Mehrheit für Sozialtarif?

Die Energie- und Klimawochenschau: Von Freunden der Ölindustrie und teurem Strom, von lärmempfindlichen Schweinswalen und verzögerten Netzanschlüssen sowie von schwindendem Erdgas und chinesischen Protesten

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Politiker sind schon ein komisches Volk. In den USA bringen es die Kandidaten der beiden großen Parteien im Präsidentschaftswahlkampf fertig, das Thema Klimawandel fast vollkommen zu vermeiden. Angesichts von Überschwemmungen und schweren Ernteausfällen aufgrund einer extremen Dürre im Mittleren Westen ist das schon eine beachtliche Leistung.

Amtsinhaber Barack Obama soll in der Debatte mit seinem Herausforderer Mitt Romney, als es um die Frage der Energiepolitik ging, vor allem auf seine Nähe zur Kohle- und Ölindustrie verwiesen haben. Und tatsächlich kann diese sich über die Amtszeit Obamas kaum beklagen.

Obwohl dieser 2010 mit dem Unfall der Bohrplattform Deepwater Horizon (Verölte Wahrheit) die Risiken der Förderung in der Tiefsee drastisch vorgeführt begann, ebnete er den Weg für neue Offshore-Plattformen entlang der Pazifikküste und auch in der Arktis (Shell: Große Pläne in der Arktis ohne Weitblick?).

Die (chancenlose) Präsidentschaftskandidatin der Grünen, Jill Stein, nannte Obama wegen aufgrund seines Verhaltens in den Debatten mit Romney einen "denier", das heißt einen Leugner des Klimawandels. Auf Nachfrage eines Journalisten schwächte sie etwas ab, Obama sei ein "silencer"

Abgelenkt

Wie dem auch sei, so viel anders sieht der offizielle politische Diskurs hierzulande letztlich auch nicht aus. Lobbygruppen der Wirtschaft und vor allem des Stromoligopols haben es in den letzten Wochen weitgehend geschafft die Debatte um die Stromversorgung vollkommen auf die Frage der Strompreises zu reduzieren.

Von den Motiven der Energiewende, Ausstieg aus der Atomkraftnutzung und Klimaschutz, wird hingegen kaum noch gesprochen. Stattdessen werden die bereits erzielten beachtlichen Erfolge (Die ersten 25 Prozent sind geschafft) zum Problem erklärt.

Abgehängt

Erfreulicher Nebeneffekt ist immerhin, dass die Energiearmut zum Thema wird, nämlich die Tatsache, dass ein nicht mehr ganz kleiner Teil der Bevölkerung Schwierigkeiten hat, seine Stromrechnung zu bezahlen. Eine Umfrage der Verbraucherschutzzentrale NRW unter 58 von 110 Grundversorgern im Lande hatte zu Beginn des Jahres ergeben, dass bei rund 62.000 Kunden 2010 der Strom abgestellt worden sei. Hochgerechnet auf die ganze Republik entspräche das etwa 600.000 Haushalten. Tendenz steigend.

Organisationen wie ATTAC fordern bereits seit längerem, den Grundverbrauch kostenlos oder zu einem besonders günstigen Preis anzubieten und dies mit Verteuerung des höheren Verbrauchs gegenzufinanzieren. Das würde Niedrigverdiener entlasten und böte zugleich einen Anreiz zum Energiesparen.

Paketlösung

Bisher wurden derlei Konzepte nur von der Linkspartei aufgegriffen, aber inzwischen kann sich auch der hessische SPD-Landesvorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel für die Idee erwärmen. Als Antwort auf die jüngsten Angriffe des Bundesumweltminister Peter Altmaiers auf die erneuerbaren Energieträger fordert der Sozialdemokrat, dass ein "Grundbedarfspaket" geschnürt wird.

500 Kilowattstunden pro Haushaltsmitglied und Jahr sollten besonders günstig abgegeben werden. Sei dieses Paket-Konzept eingeführt könnten sich weitere Entlastungen darauf beziehen. "Dies könnte die Mehrwertsteuer, aber auch die Stromsteuer und andere Umlagen betreffen", so Schäfer-Gümbel.

Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel scheint auf diese Position einzuschwenken. Am Wochenende forderte er die Streichung der Mehrwertsteuer auf dieses Grundbedarfspaket.

Mindereinnahmen von 400 Millionen Euro wären die Folge. Das dürfte allerdings leicht zu verkraften sein, denn der Fiskus hält selbst bei der EEG-Umlage die Hand auf. Deren Steigerung auf knapp 5,3 Cent pro Kilowattstunde ab 1. Januar 2013 steigert die Mehrwertsteuereinnahmen um rund 700 Millionen Euro.

Auch die Grünen liegen inzwischen in etwa auf dieser Linie. Ein kürzlich im Bundestag gestellter Antrag zum Thema, bleibt allerdings etwas hinter den Vorschlägen der SPD zurück. Von der Bundesregierung wird vor allem gefordert, das Energiesparen besser zu fördern.

Immerhin soll aber auch, das Abschalten der Stromversorgung erschwert werden. Außerdem sollen die Versorgungsunternehmen dazu verpflichtet werden, mindestens einen Tarif anzubieten, der durch progressive Staffelung und entfallende Grundgebühr das Stromsparen honoriert.

Da die Linkspartei wie gesagt bereits seit längerem ähnliche Konzepte diskutiert, ohne freilich je versucht zu haben, sie dort, wo sie mitregiert, umzusetzen, könnte es nach der Bundestagswahl 2013 spannend werden. Bisher deutet alles darauf hin, dass die Anhänger einer sozialen Staffelung des Stromtarifs eine Mehrheit bekommen werden. Naja, aber realistischerweise werden die besseren Einsichten wohl einer schwarz-roten Koalitionsdisziplin geopfert werden.

Lärmopfer

Derweil scheint der Bundesregierung liebstes Kind in einen Wachstumsstreik getreten zu sein. Während Bundesumweltminister Peter Altmaier, wie berichtet (Wer darf wie viel Wind machen?), nach der Fotovoltaik auch die Windenergie an Land gerne ausbremsen möchte, hält seine Regierung ja bekanntlich die Offshore-Windparks für das Nonplusultra der Energiewende.

Und während auf Land Windräder manchmal jahrelang wegen Unklarheiten über die Gefährdung in der Nachbarschaf lebender Greifvögel oder Fledermäuse auf ihre Baugenehmigung warten müssen, sollen auf See Naturschutzbestimmungen gelockert werden, um keine Rücksicht auf Schweinswale nehmen zu müssen.

Das berichtet zumindest die Berliner taz. Für den einzigen heimischen Wal ist der Lärm, der durch das Einrammen der Fundamente entsteht, lebensbedrohlich. Natürlich gebe es Alternativen, aber die Naturschutzauflagen zu umgehen ist allemal einfacher und vermutlich auch billiger.

Da können Naturschützer vielleicht ganz froh sein, dass es auf See eine Verzögerung nach der anderen gibt. Die Rheinische Post schreibt von anhaltenden Problemen, weil Netzbetreiber Tennet nicht mit dem Verlegen von Kabeln hinterher komme.

Der staatliche dänische Energiekonzern Dong stoppe zum Beispiel den Ausbau seines Parks vor Borkum, weil er von Tennet kein Datum für den Netzanschluss benannt bekomme. Auch RWE habe bereits ein Projekt gestoppt.

Tennet verweist darauf, dass man inzwischen doppelt so viel in Netze investiere wie noch vor einigen Jahren, was allerdings kein Kunststück ist, denn seit der Liberalisierung des Strommarktes klagen Insider darüber, dass die Netzbetreiber nicht mehr ausreichend investieren, um den Bestand zu erhalten. Ansonsten hofft Tennet auf einen neuen Investor aus den USA und dass der Bundestag die Haftung für die Verzögerungen auf See demnächst per Gesetz den Stromkunden aufbürdet.

Förderrückgang

Derweil ist eine andere heimische Energiequelle langsam am Versiegen. 2008 hatte Deutschland noch 17 Prozent seines Erdgasbedarfs aus heimischen, meist niedersächsischen Quellen gedeckt. Doch eine Ende ist in Sicht. Die Förderung geht von Jahr zu Jahr zurück, zuletzt um rund fünf Prozent, wie die Stuttgarter Nachrichten berichten.

Da trifft es sich gut, dass Anfang Oktober die zweite Röhre der Nord-Stream-Pipeline in Betrieb genommen wurde, die Erdgas aus Russland am Boden der Ostsee bis ins vorpommersche Lublin pumpt. 7,8 Milliarden Euro sollen die beiden Leitungen gekostet haben, die nach Unternehmensangaben bis zu 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr transportieren können. Zum Vergleich: Der deutsche Jahresverbrauch rund 100 Milliarden Kubikmeter.

Chef des Aktionärsausschusses der Nord Stream AG ist übrigens Ex-Kanzler Gerhard Schröder, der seinerzeit den Bau mit dem russischen Autokraten Vladimir Putin eingefädelt hatte und mit einer seiner letzten Amtshandlungen nach seiner Abwahl 2005 noch Kreditgarantien organisierte, die das Projekt absicherten.

Eine andere Frage ist allerdings, wie lange die russischen Quellen sprudeln, und ob diese nicht vielleicht erhebliche logistische Probleme durch die Klimaveränderungen in der Arktis bekommen, wenn dort der Dauerfrostboden auftaut. Andere wichtige Erdgaslieferanten sind die Niederlande und Norwegen.

Kohle-Protest

Und zu guter Letzt die gute Nachricht der Woche: Auch in China gibt es Widerstand gegen neue Kohlekraftwerke. Wie die in Hongkong erscheinende South China Morning Post berichtet, sind die Einwohner des Kleinstädchens Yinggehai auf der südchinesischen Insel Hainan erbost über den geplanten Bau eines Kohlekraftwerks an ihrer Gemeindegrenze.

Auch Einwohner umliegender Dörfer würden protestieren. Die Behörden hätten am Wochenende über tausend Polizisten aufgeboten, die eine Demonstration auseinandertrieben und über 100 Menschen festnahmen. Seit Januar habe es verschiedene Proteste gegen den Kraftwerksbau gegeben.

Die Zeitung verweist auf zunehmenden Widerstand gegen Umweltverschmutzung in der Volksrepublik. In Juli hätten Zehntausende in der Provinz Sichuan den Bau einer Kupferhütte verhindert. Im August 2011 hatte, wie berichtet, in der nordöstlichen Küstenmetropole Dalian Massenprotest die Schließung einer Chemiefabrik erzwungen.

Im Juli 2012 hatten sich in der Nähe von Shanghai Zehntausende Straßenschlachten mit der Polizei wegen einer geplanten Abwasserpipeline einer Papierfabrik geliefert. Das Projekt wurde schließlich gestoppt. In mindestens einem Fall (Wachsender Widerspruch) richtet sich der Unmut auch gegen neue Atomkraftwerke.

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