Medienkrieg um die Köpfe

Bild: Benoît Prieur/CC BY-SA-4.0

Britische Medienbehörde verurteilt den russischen Sender RT zu hoher Geldstrafe wegen Einseitigkeit, Russland will den Atlantic Council zur unerwünschten Organisation erklären

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Es ist ein absurder Kalter Krieg, gegen Auslandsmedien mit dem Vorwurf mangelnder Objektivität mit Strafen vorzugehen, und das just in einem Land, das bekannt ist wegen seiner Yellow Press und in dem sich (noch) eine Regierung an die Macht klammert, deren neuer Ministerpräsident maßgeblich für die nicht besonders mit Fakten argumentierende Brexit-Bewegung mitverantwortlich war. 200.000 Pfund (225.000 Euro) Geldstrafe soll der russische staatliche Sender RT zahlen, nachdem die britische Medienaufsichtsbehörde Ofcom "schwerwiegende Verstöße" gegen das Gebot der Überparteilichkeit feststellte. In sieben Fällen habe RT auf verschiedenen Programmen während sechs Wochen vom 17. März bis 4. Mai 2018 einseitig berichtet.

Die angeblichen Verstöße gegen eine objektive Berichterstattung wurden schon im Dezember 2018 angemahnt. RT legte dagegen Klage ein, während die russische Medienaufsichtsbehörde eingeschaltet wurde, um im Tit-for-Tat-Spiel gegen die mit Steuermitteln finanzierte BBC zu ermitteln. Ofcom kam nun dem Gerichtsurteil zuvor und verhängte die Geldstrafe.

Gebührende Genauigkeit und gebührende Überparteilichkeit

Anlass des Vorgehens war vor allem die RT-Berichterstattung über den Skripal-Anschlag, aber auch zum Giftgasangriff in Douma, einem Besuch des saudischen Kronprinzen in den USA oder einem Überfall von Rechtsextremen auf ein Roma-Lager in der Ukraine. Nach den Ofcom-Regeln ist, wie die Sanktionsandrohung auf 190 Seiten begründet, Überparteilichkeit bei "wichtigen politischen und wirtschaftlichen Themen" erforderlich. Hier müsse ein "weites Spektrum von signifikanten Ansichten" berichtet werden, "Ansichten und Fakten" dürfen nicht falsch dargestellt werden, Nachrichten müssen mit "gebührender Genauigkeit" berichtet und mit "gebührender Überparteilichkeit" dargestellt werden.

Man sieht schon, ein höchst interpretationsbedürftiger Ansatz, zumal beim Skripal-Anschlag, wo die britische Regierung bei der Schuldzuweisung an die russische Regierung ohne Beweise vorgeprescht ist und durch angeblich "alternativlose" Überlegungen begründete, was die meisten westlichen Medien, die britischen inklusive, übernommen haben. Gnädig heißt es, man dürfe schon Politiker und politische Organisationen in Kommentaren kritisieren, aber mitunter sei es notwendig, "alternative Ansichten" zu berichten. Ofcom beruft sich darauf, eine von der Regierung unabhängige Medienaufsichtsbehörde zu sein.

"Perspektive der britischen Regierung nicht angemessen reflektiert"

Die Absurdität des Vorgehens wird bereits im ersten Fall eines Studiogesprächs am 17. März 2018 deutlich. George Galloway und Gayatri Pertiwi sprachen mit dem Gast Alexander Nekrassov, der als "früherer Berater des Kremls und der russischen Regierung" bezeichnet wurde, über den Skripal-Anschlag vom 4. März. Sicherheitshalber war bereits angegeben worden, was durchaus üblich ist, dass die wiedergegebenen Ansichten und Meinungen nicht notwendig mit denen von RT übereinstimmen. Während des Gesprächs, das die britische Schuldzuweisung und den Fall kritisch diskutierte und eine Schuld Russlands zurückwies, erschien immer mal wieder der Banner "UK, France, Germany, U.S. say Skripal case is an 'assault on UK Sovereignty' by Russia".

Ofcom sah aber die notwendige Überparteilichkeit nicht gewährleistet, auch in der Sendung hätte die "Perspektive der britischen Regierung zu dem Vorfall angemessen reflektiert" werden müssen. Zudem hätten die Interviewer den Gast eher bestätigt und nicht seine Ansichten hinterfragt. Der Banner reiche nicht aus, um Überparteilichkeit zu gewährleisten, er sei nur für Sekunden zu sehen und sei nur einer unter anderen gewesen. Auf den Einwand von RT, dass bekannte Kommentatoren zur Darlegung der Haltung der britischen Regierung eingeladen wurden, aber nicht kamen, erklärt Ofcom, dann müsse man die Überparteilichkeit anders garantieren. Insgesamt sei die "Ansicht der britischen Regierung nicht angemessen in der Sendung repräsentiert" worden.

Ähnlich ist die Argumentation in den anderen Fällen. Verschärft wird die Begründung, weil auch nicht der Kontext, also die weitere Berichterstattung berücksichtigt werden soll, sondern nur die einzelnen Sendungen. Schief wird die ganze Angelegenheit, weil ausschließlich der russische Sender, aber keine anderen berücksichtigt wurden, es wurden auch keine Beispiele vorgelegt, wie etwa britische Medien vorbildhaft die Überparteilichkeit im Fall Skripal demonstriert hätten. Es geht wohlgemerkt nicht um falsche Nachrichten, um Fake News, sondern lediglich um einseitige Nachrichten. Wenn nun hier nicht mit Kritik, sondern mit Strafen agiert wird, ist die Presse- und Meinungsfreiheit im Krieg um die Köpfe bedroht.

Dass Ofcom nicht völlig unabhängig von politischen Vorgaben agiert hat, lässt sich auch daraus ablesen, dass RT und Sputnik vom britischen Außenministerium nicht zur Teilnahme an einer Globalen Konferenz über Medienfreiheit" in London am 10. Und 11. Juli akkreditiert wurden, weil sie eine "aktive Rolle bei der Verbreitung von Desinformation" spielen würden. Wie überparteilich der entsprechende BBC-Bericht ist, ob er im Sinne der Ofcom ausreichend die russische Perspektive und die von RT würdigt, kann jeder selbst prüfen, meines Erachtens müsste er auch beanstandet werden.

Atlantic Council im Visier

Das russische Außenministerium zeigte sich erstaunt, dass die Geldstrafe nicht von einem Gericht verhängt wurde und dass deren Höhe die über Medien verhängten Strafen für Hassrede und Aufruf zur Gewalt übersteigen. Hingewiesen wird auf Einseitigkeiten in britischen Medien, die unbeanstandet blieben. Der Vorwurf: Ofcom schaue nicht auf "systematische Desinformation in britischen Medien". Es handele sich um einen Teil der antirussischen Kampagne und Zensur. Britische Medien in Russland werden gewarnt, dass sie mit Konsequenzen als Folge des britischen Vorgehens rechnen müssen.

Dass in Reaktion die russische Aufsichtsbehörde Roskomnadzor gegen BBC ermitteln will, ist wenig verwunderlich, auch wenn offenbar noch keine Ergebnisse vorgelegt wurden. Ob schon länger vorbereitet oder erst als Antwort auf Ofcom oder das britische Außenministerium ist nicht klar, jedenfalls hat die russische Staatsanwaltschaft nun das russische Außenministerium aufgefordert, die transatlantische, in Kalten Krieg gegründete amerikanische Lobbyorganisation Atlantic Council auf die Liste der im Land verbotenen ausländischen Nichtregierungsorganisationen zu setzen.

Der Atlantic Council, gefördert vom amerikanischen (500.000 US-Dollar und britischen Außenministerium (1 Million US-Dollar, ebenso von Facebook oder den Arabischen Emiraten), ist kein Medium. Das macht wahrscheinlich den Gegenschlag für Moskau einfacher, als parallel zur Ofcom gegen die BBC vorzugehen. Die von zahlreichen staatlichen und privatwirtschaftlichen Interessen finanzierte, fälschlich als Thinktank oder NGO bezeichnete Organisation, betreibt im Sinne der Interessen der USA und der Nato Meinungsmache und ist, wie Sputnik anmerkt, massiv in die Bekämpfung angeblicher Desinformation eingestiegen. Das jetzt so genannte Programm Digital Sherlocks, parellel Digital Forensic Research Lab, arbeitet an der von der amerikanischen und britischen Regierung gewünschten Informationsfront: "To identify, expose, and explain disinformation where and when it occurs using open source research; to promote objective truth as a foundation of government for and by people; to protect democratic institutions and norms from those who would seek to undermine them in the digital engagement space."

Man kooperiert eng mit Eliot Higgins und Bellingcat, deren primäres Ziel es zu sein scheint, was der Atlantic Council, aber auch die britische Regierung oder das Gemeinsame Ermittlungsteam (JIT) im Fall von MH17 entsprechend übernimmt, aus Open-Source-Quellen scheinbare Beweise für Russlands Schuld im Skripal-Fall, bei Giftgasangriffen oder beim Abschuss der MH17 vorzulegen. Forensisch ist dabei wenig, es wird nur einseitig ermittelt, aber nicht nach allen Seiten. Allerdings werden, vielleicht zur Rechtfertigung, auch einmal Untersuchungen etwa zu den saudischen Bombardierungen im Jemen ausgeführt.

Würde der Atlantic Council zur unerwünschten Organisation in Russland, so könnte dieser, wie Sputnik berichtet, keine Niederlassungen mehr in Russland betreiben, bestehende müssten geschlossen werden, es dürften keine Beiträge im Internet oder in Medien verbreitet oder Projekte organisiert werden. Das Atlantic Council gibt sich kämpferisch. Man werde weiter eine "unerschütterliche Stimme für ein besseres Russland und die Zukunft seiner Bürger" sein. Man stehe zur Arbeit in Russland und werde die Mission mit Freunden und Alliierten, "konsistent mit unseren tiefsten Werten", weiterführen.

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