkeit verändern werden wird – als Resonanzboden und Ressource politischer Kommunikation.

Dr. Christoph Bieber ist Politikwissenschaftler am Zentrum für Medien und Interaktivität der Justus-Liebig-Universität Gießen. Den französischen Wahlkampf hat er auch in seinem Weblog begleitet.