Mickys Kontrastprogramm

Disney’s Micky Epic für Nintendos Wii

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Disney will seiner bekanntesten Figur ein neues Image verpassen. Der erste Schritt dazu ist „Micky Epic“, für den Disney Interactive den erfahrenen Videospieldesigner Warren Spector engagierte. Die Symbiose aus Jump-And-Run- und Adventure will nicht nur Kinder, sondern ein breites Publikum ansprechen.

Gegen seine gut achtzig Jahre ist Nintendos nicht einmal dreißigjähriger Mario ein Jüngling. Micky Maus hat bereits viele Generation in ihrer Kindheit mit Cartoons und Comics begleitet. Videospiele sind kein Neuland für Walt Disneys Maskottchen: Seinen ersten Auftritt hatte er bereits 1981.

Letztes Jahr kündigte der Disney-Konzern an, der Maus ein neues, kantigeres Image geben zu wollen. Kinder und Jugendliche kennen sie nach wie vor als Maskottchen, identifizieren sich aber mit anderen Figuren. Disney möchte Micky weg bringen vom netten, ewig lächelnden Strahlemann und ihm eine Persönlichkeit verpassen, mit der sich die Jugend des 21. Jahrhunderts identifizieren kann: Ein bisschen frech darf sein.

Schaut man sich die frühen Cartoons an, ist dieser Schritt eine Rückkehr zu Mickys Wurzeln. Damals durfte er sich durchaus daneben benehmen, anderen Figuren Streiche spielen und sich prügeln. Mit der Zeit wurde die Maus vermutlich als Folge des Dauerwinkens im Magic Kingdom weich gespült. Schon in Walt Disneys Lustigen Taschenbüchern war Donald Duck der vielfältigere und damit interessantere Charakter. Gegen frechere moderne Trickfiguren wie Shrek und Buzz Lightyear oder gar Bart Simpson wirkt Micky Maus heute irgendwie fad.

„Micky Epic“ ist ein anfänglicher Schritt zum Imagewechsel. Disney Interactive hat sich als Entwickler für den Titel die eigene Tochterfirma Junction Point ausgesucht, die von Warren Spector gegründet wurde. Er ist eine bekannte Größe in der Videospielindustrie und für Titel wie Deus Ex, Thief: The Dark Project, System Shock sowie die Ultima-Underworld- und Wing-Commander-Serien verantwortlich.

Warren Spector. Bild: Disney Interactive

Viele seiner Spiele weisen Grauzonen auf, selten gibt es den strahlenden, unfehlbaren Protagonisten im Kampf gegen das finstere Böse. Somit ist er wie geschaffen dafür auch Micky Maus bei seiner Suche nach einem neuen Image zu helfen.

Zum Schurken wird die Hauptfigur in „Micky Epic“ freilich nicht, zeigt aber eine destruktive Seite. Die Balance zwischen Zerstörung und Aufbau ist Teil des Gesamtkonzepts. Die Maus betritt eine Welt, die vom Malpinsel geschaffen und teilweise vom Verdünner wieder zerstört wurde. Diese Zerstörung brachte dunkle Phantome mit sich, denen sich Micky stellt.

Die Welt heißt Wasteland und ist von vergessenen Cartoonfiguren bevölkert. Geschaffen wurde sie vom Zauberer Yen Sid aus dem Disney-Film Fantasia, dem gleichzeitig die Rolle des Erzählers zukommt. Micky selbst ist schuld an der Verdünnerkatastrophe, die das Unheil über Wasteland brachte. Die Geschichte beginnt damit, dass Micky Through the Looking Glass liest, den Nachfolger von Lewis Carrolls Alice im Wunderland. Wie Alice im Buch betritt er eine andere Welt durch den Spiegel seines Zimmers. Auf der anderen Seite steht auf einem Tisch eine Miniaturwelt, eben das Wasteland. Eher wie ein neugieriges Kind beim Spielen als mit böser Absicht verschüttet er Verdünner, der jene Katastrophe auslöst, die ihn Monate später einholt und in das Wasteland hinein zieht.

Sein dringlichstes Ziel ist die Rückkehr in seine Welt. Passend zum gemalten Charakter sind seine Waffen Verdünner und Farbe, die er mit einem magischen Pinsel benutzt. Mit ihnen kann er Teile der Welt auflösen und wieder herstellen. Welche Objekte er auf diese Weise beeinflussen darf, ist vorgegeben und durch kräftige Farben beziehungsweise Umrisse erkennbar. Beispielsweise kann er bestimmte Felswände mit Verdünner entfernen um versteckte Schätze zu erreichen. Verwendet er umgekehrt Farbe auf die Silhouette eines Zahnrades, wird dieses aktiv und setzt einen Mechanismus in Gang.

Wasteland ist durchaus belebt. Der Name bedeutet eher Land des Abfalls als Ödnis, denn seine Einwohner sind allesamt mit der Zeit in Vergessenheit geratene und somit weggeworfene Cartoon-Figuren. Eine tragende Rolle kommt Oswald dem lustigen Hasen zu, den Walt Disney 1927 entwarf und der als Vorläufer von Micky Maus gilt. Im Spiel macht Oswald Micky – durchaus nachvollziehbar – dafür verantwortlich, dass er selbst in Vergessenheit geriet.

Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet. Das Gegeneinander und Zusammenspiel von Oswald und Micky und die Verbindung zur Vergangenheit gehört zu den großen Stärken. Die Maus hat tatsächlich eine passende, tragende Rolle und ist eine echte Identifikationsfigur.

Spielerisch ist Epic-Mickey ein dreidimensionales Jump-And-Run mit Adventure- und Rollenspielanteilen. Die Welt ist in Zonen aufgeteilt, die jeweils einen thematischen Rahmen und die dazu passenden Figuren wie Piraten oder Geister besitzen. Leinwände mit alten Filmen dienen als Portale zwischen den Bereichen.

Der zentrale Bereich des Spiels heißt auch im Deutschen Mean Street. Neben den Leinwänden zu den unterschiedlichen Gebieten findet Micky einige Geschäfte und Figuren. Hier erhält er auch seine ersten freien Aufträge. Obwohl das Spiel überwiegend ein Jump-And-Run ist, verwendet es ein Quest-System wie sonst eher Rollenspiele. Es geht weniger darum, das Ende eines Levels zu erreichen und wie Mario einen goldenen Stern oder wie Sonic einen Ring zu finden, sondern Aufgaben für die Bewohner von Wasteland zu erfüllen.

Leider ist das schon fast alles, was zum Spiel-Anteil zu sagen ist: So stark die Hauptgeschichte ist, so mau präsentieren sich die meisten Quests. Vieles wirkt wie aus den Startgebieten von MMORPGs entliehen: Sammle ein paar Blumen, besiege einige Phantome oder starte eine Reihe von Apparaturen. Immerhin zeigt sich schon recht bald das Prinzip der freien Wahl zwischen eher konstruktiver Verwendung von Farbe oder der destruktiven von Verdünner.

Der Spieler darf häufig entscheiden, welches der beiden zum Einsatz kommt. So löst Verdünner viele der angreifenden Phantome ganz auf, Farbe dagegen macht sie zu Verbündeten. Bei den Quests trifft er beispielsweise die Entscheidung, ob er einem Angsthasen zu Mut verhilft oder einen Geist dabei unterstützt den Feigling zu erschrecken. Auch wenn teilweise beide Wege zum selben Nahziel führen und typischerweise den Weg zur nächsten Leinwand öffnen, hat die Entscheidung für einen Weg Folgen für das weitere Geschehen – ähnlich, wenn auch nicht so folgenschwer wie das Morality-System von Sonys inFamous.

Unter anderem wachsen die Farb- und Verdünner-Container unterschiedlich, je nachdem welches Element der Spieler öfter einsetzt. Auch gibt es Quests, die aufeinander aufbauen und bei denen eine Entscheidung die zukünftigen Aufgaben bestimmt. Das System zusammen mit den Charakteren wird der Tradition der Warren-Spector-Titel durchaus gerecht.

Leider sind aber die grundlegenden Spielelemente voller Fehler und Unzulänglichkeiten. „Micky Epic“ krankt an den Problemen, die eigentlich seit Jahren nicht mehr bei größeren 3D-Jump-And-Runs vorkommen: Die Steuerung ist unpräzise und die Kameraeinstellung schlecht bis katastrophal. Teils ist der Blick aufs Ziel versperrt oder die Perspektive auf einen unmöglichen Bereich eingeschränkt. An anderen Stellen springt die Kamera mitten in der Bewegung.

Hinzu kommen ein langweiliges Level-Design und ebenso uninteressante Aufgaben. Dabei mangelt es nicht an Originalität, die aber leider im Hintergrund bleibt. Die Level sind spielerisch uninspiriert, obwohl sie inhaltlich liebevoll gestaltet sind wie beim ironische Umgang mit der Vermarktung von Disneys Maskottchen in Micky Junk Mountain, einer Müllhalde, auf der Comics, Merchandising-Artikel und alte Videospiele liegen.

Auch der anfängliche Charme des Reisens zwischen den Gebieten verliert sich bald: Betritt Micky eine Leinwand, landet er in einem zweidimensionalen Bereich, der überwiegend die Themen der Disney-Klassiker wie dem ersten öffentlichen Auftritt der Maus in „Steamboat Willie“ aufnimmt. Retrooptik und –akkustik sorgen für die passende Untermalung. Dass diese 2D-Level größtenteils zu einfach sind, wäre verzeihbar, wenn der Spieler nicht manche von ihnen wieder und wieder durchlaufen müsste, wenn ein Quest ihn zwischen den Welten hin und her schickt.

„Micky Epic“ beginnt sehr stark, hat tolle Charaktere und eine fesselnde Story. Dank dieser Zutaten will man das Spiel einfach mögen und verzeiht ihm anfangs die Mängel. Das Traurige ist, dass die Junction Point Studios so vieles richtig gemacht haben, aber genau bei den spielerischen Kernelementen deutlich hinter den Erwartungen zurück bleiben: Die Level sind größtenteils uninspiriert und die Kamera ist eine Zumutung. „Mick Epic“ ist kein wirklich schlechtes Spiel, aber von einem Micky-Maus-Titel unter der Regie von Warren Spector durfte man mehr erwarten als das Mittelmaß, das schließlich heraus kam.

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