Mehr Wohneigentum erhöht die Arbeitslosenrate

Das Wohneigentum unter einer Fußgängerbrücke in München wurde inzwischen geräumt - zugunsten sinkender Arbeitslosigkeit? Bild: F.R.

Britische Wissenschaftler haben eine gewagte Hypothese anhand der USA ausgearbeitet, die aber auch auf die Unterschiede in der EU zuzutreffen scheint

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Die Deutschen sind weniger vermögend als Menschen in anderen europäischen Ländern, weil sie weniger Häuser oder Wohnungen besitzen und häufiger zur Miete wohnen als Menschen etwa in Spanien, Italien oder Griechenland. Das rief Unmut in Deutschland hervor, auch wenn die Vergleiche der Vermögenswerte, den die Deutsche Bundesbank und die EZB anstellten, kritisch hinterfragt wurden (Haushaltsumfrage der Notenbanken: Zyprer zählen zu den reichsten Europäern).

Eine britische Studie stellt nun die gewagte Hypothese auf, dass eine Politik, die den Erwerb von Wohneigentum fördert, negative Konsequenzen für den Arbeitsmarkt habe, was natürlich auch auf die Länder mit einem hohen Anteil an Wohneigentum in der Bevölkerung zutreffen würde. In denen herrscht zumindest jetzt eine hohe Arbeitslosigkeit. Der Einfluss des Immobilienmarkts auf den Arbeitsmarkt wirkt langfristig, weswegen der Zusammenhang zwischen höherer Arbeitslosigkeit und einem hohen Anteil an Wohnbesitz nicht früher bemerkt worden sei. Sind die Häuslebesitzer-Gesellschaften deswegen verschuldet und weniger konkurrenzfähig als die deutsche Gesellschaft?

Gestützt wird ihre Hypothese von einer Studie des finnischen Wissenschaftlers Jan-Petri Laamanen, der aus derselben Perspektive Spanien und die Schweiz verglichen hat. In Spanien, wo die Arbeitslosigkeit mit 25 Prozent extrem hoch ist, liegt der Anteil der Wohneigentümer bei 80 Prozent, in der Schweiz hingegen nur bei 30 Prozent, dafür ist die Arbeitslosigkeit mit 3 Prozent auch sehr niedrig. In einer Grafik zeigen die britischen Wissenschaftler, dass es in den OECD-Ländern einen solchen Zusammenhang zwischen der Höhe der Arbeitslosigkeit und dem Wohneigentum zu geben scheint. In europäischen Ländern, die jetzt eine niedrige Arbeitslosentrate wie die Schweiz, Österreich und Deutschland haben, gibt es auch eine deutlich geringere Wohneigentumsrate wie in Spanien, Italien oder Griechenland.

Die Professoren Andrew Oswald (University of Warwick) und David Blanchflower (Dartmouth College) haben für ihre die Zahlen für Arbeitslosigkeit und Wohnbesitz in den US-Bundesstaaten zwischen 1900 und 2010 untersucht. Anhand der Daten von zwei Millionen zufällig ausgewählter Amerikaner schätzten sie die Zahl der Arbeitswochen, das Ausmaß der Mobilität, die Länge der Wege zur Arbeit und die Zahl der Unternehmen.

Stieg in einzelnen US-Bundesstaaten oder in den gesamten USA die Rate des Wohneigentums an, folgte darauf oft ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Das trifft für unterschiedliche Zeiten der US-Geschichte zu und eben auch auf lange Zeitabschnitte. So haben die Wissenschaftler die Wohneigentumsrate von 1950 bis 2000 und die Arbeitslosenrate von 1950 bis 2010 verglichen, als die Zahl der Eigentümer allmählich anstieg und entsprechend die Mobilität zurückging, bis die Immobilienkrise einsetzte. Die Auswirkung des Anstiegs des Wohneigentums auf die Arbeitslosenzahlen kann sich aber erst fünf Jahre später zeigen. Aber dahinter stecken andere Veränderungen. So sinkt nach den Wissenschaftlern mit dem Wohneigentum auch die Mobilität der Menschen und steigt die Pendelzeit. Das ist auch intuitiv einleuchtend, denn wer in seiner eigenen Wohnung oder seinem eigenen Haus lebt und womöglich noch Schulden zu bezahlen hat, wird eher nicht umziehen und lieber längere Wege zur Arbeit in Kauf nehmen. Dazu sinkt mit steigendem Wohneigentum nach der Studie auch die Zahl der Firmengründungen.

Mit ihrer Studie können die Wissenschaftler natürlich nicht die Mechanismen des Zusammenhangs belegen, sondern nur vermuten, warum eine höhere Wohneigentumsrate den Arbeitsmarkt "beeinträchtigt". Die Autoren behaupten nicht, dass Hausbesitzer eher ihren Job verlieren, sondern dass die wirtschaftliche Aktivität insgesamt betroffen wird. So führe die mit dem Wohneigentum wahrscheinlich verbundene Abnahme der Mobilität zu längeren Arbeitswegen. Das erhöhe die Kosten und schaffe Verkehrsstaus, die Firmen und alle Werktätigen betreffe. Dazu komme die NIMBY-Einstellung der Wohneigentümer (not in my back yard), die neue wirtschaftliche Aktivitäten in ihrer Umgebung verhindern und so die wirtschaftliche Dynamik versteinern würden. Wohneigentum macht nicht nur sesshaft, sondern auch träge.

Dementsprechend fällt auch der Rat für Politiker und insbesondere für britische Politiker aus. In Großbritannien müsse dringend ein privater Mietmarkt wie in der Schweiz oder Deutschland eingeführt werden, sagen sie. Damit könne man die Arbeitslosigkeit senken und "eine große Menge zusätzlichen Glücks" schaffen, prophezeit Oswald. Der Rat ist auch, dass Regierungen möglichst zurückhaltend sein sollen bei der Förderung von Wohneigentum.

Der Zusammenhang, umgelegt auf ein politisches Programm, klingt aber arg simpel. Man müsste eigentlich dafür sorgen, dass die Menschen sich Wohneigentum nicht mehr leisten können. Just das scheint aber die Krise nach dem aufgeheizten Immobilienmarkt in vielen Ländern bewirkt zu haben. Folgt jetzt auf die erst einmal gestiegene Arbeitslosigkeit eine neue Vollbeschäftigung? Und steht Deutschland, wo der Immobilienmarkt aufgrund der niedrigen Zinsen und der geringen Wohneigentumsrate blüht, deswegen vor der nächsten Arbeitslosenwelle? Aber haben Menschen, die in Miete leben, vielleicht weniger Geld zur Verfügung, weswegen der Druck steigt, auch schlecht bezahlte Jobs annehmen zu müssen?