Medien und EU: Man fühlt die Absicht und ist verstimmt

Das Europäische Medienfreiheitsgesetz (EMFG) soll Kontrolle über Medien und Medienfreiheit neu regeln. Kritiker sehen Gefahren durch eine neue EU-Aufsichtsbehörde.

Claudia Roth, die deutsche Staatsministerin, zuständig für Kultur und Medien, trifft sich heute in Brüssel mit ihren europäischen Kolleginnen und Kollegen, um über eine große Sache zu beraten: das Europäische "Medienfreiheitsgesetz", in englischer Verkehrssprache: der "Media Freedom Act".

Um es auf den politisch brisanten Punkt zuzuspitzen. Es geht darum, dass die EU mehr Kontrolle über Medien haben will. Die zugrundeliegenden Absichten nehmen sich gut aus, wie aus einem Demokratie-Musterbuch: Die EU will "Pluralismus und Unabhängigkeit auf dem Medienbinnenmarkt fördern und Hindernisse für das Funktionieren dieses Marktes beseitigen". Das wäre der stark zusammengedampfte Kern. Der Vorschlag zum Europäischen Medienfreiheitsgesetz ist auf 75 Seiten nachzulesen.

Wahrscheinlich dauert es noch ein halbes Jahr, bis "die Mitgliedstaaten sich einigen", zitiert die Welt einen Diplomaten. Daran zeigt sich schon eine Eigenart des "Medienfreiheitsgesetzes". Es wird dauern, bis es realisiert wird.

Offen ist, ob die EU tatsächlich mehr Kontrolle über Medien bekommt – und vor allem, ob die Konsequenz daraus eine den Absichten entsprechend gute wäre: mehr Garantien für Pressefreiheit und bessere Voraussetzungen für eine Meinungsvielfalt.

Es gibt viele Kritiker und Gegner: vier EU-Mitgliedsländer, nicht nur Ungarn und Polen, von denen eine Abwehr zu erwarten war, sondern auch Deutschland und Österreich. Auch Vereinigungen der Verleger sind nicht einverstanden.

Kritiker würden zwar gut Gemeintes im European Media Freedom Act sehen, so schrieb Stefan Krempl auf heise.de Mitte September. So etwa das Vorhaben, Medien "besser vor Einflussnahme und Überwachung durch staatliche Stellen sowie vor ungerechtfertigten Löschungen von Inhalten durch Online-Plattformen zu schützen", aber das sei schlecht gemacht.

So rückt eine andere Absicht in den Vordergrund: Sowohl der Medienverband der freien Presse (MVFP) wie auch der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) stoßen sich besonders an einer Neuerung, weil damit "wesentliche Teile der Pressefreiheit auf dem Spiel stünden":

Die "Medienunfreiheitsverordnung" sei ein Affront gegen die Werte der EU und der Demokratie, rügen die Verbände. Hauptsächlicher Stein des Anstoßes: Die Kommission plant mit dem Europäischen Rat für Mediendienste eine neue Aufsichtsinstanz, die die Gruppe der europäischen Regulierungsbehörden für audiovisuelle Mediendienste (ERGA) ersetzen soll. Es gebe keinen Grund für eine weitere Harmonisierung des Medienrechts auf EU-Ebene zugunsten einer stärkeren Kontrolle durch eine Medienbehörde oder mittelbar durch die Kommission, halten die Verlegerorganisationen dagegen.

Stefan Krempl, heise.de

Auch von deutschen Politikern wird Kritik an diesem Vorhaben laut: "Die Kommission schwingt sich nicht nur zum Mediengesetzgeber auf, sondern will gleichzeitig auch noch die Medienaufsicht übernehmen", wird die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) von Eric Bonse zitiert, der seinen Beitrag unter die drastische Überschrift stellt, dass die EU nach den Medien greift.

"Faktische Zentralisierung der Medienaufsicht auf EU-Ebene"

Als Kronzeugin für diese Ansicht tritt Dreyer auf, die dem Gesetz eine "faktischen Zentralisierung der Medienaufsicht auf europäischer Ebene" zuschreibt. Das sei aufgrund der fehlenden Staatsferne nach deutschem Verfassungsrecht "nicht zulässig und nach Unionsrecht unverhältnismäßig". Die SPD-Politikerin sehe hier laut Bonse sogar eine "Ermächtigung" der EU per Verordnung.

Sie steht mit ihren Bedenken nicht alleine. Der Bundesrat hat eine "Subsidiaritätsrüge" ausgesprochen.

Das sei "eine Art Warnung nationaler Parlamente", klärt die Welt auf, um Brüssel auf die Grenzen seiner Kompetenzen aufmerksam zu machen. Aber, so die Zeitung: "Bisher ist es eher ein Zeichen ohnmächtiger Entrüstung; politische Wucht bekommt die Rüge erst, wenn bis zu 17 weitere nationale Parlamentskammern sich anschließen."

Vera Jourova (manchmal auch: Vìra Jourová), die Vize-Präsidentin der Europäischen Kommission, macht sich besonders Sorgen über den deutschen Widerstand gegen das Medienfreiheitsgesetz.

Ich appelliere an meine deutschen Kollegen, nicht nur an ihr eigenes Land zu denken. Gerade das größte Mitgliedsland sollte sich bemühen, die gesamte EU im Blick zu haben. Ernsthafte Medienprobleme in einem einzigen Mitgliedstaat haben Auswirkungen auf die gesamte EU.

Vera Jourova

Ein einziges Land, in dem die öffentliche Meinung durch pro-russische Propaganda beeinflusst sei, könne beispielsweise Sanktionen gegen Russland blockieren, präzisiert Jourova ihre Befürchtung.