Mit Computern und Internet geht es uns wie bei einem Teufelspakt

Ein Gespräch mit Clifford Stoll, der in seinem neuesten Buch für das "LogOut" plädiert

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Clifford Stoll, 1951, ist Astronom, Nerd, Hackerjäger. Er zählt zu den Pionieren der Datennetze. Sein Buch "Kuckucksei" berichtete von der "Jagd auf die deutschen Hacker, die das Pentagon knackten". Das war 1989. Sechs Jahre später, 1995, als auch hierzulande mit der Computerbranche das World Wide Web boomte, veröffentlichte er "Silicon Snake Oil", auf deutsch erschienen unter dem Titel: Die Wüste Internet. Jetzt kommt sein jüngster Streich heraus: "LogOut. Warum Computer nichts im Klassenzimmer verloren haben und andere High-Tech-Ketzereien".

Vom Computer- und Internetpionier zum Hightech-Häretiker ist es ein weiter Weg - und dazu gehören gewisse Erfahrungen. Was war denn Ihre übelste Erfahrung mit dem Rechner, mit dem Rechner am Netz?

Clifford Stoll: Also, ich weiß nicht so recht, was besser, schlechter oder am Schlimmsten war in meinem Leben mit dem Computer: Vielleicht war der Ärger am größten, als und wie ich vor zwölf, dreizehn Jahren zum ersten Mal merkte, dass ein Hacker in meinen Rechner eingebrochen hatte. Oder als ich vor zwanzig Jahren ungefähr ein Jahr lang an einem Programm geschrieben hatte, das dann doch voller Bugs war und schließlich nicht funktionierte. Oder als mir vor sechs Jahren endlich klar wurde, dass ich viel zuviel Zeit vor dem Computer verbracht und deshalb meine Freunde sträflicherweise vernachlässigt hatte.

Sie kritisieren die Computerindustrie und die IT-Branche, die ihre Versprechungen nicht halten. Wo verspricht uns denn die Branche zuviel?

Clifford Stoll: Die Computerindustrie verspricht uns immer neue, schnellere, verlässlichere Programme, aber stattdessen sind sie langsam, voller Fehler und oft furchtbar kompliziert. Es gehen noch immer gigantische Versprechungen von einer Revolution um, die unsere Sicht der Welt radikal verändern soll - aber im Grunde ist es nur eine ziemlich fade elektronische Perspektive, die uns geboten wird: Der Computer und das Internet isolieren uns doch eher voneinander. Und immerzu sollen wir unseren Kopf möglichst in den Cyberspace stecken.

Mal abgesehen vom allgemeinen Kulturpessimismus. Sie nennen Probleme durchaus beim Namen, z.. B. ärgert Sie die schlechte Qualität der Software. Warum lassen die Programme zu wünschen übrig? Eben haben wir von gehört, dass Sie auch schon fehlerhafte Software programmiert haben.

Clifford Stoll: Ja, ein wirklich gutes Programm zu schreiben, ist erstaunlich schwer. Und zwar nicht nur, weil es desto komplizierter wird, je größer die Programme und je vielfältiger ihre Funktionen sind. Die Qualität der Software hängt vom Konzept ab, vom Design und davon, wie man sie programmiert. Sobald mehr als zwei Leute an einem Programm schreiben, wird es schwierig, und jede umfangreiche Software wird heutzutage von einem Dutzend oder gar von hundert Leuten geschrieben. Sobald aber eine Gruppe mit der anderen nicht ordentlich kommuniziert, schleichen sich Fehler ein. Das ist dann so wie überall, wo die rechte Hand nicht weiß, was die Linke tut - zum Beispiel in Bürokratien; bei Behörden passiert halt ein Fehler, beim Computer stürzt das System ab.

Sie sehen die User dabei als Versuchskaninchen?

Clifford Stoll: Softwarefirmen stehen unter einem großen Druck, immer neue Produkte in immer kürzeren Abständen zu liefern. Ein ausgereiftes Produkt bräuchte aber seine Zeit. Also lässt man schon mal alle Fünfe grade sein und verzichtet auf weitere Probeläufe. Das führt dazu, dass wir Benutzer letztlich die Programme testen. Das ist ein Unding. Wenn Arzneimittelfirmen so verfahren würden, wären sie sofort weg vom Fenster. Das gleiche gilt für die Automobilindustrie: Wollte man in der Praxis rauskriegen, ob Reifen quadratisch, dreieckig oder doch rund sein sollten, wäre es auch gleich vorbei. Aber in der Computerbranche ist so etwas egal.

Der Vergleich ist lustig, aber hinkt er nicht?

Clifford Stoll: Was man im Computeralltag allein täglichen Abstürzen erdulden muss, ist doch enorm. Das kennen wir doch alle. Wir stecken mitten in einer wichtigen Arbeit - da verabschiedet sich der Rechner. Und man möchte am liebsten drauf hauen. Ärger mit Software gibt es überall: Je mehr sie können soll, desto schwieriger wird es, desto anfälliger sind die Programme. Die üblichen Internet-Browser zum Beispiel haben lauter Macken. Und wir nehmen das hin, weil wir das immer noch wunderbar finden. Aber irgendwann wird es den Leuten zuviel werden. Dann wird Benutzerfreundlichkeit wichtiger und die Leute werden froh sein, wenn ein Programm nicht tausend (überflüssige und schlechte) Features hat, sondern wenigstens ein paar, die wirklich funktionieren.

Große Firmen wie Microsoft zum Beispiel decken einen bei jedem Update mit einer ellenlangen Liste neuer Features ein. Aber wozu das alles? Von einem Auto erwartete ich mir auch nicht irgendwelchen Schnickschnack, sondern in erster Linie, dass es fährt, und zwar wann ich will und wohin ich will. Beim Computer ist uns das alles noch egal, da sind wir noch nicht soweit. Wir lassen uns immer noch von blinkenden Lämpchen und bunten Fähnchen und von multi-funktionalen Pull-down-Menus beeindrucken.

Für mich ist der Computer nur dann besser, wenn er mir die Arbeit wirklich erleichtert, und nicht bloß, weil er statt einhundert 500 Hz hat. Und Software ist genau dann besser, wenn man mit ihr zuverlässig arbeiten kann, und ich mir nicht fortwährend sinnlose Updates aneignen muss, nur um in meinem Job klarzukommen. Anstatt ein Programm ein für alle Mal zu lernen, werden wir ständig gezwungen, quasi wieder von vorn anzufangen. Wir sparen nicht nur Zeit, sondern wir verschwenden genauso viel Zeit mit dem Computer.

Das wirft ein anderes Licht auf den Begriff vom "lebenslangen Lernen"....

Clifford Stoll: Es ist doch so, dass man manchmal mit einem Notizzettel besser dran ist als mit dem Laptop. Überhaupt verlernen wir allerhand. Anstatt selbst Zeitung zu lesen, träumen wir von intelligenter Software, die das für uns erledigt. Und die klassischen Beispiele treffen zu: Jahrzehntelang haben die Schüler Taschenrechner benutzt. Heute kann keiner mehr Kopfrechnen. Ohne Computerkassen sind die meisten aufgeschmissen, wenn es ums Wechselgeld geht. Außerdem schreiben viele, wenn sie überhaupt schreiben, unleserlich, es gibt so gut wie keine Handschrift mehr. Und das ist doch traurig. Der Computer beschleunigt unsere Arbeit, aber alte geistige und handwerkliche Fähigkeiten, mit denen wir bislang gut durchs Leben kamen, bleiben dabei auf der Strecke.

Man könnte allerdings einwenden, dass heutzutage eben andere Fertigkeiten gefordert und verlangt seien. Wir haben täglich mit dem Computer zu tun, im Büro, am Arbeitsplatz, Zuhause. Wir können das Rad nicht zurückdrehen. Der Point-of-no-return ist doch längst überschritten ...

Clifford Stoll: Es gibt kein Zurück. Das stimmt. Zur Zeit interessiert mich aber, wozu der ganze Ausverkauf und die Überbewertungen etwa des E-Commerce führen, ob sich dadurch in der Branche irgend etwas ändert. Computerfirmen und vor allem die berühmten Dot.coms machen bekanntlich keine Gewinne, sondern Verluste. Und das hat letztlich auch unmittelbar damit zu tun, dass man zuviel versprochen und zu wenig eingehalten hat. Die Verheißungen waren zu groß. Meistens ist man noch immer darauf aus, die verrücktesten, aufgeblasensten Programme zu entwickeln, während die meisten sich einfach bloß nützliche Software wünschen.

Die heutigen Computer gleichen den Autos der 50er Jahre: Da war ein chromblinkender Kühlergrill zunächst auch wichtiger als alles andere. Alles erscheint wichtiger als die Funktion. Aber das wird sich ändern. Das dauert vielleicht zehn Jahre oder es braucht noch eine ganze Generation, bis die Leute auf den Hype und die übertriebene Werbung pfeifen.

Sie hoffen und warten also auf den aufgeklärten Konsumenten. Noch übt sich aber Ihr kritischer Verbraucher in Geduld, manchmal in Engelsgeduld. Woran liegt das?

Clifford Stoll: Ich glaube, das liegt eines Teils daran, dass wir uns noch immer eher selbst die Schuld geben, wenn es mit dem Computer Schwierigkeiten gibt. Andrerseits liegt es auch an uns: Wir wollen uns nicht umstellen, weil das wieder zuviel Zeit kostet. Viele Fachleute halten beispielsweise LINUX für das bessere Betriebssystem. Aber da müssten wir ja noch dazu umdenken, und außerdem sind wir zu bequem. Dann arbeitet man halt doch, und sei es auch schlechter, mit den üblichen Programmen weiter.

"Schulen ans Netz" ist hierzulande ein Thema. In den USA haben Sie länger schon Erfahrungen damit gesammelt. Ein Computer steht selbstverständlich im Klassenzimmer oder es sollte in jedem einer stehen -- darüber ist man sich anscheinend einig. Die Frage scheint sich nur noch darum zu drehen, wie früh man sich übt. Vielleicht nicht erst in der Grundschule, sondern doch schon im Kindergarten?

Clifford Stoll: Ich bin der Ansicht, dass man auch ohne Computer eine ausgezeichnete Ausbildung genießen kann. Ich denke, im Kindergarten hat der Computer überhaupt nichts verloren. Da sollten die Kinder wirklich lieber auf Bäume klettern. Später, sagen wir im Alter von vielleicht zehn Jahren, ist ein Computer dann ganz hilfreich, aber eigentlich nicht wichtig. Ich finde, wir sollten unsere Kinder in Allem unterrichten: Literatur, Musik Kunst, Geschichte und Mathematik. Zu keinem dieser Fächer braucht man einen Computer.

Ich habe meine Schwierigkeiten damit, dass Computer für lebenswichtig gehalten werden, dass nur noch Computerkenntnisse zu einem anständig bezahlten Job qualifizieren . Wie jeder High School Abgänger Autofahren kann, so soll er sich ruhig auch mit dem Internet auskennen. Das ist übrigens nicht schwer! Das lernt man schnell. Das ist keine Geheimwissenschaft. Aber eine Fremdsprache oder, sagen wir, Saxophon spielen : das lernt man nicht so schnell. Das ist etwas anderes!: Schnitzen Sie mal aus Holz eine Skulptur - oder nehmen Sie mal einen Automotor auseinander und setzen ihn dann wieder zusammen, aber richtig. Das ist viel schwerer als Internet-Surfen.

Wir haben den Einsatz von Computern an unseren Schulen völlig überbewertet. Man hat sich und anderen viel zu viel davon versprochen. Das hat unter anderem zur Folge, dass immer weniger Menschen mit ihren Händen noch etwas anfangen können Heutzutage gehen uns zum Beispiel schon die guten Handwerker aus. Nicht etwa nur die Mechaniker, sondern auch die Herzchirurgen.

Sie hatten 1964 in ihrer High School das erste Mal mit dem Computer zu gehabt, seit bald 25 Jahren arbeiten Sie mit einem eigenen PC. Wollen Sie bloß den Newbies den Spaß verderben? Sie haben doch als Pionier der Netze auch von Online-Datenbanken profitiert und mit Ihren Kollegen kommuniziert. Heutzutage sind die Leute beispielsweise mit durchaus gutem Grund begeistert von Email und halten das für einen echten Fortschritt.

Clifford Stoll: Ja, Email ist wirklich gut, recht praktisch und schnell und leicht zu bedienen. Aber die Zeit, die ich mir durch Email spare, verliere ich ja sofort wieder. Ich bekomme nämlich massenhaft Emails, darunter viel überflüssiges Zeug, und trotzdem erwartet jeder, dass ich am besten auch umgehend antworte. Mir kommt das vor wie bei Faust, wie bei einem Teufelspakt: Mit dem Computer und dem Internet wird uns Wissen und Macht versprochen. Aber alles hat seinen Preis. Wann habe ich denn noch Ruhe? Ich komme doch kaum mehr zum Nachdenken.

Es wird viel Werbung fürs Internet gemacht; das Völkerverbindende wird betont, Grenzen würden überflüssig werden - und wir wären ständig mit allen möglichen Informationen versorgt. Aber es fehlt mir nicht an Informationen, sondern ich hätte gerne mehr Zeit für meine Kinder, meine Familie und meine Freunde. Und ich möchte nicht immer nur alles Mögliche hören müssen, sondern auch einmal zuhören können.

Selbstverständlich liegen die Vorteile auch auf der Hand. Aber mir ist daran gelegen, dass wir uns endlich einmal fragen, welchen Preis wir eigentlich für unseren weltweite High-Tech-Wahn bezahlen.

Clifford Stoll: "LogOut. Warum Computer nichts im Klassenzimmer verloren haben und andere High-Tech-Ketzereien". Fischer Verlag. 256 Seiten. DM 29,90,-