Merkel: Vorläufiger Abschiebestopp nach Afghanistan

Anschlag in Kabul, 31. Mai 2017. Screenshot, Video/YouTube

Kehrtwende nach dem Anschlag in Kabul. Die Abschiebung eines Afghanen in Nürnberg sorgt für Tumult

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Bundeskanzlerin Merkel verkündete am späten Donnerstag-Nachmittag einen vorläufigen Stopp der Abschiebungen nach Afghanistan. Dem vorausgegangen sei eine Verständigung mit Ministerpräsidenten der Länder. Es war wohl eine Art Krisentreffen.

Nach dem Anschlag in Kabul am Mittwochmorgen waren die Abschiebungen nach Afghanistan zu einem heißen Thema geworden, - zumal für den gestrigen Tag auch ein Abschiebeflug nach Afghanistan anberaumt war, der dann abgesagt wurde, mit der deutschamtlichen Begründung, dass die Botschaft in Kabul nicht arbeitsfähig sei.

"Keine hektischen Kurzschluss-Entscheidungen"

Prinzipiell werde man an den Abschiebungen festhalten, lautete der Tenor die ersten Reaktionen aus Unionskreisen ("keine hektischen Kurzschluss-Entscheidungen", Seehofer). Auch Merkel zögerte. Der Anschlag in Kabul am Mittwoch sei "noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren (...), Provinz für Provinz". Das Auswärtige Amt sei am Zug, zitierte sie die Tagesschau. Merkel hält an Abschiebungen fest, berichtete der Spiegel noch mittags. Später verkündete sie, was von Medien als Kurswechsel bezeichnet wird.

Das Auswärtige Amt untersteht dem früheren SPD-Chef Gabriel, der die "Initiative für eine raschere Lagebeurteilung ergriffen hatte", sein Nachfolger und SPD-Kanzlerkandidat Schulz hatte indessen öffentlich einen einstweiligen Stopp gefordert. Merkel war unter Zugzwang.

Bis zur Neubewertung der Lage in Afghanistan, voraussichtlich im Juli, werde man die Abschiebungen aussetzen, erklärte sie. Davon ausgenommen seien Straftäter, Gefährder und Menschen, die "hartnäckig ihre Mitarbeit an der Identitätsfeststellung verweigern" sowie Personen, die freiwillig zurückkehren.

Die "emotionale Komponente"

Man weiß es längst, Flüchtlingspolitik ist von starken Emotionen begleitet, sie spielen kräftig hinein. Angesichts der Bilder der verheerenden Auswirkungen des Bombenanschlags von Kabul, obendrein noch mit der sichtbar erheblich getroffenen deutschen Botschaft vor Augen, von sicheren Zonen in Afghanistan zu sprechen, ist schwer vermittelbar.

Obendrein gab es in der jüngsten Vergangenheit mehrere Meldungen von Anschlägen in Kabul, wo die Abgeschobenen mit dem Flugzeug hingebracht werden. Auch machen internationale Beobachter und Ortskenner seit längerem eine ganz andere Einschätzung der Situation als das deutsche Innenministerium geltend, wonach die Taliban immer mehr Gebiete Afghanistans unter ihre Kontrolle bringen. Das sickert dann auch in der deutschen Öffentlichkeit durch.

So einfach, wie es Medienpädagogen und Politiker unterstellen, sind die Nachrichtenempfänger bzw. ist die Öffentlichkeit nicht gestrickt. Viele wissen sehr wohl zu unterscheiden zwischen gerechtfertigten Abschiebungen und solchen, die aus einem Prinzip heraus erfolgen, das grob über einen Kamm schert. Umfragen zeigen immer wieder, dass eine große Mehrheit Schutzsuchenden gegenüber hilfsbereit eingestellt sind, das Engagement der zivilen Helfer spricht Bände.

So kann man annehmen, dass es nicht wenige gibt, die Merkels Wahlkampfprogramm "Rückführungen, Rückführungen und nochmals Rückführungen" für genau dies halten: Vor der Bundestagswahl 2017 soll der Fehler von Anfang September 2015 gut gemacht werden. Mit prinzipieller Strenge. Dabei zeigen sich ähnliche Lücken, wie schon beim Empfang der Schutzsuchenden, Flüchtlinge und Migranten. Die individuelle Situation wird nicht so genau geprüft. Wichtig ist, was man nach außen vermitteln will, die Leitmedien helfen dabei.

Da und dort tauchten in den letzten Wochen ein paar kleine Nachrichten darüber auf, dass Personen aus Situationen herausgeholt wurden, die als "gut integriert" beschrieben wurden, die aber dennoch abgeschoben werden sollten. Dabei stellte sich das irritierende Gefühl ein, dass die Behörden auch beim Pendel auf der anderen Seite wieder einer Blindheit aufsitzen.

Genau dieses Gefühl spielt auch bei dem Ereignis eine Rolle, das in die Entscheidung über den vorläufigen Abschiebestopp mit hinein gespielt haben könnte. Zumindest war es gestern in den Medien sehr präsent.