Meister der Schatten

Ungewohntes Castlevania-Setting: Dracula in der Neuzeit

Square Enix "Thief" und Konamis "Castlevania: Lords of Shadow 2"

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Die Hauptdarsteller der Videogames "Thief" und "Castlevania: Lords of Shadow 2" lieben die Schatten der Nacht. Garrett sucht als Dieb aus beruflichen Gründen die Dunkelheit. Gabriel war im ersten "Lords of Shadow" ein heiliger Ritter des Lichts, der sich dem Kampf gegen böse Dämonen verschrieb. In der Fortsetzung wechselt er die Seiten und kämpft als Dracula gegen seine ehemaligen Mitstreiter. Beide Spiele setzen zum ersten Mal in ihrer jeweiligen Serie auf Open-World-Gameplay.

Vom Licht in den Schatten: "Castlevania: Lords of Shadow 2"

Konamis "Castlevania"-Serie gehört zu den alten Hasen. Seit 1986 kämpft der Spieler gegen Dämonen und den stetigen Nemesis Dracula - meist als 2D-Plattform-Game. Mit "Lords of Shadow" ähnelte das Gameplay mehr Sonys "God of War"-Games. Auch wenn es damit einige Serienfans und Puristen vor den Kopf stieß, war es ein gelungener Sprung in die dritte Dimension.

Die Fortsetzung versetzt den Spieler zum ersten Mal in die Rolle des Vampirfürsten, den es bisher zu bekämpfen galt. Nach einem jahrhundertelangen Schlaf wacht Dracula in der nahen Zukunft auf und trifft auf den zwielichtigen Zobek aus dem ersten "Lords of Shadow". Dieser fürchtet die Ankunft Satans und schlägt Dracula ein Geschäft vor: Wenn der Vampir Satan besiegt, erlöst Zobek ihn dafür von seiner Unsterblichkeit. Dracula besitzt nur einen Bruchteil seiner Macht. So muss er zunächst seine Kräfte und Waffen zurück erlangen. Gleichzeitig sucht er nach Satans Gefolgsleuten.

Im Verlauf des Spiels wechselt das Setting zwischen der modernen Stadt und der Ruine von Draculas Schloss. In letzterem fühlt sich der Castlevania-Spieler mehr daheim. In der Neuzeit trifft er auf recht ungewöhnliche Figuren. Die Wachen der Chemiefabrik, die der Protagonist in seiner ersten Mission besucht wirken eher wie Kämpfer aus einem Science-Fiction-Shooter.

Untoter gegen Untote

Draculas Schloss ist zwar seine Heimat, seine Dämonen fühlen sich aber von seinem Herrn verraten, weshalb sie sich gegen ihren Fürsten wenden. Die Story hält die beiden unterschiedlichen Welten zusammen, aber leider ist sie selbst einer der Schwachpunkte von "Lords of Shadow 2": Sie ist zum Großteil schlicht verworren und vermischt zu viele Komponenten zu einem unausgegorenen Ergebnis.

Jedoch hat kaum jemand die bisherigen "Castlevania"-Games ihrer Erzählung wegen gespielt, deshalb zählt der spielerische Aspekt weit mehr. Auch hier bringt das Entwicklerstudio MercuryStream Entertainment, die auch den Vorgänger, sowie den 3DS-Ableger "Lords of Shadow - Mirror of Fate" entwickelten, neue Ideen ins klassische Rezept.

Das Kampfsystem ist dem Vorgänger und anderen 3D-Action-Games sehr ähnlich: Dracula beherrscht zwei Grundangriffe, von denen der eine schnell auf einzelne Gegner zielt, während der andere mit mehr Schwung mehrere Feinde trifft, aber langsamer ist. Genretypisch darf der Spieler mehrere Attacken zu Combos verbinden und mit Sprüngen kombinieren.

Ein interessanter Aspekt ist das Waffenarsenal. Insgesamt besitzt Dracula - zumindest nach kurzer Zeit - drei davon. Die Blutpeitsche ist die Basisausrüstung und steht in guter Tradition zur Standardwaffe der Serie. Sie ist schnell und effizient. Gegen gepanzerte Gegner setzt Dracula eine Kralle ein, um ihre Rüstungen zu durchbrechen. Erst danach können normale Angriffe ihnen etwas anhaben. Schließlich schwingt der Fürst noch ein magisches Schwert, das zwar weniger Schaden anrichtet, aber mit jedem Treffer seinen Träger heilt. Die Kralle besitzt zudem Feuerenergie, während das Schwert eisige Kräfte freisetzt. Beide werden in Kämpfen und für einige Puzzles eingesetzt, indem Dracula beispielsweise Wasserfälle einfriert, um sie zu erklimmen.

Ein sympathischer Chupacabra kehrt zurück - und eröffnet seinen eigenen Laden

Dracula muss Schwert und Kralle stetig mit Energie aufladen, indem er Gegner mit Angriffs-Combos ohne Gegentreffern besiegt. So entsteht eine erfreuliche Dynamik in den Kämpfen. Hinzu kommt, dass Gegner, die nahezu besiegt sind, erstarren. Für einen zusätzlichen Bonus saugt Dracula ihnen mit gutem Timing in diesem Zustand das Blut aus.

Wie in vielen Games sammelt der Spieler mit jedem besiegten Gegner Erfahrungspunkte, die er zur Verbesserung der Kampfkünste verwendet. Alle drei Waffen haben umfangreiche Skill-Trees. Zusätzlich kann er Fähigkeiten außerhalb der Kämpfe erwerben wie beispielsweise einen weiteren Sprung, der ihn an neue Orte führt.

Das Kampfsystem ist die große Stärke von "Lords of Shadow 2". Auch die Bosse sind originell, wenn auch im Schnitt etwas zu einfach.

Medusa und ihre Schwestern werden zum Bossgegner Gorgon

Schwächen zeigt das neue "Castlevania" dort, wo es zu weit vom bewährten Konzept abweicht. So muss Dracula an einigen Stellen schleichen, was leider einfach schlecht umgesetzt ist. Der Fürst bewegt sich schlicht langsamer und hat keine Kräfte mehr, kann also auch nicht schnell in den Kampfmodus zurück. Auch erhält der Gamer anders als beispielsweise in "Thief" kein sinnvolles Feedback, wie unauffällig er sich gerade verhält. Auch die nette Idee, dass sich der Fürst in eine Ratte verwandelt, um beispielsweise Stromkabel durchzubeißen, verliert ihren Reiz durch eine unpräzise Steuerung des Nagetiers. Die Kletterpassagen sind ebenfalls weniger flüssig als beispielsweise in einem "Assassin’s Creed".

So hinterlässt "Castlevania Lords of Shadow 2" einen gemischten Eindruck. Die Kämpfe sind flüssig und unterhaltsam. Das System hat eine angenehme Tiefe, das der Gamer sowohl mit gutem Timing als auch dem Aufbau der Skill Trees auskostet. Die offene Welt ist eine Bereicherung, in der jeder Spieler selbst entscheidet, wie viel Zeit er für die Erkundung der Umgebung jenseits der Kampagne verwendet.

Leider ist aber der rote Faden, der durch das Geschehen führt, schlicht konfus und uninspiriert. Spielerisch hätten sich die Entwickler bei MercurySteam auf die Kernkompetenzen aus Kämpfen, Puzzles und Erkunden konzentrieren sollen. Viele Neuerungen wirken unausgegoren und stören den Spielfluss, statt ihn zu bereichern.

Schleichen durch die düstere Welt: "Thief"

Thief von Square Enix ist im Vergleich zu "Castlevania" recht jung. Das erste "Thief: The Dark Project" stammte von den legendären Looking Glass Studios, die unter anderem auch "System Shock" und "Ultima Underworld" entwickelt hatten. Es etablierte 1998 das Genre der "Ego-Schleicher": Ein Spiel, das die bis dahin größtenteils Shootern vorbehaltene Ich-Perspektive nutzt, aber wie Konamis "Metal Gear Solid"-Games möglichst unbemerktes Vorankommen verlangt. Diesem Konzept bleibt der neueste Titel treu, der schlicht "Thief" heißt und für PS4, XBox One, PS3, XBox 360 und PC erhältlich ist.

Am Anfang liefern sich der Dieb Garrett und die Assassine Erin ein beinahe sportliches Wettrennen über die Dächer und durch die Häuser der Stadt. Garrett, der seine Beute am liebsten laut- und spurlos greift, stiehlt Erin dabei ihre Waffe, eine Kralle. So will er sie vor sich selbst schützen, da sie in seinen Augen vorschnell tötet und sich selbst gefährdet. Am Ende des Raubzuges wäre es jedoch genau dieses Werkzeug, das Erin hätte retten können, als sie durch ein Glasdach stürzt, durch das die beiden ein merkwürdiges Ritual beobachten.

Der Dieb hält sich gerne bedeckt im Hintergrund

Der Prolog von "Thief" ist eine gute Einführung in die Spielweise und Geschichte. Leider verliert die Story aber bereits in den ersten Kapiteln jeglichen Reiz und wird ähnlich verworren und uninteressant wie die von "Lords of Shadow 2".

Dafür ist auch in "Thief" die Stadt von Anbeginn offen, was ein Dieb, der seinen Beruf liebt, wörtlich nimmt. Der Spieler darf gerne auf dem Weg zu einer Mission nebenbei in verschlossene Häuser einsteigen und dort nach Diebesgut suchen. Die Pseudo-Offenheit der Welt zeigt jedoch eine Schwäche, die auch in den Missionen steckt: Garrett kann mit etwas Geschick eine komplex gesicherte Türe oder ein Fenster knacken, aber diverse einfache Holztüren bleiben ihm ewig versperrt. Ebenso klettert er an fest markierten Stellen oder zieht sich mit Seilpfeilen an - fest vorgesehenen - Vorsprüngen hoch, muss aber an einem hüfthohen Hindernis einen Umweg suchen.

Dass die Entwickler von Eidos Montreal die Freiheit des Spielers auf diese Weise drastisch beschränken, ist besonders schade, da es dem Konzept des Games widerspricht. Die Missionen sind eigentlich darauf ausgelegt, dass unterschiedliche Wege zum Ziel führen. Das funktioniert innerhalb der Vorgaben auch gut, aber die Einschränkungen sind zu stark und offensichtlich.

Mit Betäubungsgas schaltet Garrett die Wache eine kurze Zeit aus

Ehrgeizige Spieler versuchen, komplett unbemerkt durch die Missionen zu kommen. Dabei helfen ihm vor allem die unterschiedlichen Arten von Pfeilen, die schon das Markenzeichen des ersten "Thief"-Games waren. Zu den acht Sorten gehören solche mit einem Wassertank, die Garrett zum Löschen von Fackeln einsetzen kann. Andere versprühen ein Gas, das Wachen kurzfristig betäubt. Mit stumpfen Pfeilen löst der Dieb beispielsweise Schalter aus der Ferne aus.

Nahezu alle Situationen lassen sich friedfertig lösen. Wer die Wachen genau beobachtet, kommt auch ohne Gewaltanwendung unbemerkt durch die Räume. Das Spiel lässt dem Gamer aber die Freiheit zu entscheiden, ob er doch lieber im Vorfeld aus sicherer Entfernung vom Dach mit seinem Bogen einige Wachen ausschaltet oder zumindest von hinten K.O. schlägt, nachdem er sich unbemerkt angeschlichen hat.

Der aggressive Weg durch die Gasse

Das Ausschalten ist in doppelter Hinsicht nervenschonend: Neben der Gefahr, entdeckt zu werden, beendet der Spieler damit die sich wiederholenden Selbstgespräche der Nichtspielercharaktere. Auch in der Hinsicht ist "Thief" leider unausgegoren: Immer wieder hört Garrett Gespräche mit, die zunächst die Atmosphäre des jeweiligen Settings gut widerspiegeln. Leider wiederholen sich alle Mono- und Dialoge in Endlosschleifen.

Dass die Wege der Wachen festen Mustern folgen, gehörte wiederum schon bei den Vorgängern zum bewährten Konzept. Der Spieler beobachtet diese, um zu erkennen, wie er unbemerkt voran schreitet oder die Wachen einzeln erwischt. Anders als in früheren "Thief"-Games hat Garrett selbst dann, wenn er entdeckt wurde, im Nahkampf zunächst noch eine realistische Chance gegen einzelne Wachen. Anders als in "Assassin’s Creed" bedeuten mehrere Jäger jedoch der diebischen Elster sicheren Tod. Leider hat die künstliche Intelligenz der Gegner aber jenseits der Routinewege einige Schwächen: Das Gesichtsfeld ist auf normaler Schwierigkeitsstufe sehr eingeschränkt und auf Geräusche reagieren die Wachen äußerst unrealistisch: Fehler beim Schlossknacken bemerken sie sofort, ein gewaltsam aufgebrochenes Fenster oder eine zugeschlagene Türe dagegen nicht.

Der zu Beginn gewählte Schwierigkeitsgrad schränkt den Handelsspielraum ein. Auf den höheren Stufen ist - wie schon in früheren Titeln - beispielsweise das Töten oder auf höchster Stufe gar das K.O.-Schlagen tabu. Neu ist die individuelle Wahl der Herausforderung. Dabei legt der Spieler seine eigenen Handicaps fest und verzichtet so beispielsweise auf die Minikarte oder visuelle Hilfen.

Wenn es in den Fingern juckt, hält Garrett kein Feuer ab

Der Gesamteindruck von "Thief" ist ähnlich wie von "Castlevania: Lords of Shadow 2" durchwachsen. Dort, wo Garrett auf altbewährte Weise die Bewegungen von Gegnern studiert, um unbemerkt seine Aufgabe zu erfüllen, ist es gut bis sehr gut. Wenn es darum geht, noch den geheimen Code für einen Tresor zu finden, um ein optionales, wertvolles Sammlerstück mitgehen zu lassen, darf der Spieler sich als Meisterdieb fühlen.

Leider gibt es aber zu viele Schwachstellen wie die eingeschränkten Wege zum Klettern oder die künstliche Intelligenz der Wachen. Atmosphärisch stören nicht nur die ewig selben Gesprächsfetzen, sondern auch das Setting, das mit aller Gewalt düsterer werden will als seine Vorgänger. Die Mischung aus der dunklen Welt und dem Zynismus Garretts fehlt im neuen Teil.

Die Story ist schlicht eine Enttäuschung. Interessanterweise listet "Thief" in seinen Credits die renomierte Game-Autorin Rhianna Pratchett, die unter anderem maßgeblich das Skript von Tomb Raider schrieb. Sie selbst verschweigt "Thief" aber auf ihrer Website und distanziert sich vom Endergebnis eindeutig in einem Tweet.

Die offene Stadt mit einigen Nebenmissionen und zahlreichen Häusern, in die Garrett nach Belieben einsteigt, ist ein Gewinn. Auch lässt "Thief" dem Spieler immerhin genügend Freiheit die Ziele nach seinem Geschmack zu beenden und die Schwierigkeit den eigenen Wünschen anzupassen.

Überschattetes Spielvergnügen

So unterschiedlich "Castlevania: Lords of Shadow 2" und "Thief" sind, so haben sie doch vieles gemeinsam. Sie sind die jüngsten Spiele von Serien mit Kultcharakter. Der Spagat zwischen Bewährtem und Neuem misslingt ihnen weitgehend. Dabei haben beide ein gutes, bewährtes Spielprinzip: Die Kämpfe in "Lords of Shadow 2" machen ebenso Spaß wie das Schleichen in "Thief". Leider bringt das meiste jenseits des starken Kerns mehr Frust als Spielspaß. Das gilt beispielsweise für Draculas Schleichpassagen ebenso wie die zu sehr vorgezeichneten Wege des Diebes.

Beide Games rücken die Story in den Mittelpunkt und enttäuschen mit ihrer wirren, unausgegorenen Handlung gleichermaßen. Die Öffnung der Welt, in der jeder Spieler selbst entscheidet, wieviel Zeit er Nebenaufgaben und Erkundungen widmet, ist dagegen gelungen. Unter dem Strich gilt für "Lords of Shadow 2" und für "Thief", dass die gelungenen Kernkomponenten ebenso im Schatten ihres Drumherum bleiben wie die Protagonisten im Schatten der Nacht.

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