Menschenrechte für Schimpansen?

Gemeiner Schimpanse im Zoo Leipzig. Bild: Thomas Lersch; Lizenz:CC BY-SA 3.0

"Schließlich setzte er sich erschöpft in die Mitte des Käfigs und begann zu weinen"

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Tiere können merkwürdig sein, merkwürdiger als Menschen. Die polnische Reporterlegende Ryszard Kapuscinski berichtete1 einmal eine Szene aus einem Zoo in Abu Dhabi. Dort neckten Kinder einen Gorilla. "Anfangs", so Kapuscinski, "wurde der Gorilla wütend, rannte durch seine Betonlandschaft und drohte den kleinen Quälgeistern. Schließlich setzte er sich erschöpft in die Mitte des Käfigs und begann zu weinen".

Dem setzt der polnische Reporter noch eins drauf und zwar einen gewaltigen Sandsturm, der sich in diesem Augenblick erhob. Alle liefen weg, der Reporter drehte sich auf der Flucht noch einmal um und sieht den Gorilla, wie er da sitzt, "in der Mitte abgeknickt", den Weglaufenden nachsieht "und schluchzt". Eine Reporter-Erfindung, der Dramatik wegen?

Im nächsten Absatz schildert der polnische Reporter die Streiche einer kleine Katze in seinem Arbeitszimmer.

"Durch ihre Streiche gewann der ganze Raum andere Ausmaße und Proportionen."

Wendet man den Blick weg vom spannungsschaffenden Schreibstil, hier mit dem Kontrast zum großen, wilden Gorilla operierend, und schaut auf die Aussage selbst, so könnte sie eine Richtung anzeigen - für die Antwort auf die Frage, ob denn nicht die Sicherstellung der Würde des Menschen auf einer höheren Dringlichkeitsstufe steht als der Einsatz für Tierrechte. Die Annahme wäre, dass bessere Rechte für Tiere auch unserem Menschenleben andere Ausmaße und Proportionen verschaffen.

Die erste Beobachtung des Reporters, die Affekte eines Tieres menschlichen Empfindungen gleichstellt, findet sich, ohne die fabelhafte Überzeichnung, im eher wissenschaftlichen Duktus, in einem Engagement wieder, das mit eben dieser Reaktion zu kämpfen hat: Ist es nicht wichtiger, alle Kräfte für die Rechte inhaftierter Menschen zu sammeln, als mit der Forderung nach Tierrechten "Nebenschauplätze aufzumachen"?

Das Recht auf richterliche Haftprüfung

"Schimpansen", so die amerikanische Organisation Nonhuman Rights Project, "haben komplexe Fähigkeiten, die so streng behütet werden, wenn sie bei Menschen gefunden werden" - aber bei Tieren eben nicht, so die Ergänzung, die dem Leser überlassen bleibt. Sie sind den Menschen schutzlos ausgeliefert, das müsse geändert werden. Dafür hat sich die Organisation nun drei Musterfälle von eingesperrten Schimpansen ausgewählt, mit denen sie vor Gerichte ziehen will, so lange ihre Geldmittel reichen.

Das Nonhuman Rights Projekt will heute die dritte Klage innerhalb einer Woche vor einem Gericht im Staat New York einreichen. Es geht bei den Klagen um vier Schimpansen, Tommy, Kiko, Hercules und Leo.

Gemeiner Schimpanse im Zoo Leipzig. Bild: Thomas Lersch; Lizenz:CC BY-SA 3.0

Sie sind alle von unterschiedlichen Besitzern in unterschiedlichen Behausungen unter unterschiedlichen Bedingungen untergebracht oder, wie die Organisation beklagt, "eingesperrt", in einem kleinen Käfig eines Trailer-Verkaufparks, privat oder in einem Forschungszentrum

Gemeinsam ist ihnen, dass ihr Leiden nach Angaben der Kläger unübersehbar ist - und dass sie sich im Staat New York befinden. Dort hat das Recht auf richterliche Haftprüfung (Habeas Corpus) eine besondere Tradition, so das Projekt für Nonhuman Rights. Genau diesen Rechtsanspruch will man nun für die Tiere geltend machen:

Die rechtliche Grundlage, auf die wir uns berufen, ist die gerichtliche Verfügung des Habeas Corpus, wonach jemand, der gefangen gehalten wird, zum Beispiel im Gefängnis, um Hilfe bei einem Richter nachfragt, der von den Fängern verlangt, dass sie nachweisen, weshalb sie das Recht haben, ihn gefangen zu halten.

Präzedenzfall: ein Urteil aus der Sklavenzeit

Als Präzedenzfall zieht das Projekt den Fall eines Sklaven aus dem 18. Jahrhundert heran. Die Parallele zu den Tieren liegt darin, dass der Mann rechtlich als Objekt, Ding, bloßer Besitz behandelt wurde. Ein Gericht im Staat New York hatte 1772 in einem Aufsehen erregenden Fall entschieden, dass der Mann auch juristisch eine Person ist und kein Besitz und deswegen nicht gefangen gehalten werden kann.

Das Urteil beendete zwar nicht mit einem Schlag die Sklaverei, aber es führte zu vielen weiteren Gerichtsverhandlungen über diese grundlegenden Rechte. Der Anfang war gemacht.

Ähnliches nimmt sich die Organisation jetzt für die Schimpansen vor. Das große Ziel besteht darin, dass sie nicht länger rechtlich wie Dinge, die man besitzt, behandelt werden. Man will "eine Bresche in die die rechtliche Mauer, die alle Menschen von den nicht-menschlichen Tieren trennt, schlagen".

Sobald die Mauer durchbrochen ist, werden die ersten nicht-menschlichen Tiere auf der Erde den Status einer juristischen Person erhalten und endlich ihren Tag im Gerichtshof bekommen - eine Gelegenheit, die sie ganz klar verdienen.

In den Klagen geht es aber zunächst auch darum, dass die Richter die Schimpansen freisprechen, damit sie woanders, in einem Schutzgebiet, dem North American Primate Sanctuary Alliance (NAPSA) untergebracht werden können.

So viele Klagen wie möglich

Die Strategie besteht darin, sie viele Klagen bzw. Widersprüche wie möglich einzureichen, so lange die Geldmittel dazu reichen.

Das ist kein Gag oder Aufmerksamkeitstrick, sondern ernstzunehmen, schrieb die New York Times diese Woche über die rechtlichen Schritte der Gruppe. Die Initiatoren hatten diese Strategie über Jahre hinweg entwickelt, sie seien Experten auf dem Gebiet der Habeas-Corpus-Fälle und wüssten, welche Gerichte für ihr Anliegen am besten geeignet seien.

In der Zeitung kommt auch der Besitzer des Trailerverkauf-Parks, wo der Schimpanse Tommy untergebracht ist, zu Wort. Er beteuert, dass er alle Auflagen befolge. Dass er aber selbst daran gedacht hat, ihn in Pflegeinstitutionen zu geben, deutet allerdings darauf hin, dass es dem Schimpansen vielleicht auch besser gehen könnte. In Anbetracht dessen, in welchen Verhältnissen das Tier seine ersten 30 Jahre zubringen musste, müsste der jetzige Aufenthaltsort aber für das Nonhuman Rights Project ein Grund zum Jubel sein.

Die sehen das nicht so. Es geht ihnen nicht um Tierschutz allein.

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