Merkels "europäische Lösung" bleibt ein deutsch-türkischer Deal

Die EU-Kommission hat den umstrittenen Türkei-Deal zur Flüchtlingspolitik durchgewinkt. Dem EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel droht trotzdem Streit

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Wenn es schwierig wird, schickt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerne seinen Stellvertreter Frans Timmermans in den Pressesaal der Brüsseler Behörde. Der Niederländer ist erprobter Diplomat und spricht fließend englisch, französisch und deutsch. Doch auch diese Fähigkeiten reichten am Mittwoch nicht aus, um die Journalisten vom geplanten Türkei-Deal zu überzeugen.

Der Deal, der in Berlin gern als "europäische Lösung" präsentiert wird, geht auf einen deutsch-türkischen Plan zurück. Beim letzten EU-Gipfel in Brüssel hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammen mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu aus dem Hut gezaubert. Er sieht die Rücknahme aller Flüchtlinge von den griechischen Inseln in die Türkei vor - auch syrische Kriegsopfer sollen nicht mehr in Europa bleiben dürfen.

Frans Timmermans auf der Pressekonferenz über den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen der EU und der Türkei. Bild: Jennifer Jacquemart/EU

Im Gegenzug sollen andere syrische Flüchtlinge in die EU geschafft werden - aber nicht dieselben, die die Türkei aus Hellas zurückgenommen hat. Damit wolle man "das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören", erklärte Timmermans. Mit Massenabschiebungen habe das nichts zu tun, schließlich könnten die Syrer in Griechenland ja weiterhin Schutz anfordern. "Jeder wird das Recht haben, Asyl zu beantragen", beteuerte Junckers Vize.

Doch das kam bei den Journalisten gar nicht gut an. "Entschuldigung, das habe ich nicht verstanden", meldeten sich mehrere EU-Korrespondenten zu Wort. Timmermans konnte weder erklären, wie die Asylverfahren auf den griechischen Inseln ablaufen werden - bisher ist Griechenland dazu ja nicht einmal auf dem Festland in der Lage. Noch konnte er plausibel machen, wie das das so genannte Ein-zu-eins-Verfahren funktionieren soll.

Timmermans räumte ein, dass das Vorhaben "sowohl in rechtlicher als auch in logistischer Hinsicht sehr kompliziert" sei. Er verwies aber auf Möglichkeiten, die Prüfung von Asylverfahren zu beschleunigen. Auch wenn es eine Berufungsmöglichkeit gegen Abschiebungen gebe, müsse die Prüfung nicht unbedingt Monate dauern, sagte er. Im Gegenteil: die EU-Kommission plant Eilverfahren.

Allerdings ist Griechenland darauf bisher weder praktisch noch rechtlich vorbereitet. Zudem dürften Ruck-Zuck-Prüfungen von Asylbewerbern mit anschließender zwangsweiser Rückführung in die Türkei (selbst nach einer Anerkennung!) gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und gegen EU-Recht verstoßen. Der Plan sei "menschenverachtend und rechtswidrig", erklärte Amnesty-Generalsekretärin Selmin Caliskan am Mittwoch in Berlin.

Strenggenommen dürfte die EU-Kommission dem Merkel-Davutoglu-Deal daher gar nicht zustimmen. Schließlich ist sie "Hüterin der EU-Verträge" und muss auf die Rechtmäßigkeit aller EU-Beschlüsse achten. Doch statt den Plan in Ruhe zu prüfen und, wo nötig, rote Linien zu ziehen, beeilten sich Juncker und Timmermans, ihn auf Biegen und Brechen möglich zu machen. Aus der Brüsseler Behörde ist daher kein Widerstand mehr zu erwarten.

Beschleunigtes Beitrittsverfahren unter Kritik

Anders sieht es im Ministerrat aus, in der Vertretung der 28 EU-Staaten. Dort könnte es beim EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag zum großen Showdown kommen. Nach Österreich, Bulgarien, Frankreich und Spanien hat nämlich auch noch Zypern massiven Widerstand angekündigt.

Der Streit kreist dabei nicht einmal um die Flüchtlingspolitik - sondern um die beschleunigten und erweiterten EU-Beitrittsverhandlungen, die Merkel dem türkischen Ministerpräsidenten versprochen hatte. Gleich fünf neue Verhandlungskapitel sollen geöffnet werden. Zypern muss dem zustimmen, fordert zuerst aber, dass die Türkei ihre "Verpflichtungen" erfüllt.

Dazu zählt unter anderem, dass zypriotische Schiffe in türkischen Häfen einlaufen dürfen. Es geht aber auch um die Wiedervereinigung. Derzeit laufen Gespräche zwischen dem EU-Mitglied Zypern und der von keinem EU-Staat anerkannten türkischen Republik Nordzypern. Ein Ende der jahrzehntelangen Teilung könnte Teil eines Deals mit der Türkei sein; bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.

Um ihn abzukürzen, sollen die Verhandlungen über die Wiedervereinigung kurzerhand mit den Beitrittsgesprächen mit der Türkei verknüpft werden, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Zypern soll also der Öffnung neuer Verhandlungskapitel zustimmen, damit die Türkei die Teilung der Insel vielleicht doch noch zurücknimmt. Wie das praktisch gehen soll, ist unklar - genau wie der Flüchtlingspakt klingt es nach einem schmutzigen Deal.